Treffen mit einem US-Waffenfanatiker:"Mehr Gewehre bedeuten weniger Verbrechen"

Armed Citizen Project

Einige der Frauen, die in Houston kostenlos Schrotflinten vom "Armed Citizen Project" erhalten haben, posieren mit ihren Waffen. Die Organisation vertritt die Meinung, dass mehr privater Waffenbesitz helfen kann, die Verbrechensrate zu senken.

(Foto: Armed Citizen Project)

Kulturkampf in Amerika: Kyle Coplen hat eine Organisation gegründet, die Schrotflinten an Bürger verteilt. So will der Student Kriminelle abschrecken und der Politik eine Botschaft senden. Selbstzweifel sind ihm fremd. Eine Begegnung.

Von Matthias Kolb, Houston

Kyle Coplen ist derzeit sehr gefragt. Seitdem er dafür wirbt, in gewissen Vierteln Schrotflinten an interessierte Bürger zu verteilen, bitten ihn viele Journalisten um Interviews. Der Gründer des "Armed Citizen Project" ist wie viele konservative Amerikaner davon überzeugt: Wenn genügend "gesetzestreue Bürger" Waffen tragen, sinkt auch die Kriminalitätsrate. Bei einem Treffen in Houston macht der Student klar, dass ihm Selbstzweifel fremd sind und er politische Ziele verfolgt.

"Zu viele Aktivisten sind heutzutage froh, wenn sie verhindern, dass bestehende Waffengesetze verschärft werden. Wir sollten uns größere Ziele setzen: Es gilt, die die nächste Generation an Waffenbesitzern zu erschaffen, damit wir noch mehr werden", verkündet Coplen, der sich darüber freut, dass der Senat Barack Obamas Wunsch nach strengeren Regeln blockiert. Um sein Politik-Studium an der staatlichen University of Houston zu finanzieren, arbeitet der 29-Jährige als Sportlehrer an der elitären Rice University.

Aus Zeitgründen, schreibt er in einer E-Mail, könne er am besten während der Arbeit Interviews geben. Wir treffen uns am Rande eines Sportplatzes, wo er Studenten in der für Deutsche ungewöhnlichen Sportart Discgolf (auch Frisbee-Golf genannt) unterrichtet. Er bittet mich auf den Beifahrersitz seines Golf-Caddies und erzählt, wie die Idee für sein Projekt Armed Citizen Project entstand: Im Januar 2013 hatte er von einem Überfall auf einen Kriegsveteranen gehört. Dies habe ihn so richtig wütend gemacht und so dachte er darüber nach, wie sich solche Taten verhindern lassen.

Medien, Hochschulen: Überall sieht Coplen Waffenfeinde

"Ich denke, wenn die Bürger mehr Waffen besitzen, dann wird die Kriminalität sinken. Um das zu überprüfen, wollen wir Schrotflinten ausgeben. Ich bin überzeugt, dass Verbrecher nicht in deinem Hauseingang sterben wollen - und dass die Gesellschaft diese Angst nutzen sollte, um Kriminelle abzuschrecken", fasst Coplen seine Theorie zusammen, die der Ökonom John Lott schon seit einigen Jahren vehement vertritt. Und weil er sowieso gerade nach einem Thema für seine Master-Arbeit im Fach "Öffentliche Verwaltung" suchte, entschloss er sich, über seine Überlegungen ein policy paper zu schreiben, das konkrete Vorschläge enthält.

Eins betont Coplen immer wieder: "Meine Uni hat mit der praktischen Umsetzung meiner Abschlussarbeit nichts zu tun. Das ist ein wichtiger Punkt für meine Professoren. Die praktische Überprüfung meiner These mache ich in meiner Freizeit." Der 29-Jährige findet es gut, dass er frei schalten und walten kann. Ähnlich wie die Medien seien die Hochschulen mit Leuten durchsetzt, die Waffen als Wurzel allen Übels sehen, meint Coplen: "Kein Bürokrat soll denken, dass er mir irgendwas vorschreiben kann."

Ein Dutzend Frauen haben bereits Gewehre erhalten

Um seine auf Europäer - gelinde gesagt - erstaunlich wirkende Überlegung "Mehr Gewehre bedeuten weniger Verbrechen" zu testen, will er einige Stadtviertel mit mittlerer und hoher Kriminalitätsrate auswählen und möglichst viele Bewohner mit Waffen versorgen. Am 5. Mai soll es in Northwest Houston, in der Nähe des T.C. Jester Park, losgehen. Nach einem Jahr will er die Statistiken dieser Viertel mit Gegenden vergleichen, die nicht aufgerüstet wurden.

Finanziert wird das Ganze über Spenden: Bisher hat er 20.000 US-Dollar eingenommen. Damit kann er hundert Schrotflinten verteilen. 13 Frauen in Houston haben bereits Gewehre erhalten - nach einer Schulung durch einen früheren Personenschützer von Präsident Clinton, wie Coplen betont. Zudem bekomme jeder Teilnehmer einen Waffenschrank mit Zahlenschloss, damit die Flinte sicher verstaut werden könne.

Der junge Mann mit dem bereits schütteren Haar erzählt mir, dass sein Vater daheim in Indiana Waffen besaß, um die Familie zu verteidigen. Den Umgang mit Gewehren und Pistolen habe er jedoch bei den Pfadfindern gelernt. Um sich und seine Frau zu schützen, liege eine Schrotflinte mit großem Magazin sowie eine Pistole griffbereit hinter dem Nachtkästchen in seinem Schlafzimmer.

Waffengegner "ermöglichen, dass Unrecht geschieht"

Begeistert spricht er über jene Waffe, die er an interessierte Bürger ausgibt. Um viele Leute ausstatten zu können, hat er ein kostengünstiges Modell gewählt, bei dem nach jedem Schuss nachgeladen werden muss - doch dies dauere nur wenige Sekunden. "Die Schrotflinte ist ideal, um sein Zuhause zu verteidigen. Du musst kein toller Schütze sein: Die Körner streuen aus, so dass du den Angreifer auf alle Fälle trifft. Zudem ist die Munition nicht so stark, dass sie eine Wand durchschlagen und Unbeteiligte verletzen könnte. So ein Gewehr ist sehr laut und furchteinflößend: Wenn jemand eine Shotgun auf mich richtet, dann höre ich auf alle Fälle auf, das zu tun, was ich gerade tue."

Kaum hatte Coplen im Februar sein Projekt auf einer Website vorgestellt, berichteten amerikanische und internationale Medien über das Armed Citizen Project. Ähnlich wie Cody Wilson, jener Jurastudent, der die Einzelteile eines Sturmgewehrs mit einem 3-D-Drucker herstellen will, zieht Coplen in der durch den Massenmord in der Sandy-Hook-Grundschule in Newtown ausgelösten Debatte um schärfere Waffengesetze viel Aufmerksamkeit auf sich - und fast jeder Auftritt führt zu weiteren Spenden.

Während die Tageszeitung Houston Chronicle einen sehr kritischen Artikel auf der Titelseite veröffentlichte, erhält Coplen gerade von konservativen Talkradio-Moderatoren viel Unterstützung. Kürzlich erklärte er bei CNN sein Projekt, das neben Houston auch in San Antonio, Dallas, Indianapolis und Tucson starten soll.

Natürlich ist Coplens Meinung nicht repräsentativ für die Millionen Waffenbesitzer in Amerika, von denen viele strengere Überprüfungen vor dem Kauf von Pistolen und Gewehren befürworten. Doch in der aktuellen, polarisierten Debatte erhält Coplen mit seinem Radikal-Ansatz viel Zuspruch. Je länger man ihm zuhört, umso klarer wird: Coplen meint es wirklich ernst, von Selbstzweifeln keine Spur.

Dass es in den USA bereits mindestens 300 Millionen Waffen gibt und es täglich zu tödlichen Vorfällen kommt, überzeugt ihn nicht. Man müsse die Leute nur besser ausbilden, findet er. Ansonsten zieht er sich auf eine sehr simple Argumentation zurück: "Wer nichts Böses tue, hat nichts zu befürchten."

Provokation als Medienstrategie

Für seine liberalen Kritiker hat Kyle nur Spott übrig. "Wenn ein Verbrechen geschieht, dann ist die Polizei meistens nicht da. Was soll jemand machen, bei dem gerade eingebrochen wird? Der kann die Polizei rufen, aber er oder sie ist völlig allein, bis die Beamten kommen." Der Anti-Waffen-Lobby sei das völlig egal, schimpft Coplen, die wolle alle Gewehre verbieten und verhindern, dass sich Bürger verteidigen könnten. Grinsend setzt er noch eins drauf: "In meinen Augen vertreten diese Leute nicht nur die falsche Meinung - sie ermöglichen, dass Unrecht geschieht und helfen so Verbrechern und Vergewaltigern."

Dass diese Provokationen zu seiner Medienstrategie gehören, gibt Coplen offen zu. Die Kriminellen sollen von seiner Aktion hören - und mehr Aufmerksamkeit bedeutet mehr Geld. Für ihn ist diese Sache mehr als nur ein Uni-Projekt, er will die Rechte der amerikanischen Waffenbesitzer vor dem Eingriff des Staats schützen.

Bis Jahresende möchte er mindestens 200.000 Dollar gesammelt haben, um in fünfzehn US-Großstädten Schrotflinten ausgeben zu können. Zum Abschied spricht Kyle Coplen noch über seinen großen Traum: "Wir sind eine sehr junge Organisation, doch ich bin optimistisch, dass wir uns im ganzen Land etablieren und zu einer bekannten Marke werden können." Und er verspricht: "Die Leute werden noch viel von uns hören."

Der Autor twittert unter @matikolb.

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