Süddeutsche Zeitung

Treffen in Berlin:Tunesien weist Fehler im Fall Amri zurück

  • Vor seinem Besuch bei Bundeskanzlerin Merkel hat der tunesische Ministerpräsident Chahed in einem Zeitungsinterview Versäumnisse der tunesischen Behörden im Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri zurückgewiesen.
  • Er sieht keine Chance, in seinem Land Asylzentren einzurichten - dafür habe sein Land keine Kapazitäten.
  • Die Opposition warnt, Merkel solle kein Flüchtlingsabkommen mit Tunesien abschließen.

Vor seinem Besuch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat der tunesische Ministerpräsident Youssef Chahed Versäumnisse der tunesischen Behörden im Fall des Berliner Weihnachtsmarkt-Attentäters Anis Amri zurückgewiesen. "Die tunesischen Behörden haben keine Fehler gemacht", sagte Chahed der Bild-Zeitung. "Als Anis Amri 2011 Tunesien verlassen hat, war er kein Terrorist, es gab keinerlei Anzeichen dafür, dass er sich radikalisieren würde", sagte Chahed. Amri habe sich erst im Gefängnis in Italien radikalisiert.

Auch was Amris Papiere angehe, hätten sich "die tunesischen Behörden korrekt verhalten", sagte der Regierungschef. "Wir standen immer eng mit Deutschland in Kontakt". Deutschland hatte den abgelehnten Asylbewerber Amri nicht in sein Heimatland abschieben können, weil die nötigen Ausweisdokumente aus Tunesien fehlten. Sie trafen kurz nach dem Attentat in Deutschland ein. Chahed kündigte an, bei seinem Besuch in Berlin den Anschlagsort an der Gedächtniskirche zu besuchen. "Uns tut wahnsinnig leid, was in Berlin passiert ist. Das ging allen Tunesiern sehr nahe, denn wir haben 2015 selbst drei Terroranschläge erlebt."

Keine Asylzentren in Tunesien

Zugleich betonte Chahed, er sehe keine Möglichkeit für Asylzentren in seinem Land. "Tunesien ist eine sehr junge Demokratie, ich denke nicht, dass das funktionieren kann und wir für Flüchtlingscamps hier Kapazitäten haben", sagte Chahed auf die Frage, ob er sich entsprechende Zentren in Kooperation mit Europa vorstellen könne. "Es muss eine Lösung zusammen mit Libyen gefunden werden. Das ist der einzige Weg."

Mit Blick auf Forderungen nach einer schnelleren Rücknahme abgelehnter Asylbewerber aus Deutschland sagte Chahed: "Die Kooperation mit Deutschland funktioniert schon jetzt sehr gut. Aber wir brauchen eben von den deutschen Behörden auch klare Beweise, dass es sich wirklich um Tunesier handelt", sagte der Regierungschef. "Illegale Immigranten, die falsche Papiere nutzen, machen das manchmal schwierig und verlängern den Prozess." Ohnehin gehe es aber nur "um eine sehr geringe Zahl von vielleicht 1000" Tunesiern, die derzeit in Deutschland lebten. "Das größte Problem für Europa sind die Flüchtlinge, die aus Libyen nach Italien aufbrechen."

Merkel hatte am Wochenende in ihrem wöchentlichen Video-Podcast kritisiert, die Anerkennungsquote tunesischer Asylbewerber sei niedrig. Sie werde mit Chahed "natürlich darüber sprechen, wie wir für die Zukunft sicherstellen können, dass schneller gearbeitet wird, insbesondere wenn es um Gefährder geht".

Opposition warnt vor Flüchtlingsdeal mit Tunesien

Grüne und Linke haben Merkel vor einem Flüchtlingsabkommen mit dem Maghreb-Staat gewarnt. "Angela Merkel darf mit Tunesien nicht den Fehler wiederholen, den sie im Umgang mit Erdoğan gemacht hat, und durch einen schmutzigen Flüchtlingsdeal das Land von westlicher Kritik abschirmen", sagte die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Linken-Chefin Katja Kipping forderte: "Kanzlerin Merkel muss von jeglichen Plänen Abstand nehmen, in Tunesien Flüchtlingslager einzurichten, und gegenüber dem tunesischen Premier auf die Einhaltung der Menschenrechte statt auf eine verschärfte Flüchtlingsabwehr drängen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3378082
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/AFP/ewid/lot
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.