Traumatisierte Veteranen:Der Krieg in uns

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Willi Butollo ist Jahrgang 1944, er kann sich noch genau an das Lebensgefühl in der Nachkriegszeit erinnern, als er im österreichischen Kärnten aufwuchs. Kriegsversehrte bestimmten das Straßenbild, eine kollektive Depression lastete auf der Gesellschaft und die unterschwellige Furcht, es könnte womöglich bald wieder losgehen mit dem nächsten großen Krieg. Dieselbe Stimmung spürte er, als er in den vergangenen Jahren als Psychologe auf dem Balkan tätig war.

Butollo ist Professor für Psychologie in München. Er leitet dort das Institut für Traumatherapie. Der Wissenschaftler und Therapeut beschäftigt sich seit 1985 mit Menschen, die mehr durchgemacht haben, als sie ertragen konnten. Es sind nicht nur Soldaten. Zu Münchner U-Bahnfahrern, die mitansehen mussten, wie sich Selbstmörder vor ihnen auf die Gleise warfen, kamen später Sanitäter und Feuerwehrleute hinzu, denen die Bilder von Unfällen nicht mehr aus dem Kopf gingen.

Kein Kriegsheld mehr, sondern Teil der Kaste der Ausgestoßenen

Sie alle zeigen mehr oder weniger ähnliche Symptome, die von der Weltgesundheitsorganisation als Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) zusammengefasst werden: Dazu zählen Schlafstörungen, erhöhte Wachsamkeit, Wutausbrüche, Schreckhaftigkeit. Entweder erinnern sich die Betroffenen immer wieder an das traumatisierende Geschehen oder aber - das andere Extrem - sie haben es aus ihrem Gedächtnis verdrängt.

Butollo mag den Begriff Posttraumatische Belastungsstörung nicht. Der Blick der Wissenschaft, sagt er, sei viel zu sehr auf die einzelnen Symptome fixiert; dabei fielen jene Betroffene, die nicht genau dem Schema entsprechen, durchs Raster der Diagnostik. Entsprechend skeptisch ist er, wenn vom Verteidigungsministerium Zahlen zu PTBS-Patienten veröffentlicht werden. Er hält sie für tendenziell zu niedrig. Außerdem hat Butollo festgestellt, dass die sozialen Folgen vernachlässigt werden: Wer an einem Trauma leidet, steigt im Beruf ab, verliert sein Selbstwertgefühl. Der Kampf mit der Versicherung demütigt. Seine Patienten, sagt er, würden oft von der Familie geschickt.

Auch Butollo selbst hat seine Erfahrungen mit der Angst gemacht. Während des Balkankrieges arbeitete er in den eingekesselten Enklaven Bosniens mit Ärzten und Psychologen. Er versuchte, die von der permanenten Furcht gezeichneten Kollegen aus ihrem "Autismus" herzuholen, wie er es nennt. Auf der Rückfahrt von einem Seminar musste Butollos UN-Fahrzeug ein Gebiet durchqueren, das unter Granatbeschuss lag. Da spürte er sie selbst, diese existentielle Bedrohung, die ihn plötzlich von den Menschen daheim in Deutschland entfremdete. Die niemanden außer ihn etwas anging.

Er verstand jetzt, warum Soldaten nicht zurück in den Frieden finden. Ihr Selbst ist gespalten: Ein Teil der Person lebt in der flauen Alltagswelt, der andere will zurück in den intensiven Grenzzustand des Krieges, so schrecklich er auch gewesen sein mag. Deshalb dienten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs so viele Wehrmachtssoldaten in der französischen Fremdenlegion. Sie zogen das neue Schlachtfeld in Indochina der Rückkehr ins ausgebombte Deutschland vor.

Nur in der Nähe zum Tod fühlten sie sich noch lebendig.

Er wäre gerne länger in Vietnam geblieben

Jetzt kehren wieder deutsche Soldaten aus dem Krieg zurück. Im Gegensatz zu früher werden sie diesmal nicht alleine gelassen. Psychologen der Bundeswehr kümmern sich um sie. Aber kann man Menschen überhaupt von ihrer peinigenden Erinnerung heilen? Die Opfer von Gewalt, sagt Butollo, müssten das Grauen in der Therapie nochmals durchleben, um es in ihr Leben einbauen zu können. Aktualisierung heißt das in der psychologischen Fachsprache. Und sie müssen sich von der Illusion verabschieden, alles könnte wieder so werden, wie es einmal war - vor dem Unfall, vor dem Vietnamkrieg und vor dem Einsatz in Afghanistan.

Für Claude Thomas beginnt der eigentliche Leidensweg, nachdem er aus dem Militärdienst entlassen wird. Er wäre gerne länger in Vietnam geblieben, denn der Krieg ist seine Heimat geworden. Hinter ihm liegen 625 Stunden Kampfeinsatz. Es ist nichts mehr, wie es einmal war. Da ist kein Therapeut, der auf ihn wartet. Er ist auch kein Kriegsheld mehr, er ist Vietnam-Veteran und gehört zur Kaste der Ausgestoßenen. Seine Gegenwart macht den Menschen ein schlechtes Gewissen.

Er erinnert sie daran, dass das Land einen Krieg geführt und verloren hat. Schlaflosigkeit zermürbt ihn. Er wird gewalttätig, betäubt sich mit Drogen, lebt zwei Jahre in einem ausgebrannten Autowrack. Weil er das Geschrei von kleinen Kindern nicht aushalten kann, verlässt er seine Frau und seinen Sohn. Er schmuggelt jahrelang Rauschgift von Afghanistan nach Iran. Darauf steht die Todesstrafe, aber genau dieses Risiko ist es, das er sucht.

Auf der letzten Seite stellt sich die Frage, ob es einen Kriegsgrund geben kann, der solche Opfer wert ist.

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