Traumatisierte Soldaten:Der Geruch des Todes

Ein splitterndes Glas kann Panik auslösen: Die Zahl deutscher Soldaten, die seelisch verwundet von Auslandseinsätzen zurückkehren, nimmt dramatisch zu.

Peter Blechschmidt

Mit heiler Haut sind sie davongekommen, aber ihre Seele ist schwer verwundet. Sie haben Menschen elendig sterben sehen und sind selbst dem Tod mit knapper Not entronnen. Viele Soldaten der Bundeswehr, die von einem Auslandseinsatz zurückkehren - speziell aus Afghanistan - haben Schreckliches durchgemacht, und nicht jeder kann das Gesehene verkraften. Manchmal zeigt sich erst nach Wochen und Monaten, wie sehr das innere Gleichgewicht durch das Erlebte gestört worden ist.

Traumatisierte Soldaten: Deutsche ISAF-Soldaten im afghanischen Kundus.

Deutsche ISAF-Soldaten im afghanischen Kundus.

(Foto: Foto: Reuters)

Posttraumatische Belastungsstörung, abgekürzt PTBS, haben die Mediziner diese Krankheit der Seele genannt. Griffiger ist allerdings die Bezeichnung "Rückkehrer-Trauma". Depressionen, Gereiztheit, Verschlossenheit und Suchtprobleme sind häufig auftretende Symptome bei Soldaten, die sich nach einem Einsatz in der Normalität der Heimat nicht mehr zurechtfinden. Der Geruch von gegrilltem Fleisch oder das Splittern eines Glases rufen die Erinnerung an Raketenbeschuss und Selbstmordattentate immer wieder wach.

Ein Fernsehfilm in der ARD hat am Montag einem Millionenpublikum ein Problem nähergebracht, das bis dahin von der breiten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen wurde. Zwar kennt man PTBS auch aus anderen Berufen, bei Feuerwehrleuten oder Lokführern etwa, doch in Bezug auf Soldaten war es lange Zeit ein Tabu-Thema. Mittlerweile aber hat auch die Politik erkannt, dass "angesichts steigender Fallzahlen und absehbarer zukünftiger Einsatzszenarien Handlungsbedarf" bestehe - so Union und SPD in einem Antrag an die Bundesregierung, der kommende Woche im Parlament verabschiedet werden soll.

Die Forderungen an die Regierung legen offen, wo bisher die Defizite liegen. So wird vorgeschlagen, ein PTBS-Forschungszentrum einzurichten, den "Wissenstransfer" mit zivilen Einrichtungen und mit alliierten Sanitätsdiensten zu intensivieren und die Betreuung von Soldaten nach dem Einsatz zu verbessern. Auch die Anregung des Bundeswehr-Verbandes wird aufgegriffen, in den Einheiten Telefonberater zu benennen, an die sich Soldaten auch anonym wenden können. Viele Soldaten versuchten, mit ihrem Trauma allein fertig zu werden, weil sie vor den Kameraden nicht als "Weichei" gelten wollten, sagt der Verbandsvorsitzende, Oberstleutnant Ulrich Kirsch.

Für die Vermutung einer hohen Dunkelziffer spricht auch die bisherige Informationspolitik des Verteidigungsministeriums. Noch kürzlich galt die Sprachregelung, dass die Zahl der PTBS-Fälle bezogen auf die Gesamtzahl der in den Einsatz entsandten Soldaten unter einem Prozent liege. In den Streitkräften der USA oder skandinavischer Länder beträgt dieser Wert vier bis fünf Prozent. Erst jetzt bequemte sich das Ministerium auf Drängen der FDP-Abgeordneten Elke Hoff zu der konkreten Mitteilung, wie sich die Zahl der PTBS-Fälle speziell in Afghanistan in den vergangenen drei Jahren entwickelt hat: von 55 im Jahr 2006 über 130 in 2007 bis zu 226 in 2008.

Angesichts dieser Tendenz wollen nun die Abgeordneten die Regierung zum Handeln zwingen. Dem Antrag von Union und SPD stimmten im Verteidigungsausschuss auch alle Oppositionsfraktionen zu, nachdem die Koalition im vorigen Sommer ähnliche Vorstöße von FDP und Linkspartei noch abgelehnt hatte. Der SPD-Berichterstatter Jörn Thiessen sieht darin "ein starkes Zeichen gegenüber denen im Ministerium, die das Thema nicht so spannend finden wie wir im Parlament".

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