Trauer um die Opfer:Mitten ins Herz

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Die Geschichten von Angehörigen und Freunden zeigen, wie unbegreiflich es ist, wenn ein Besuch im Einkaufszentrum tödlich endet.

Von Nina Bovensiepen, Tom Soyer und Susi Wimmer

Die Debatte um die Deutungshoheit über die schreckliche Tat von David S. wurde am Freitagabend nicht nur im Netz geführt. Auch am Tatort spielt sie an einem sehr besonderen Wochenende in München eine Rolle. Am Samstag, am Rande der Kranzniederlegung etwa, zu der unter anderem Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) und Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) erschienen sind. An der Stelle, an der ein Mensch am Freitag starb, steht nun Ali, zumindest stellt er sich so vor, ein 28-jähriger Mann, der zum Bekanntenkreis der Opfer zählt. Vor TV-Kameras gibt er eins ums andere Interview, in dem er sich auch immer wieder darüber aufregt, wie schnell am Freitagabend von einem "islamistischen Hintergrund" der Tat die Rede war. Dabei ist ja alles anders - hier gab es keinen islamistischen Anschlag auf Deutsche oder Münchner. Stattdessen hat David S. vor allem junge Menschen getötet, deren Familien aus Kosovo, der Türkei oder Griechenland stammen. "Er hat geschrien: Ich hasse Ausländer", sagt Ali. "Das ist scheiße, was ist das für eine traurige Welt? Wir haben hier doch alle zusammengelebt." Und jetzt leben einige der Freunde nicht mehr von Ali und den anderen, die hier stehen, die wütend sind oder traurig, die Interviews geben oder schweigen und weinen.

Die Opfer haben inzwischen teilweise Namen und Gesichter. Neun Menschen hat David S. getötet, hauptsächlich junge Menschen im Alter von 14 bis 20 Jahren, von denen einige miteinander befreundet waren. Auch eine 45 Jahre alte Frau ist darunter. Am Sonntagnachmittag meldet das bayerische Landeskriminalamt (LKA) die Staatsangehörigkeiten der Opfer: ungarisch, deutsch-türkisch, deutsch, türkisch, kosovarisch, griechisch und staatenlos. Gleichzeitig bewertete das LKA den Migrationshintergrund der meisten Opfer als Zufall.

Die Angehörigen der Opfer stehen unter Schock, Familienmitglieder, Freunde, Bekannte - jeder trauert auf seine Weise. Am OEZ werden Blumen niedergelegt und Kerzen angezündet, zum Teil treffen sich hier die Angehörigen, um zu trauern, viele Beileidsbekundungen laufen auch über die sozialen Netzwerke. Die Familie des 20-jährigen Dijamant Z. etwa teilt im Netz mit, dass ihr Sohn gestorben sei. Dijamant Z. lebte in Oberschleißheim, einer Gemeinde im Landkreis München. Der gebürtige Kosovare war als Auszubildender am Münchner Flughafen beschäftigt, er wäre in der kommenden Woche 21 Jahre alt geworden. Nachbarn, Freunde und Gemeindemitglieder legten am Wohnhaus der Familie Kerzen und Blumen nieder, der Bürgermeister kondolierte der Familie. Die Jugendfreizeitstätte, wo Dijamant Z. regelmäßiger Besucher war, organisierte am Sonntag ein gemeinsames Gedenken an der Stelle der Todesschüsse am OEZ.

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(Foto: Jens Meyer/AP)

Nach der Angst kam die traurige Gewissheit: Neun Menschen sind tot. Auf den Erinnerungsbildern wird deutlich, wie jung und lebensfroh die meisten Opfer waren.

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(Foto: Sebastian Widmann/AP)

Naim Z., Vater des 20-jährigen Dijamant, trauert öffentlich.

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(Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Andere stehen schweigend vor Blumen, Kerzen und Kreuzen.

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(Foto: Ian Langsdon/dpa)

Je suis Munich: Der Pariser Eiffelturm erstrahlt in den deutschen Farben Schwarz, Rot und Gold, um an die Opfer des Amoklaufs von München zu erinnern.

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(Foto: Adam Hunger/USA Today Sports)

In der ganzen Welt kommt es zu Gesten der Solidarität. In New York stehen die Baseball-Spieler der örtlichen Yankees für eine Gedenkminute still.

Der Fußballspieler Arbnor S. schrieb verzweifelt Nachrichten an seine Schwester Armela S.

Es gedenken natürlich auch viele, die keines der Opfer kannten. Auch Imam Benjamin Idriz beispielsweise besucht am Wochenende den Tatort, um sein Mitgefühl auszudrücken. Außerdem gibt er dem Sender Al Jazeera ein Interview. Er sei mit einem mulmigen Gefühl gekommen. Aber "ein bisschen erleichtert" sei er auch, gibt Idriz zu, "weil es keinen islamistischen Hintergrund gibt", so der Imam, der sich seit langer Zeit in München dafür starkmacht, ein Islamzentrum zu errichten. "Es war ein gezielter Angriff auf Jugendliche", und unter den Opfern seien mehrere Muslime sowie eben Menschen mit Migrationshintergrund.

Die Familie von Dijamant Z. stammt aus Kosovo, Sabine S., 14, und ihre Freundin Armela S., ebenfalls 14, haben kosovo-albanische Wurzeln. Die Familien sind miteinander so gut bekannt, dass zunächst die Nachricht kursierte, eine Familie habe drei Kinder verloren. Das korrigierte das Bayerische Rote Kreuz - das Spenden sammelt, damit die Getöteten nach Kosovo überführt und dort begraben werden können - dann aber. "Drei aus Kosovo stammende Familien haben bei dem Amoklauf Kinder verloren", hieß es dann. Der Außenminister der Republik Kosovo, Enver Hoxhaj, reiste am Samstag nach München, auch er wollte sein Mitgefühl ausdrücken. Nach einem Gespräch mit der bayerischen Europaministerin Beate Merk in der Staatskanzlei besuchte er die Familien. In Kosovo wurde am Sonntag Staatstrauer angeordnet.

Der junge Fußballspieler Arbnor S., der beim Bayernligisten FC Pipinsried im Dachauer Hinterland kickt, hatte am Freitagabend noch verzweifelt über Whatsapp versucht, Kontakt zu seiner 14-jährigen Schwester Armela S. herzustellen, von deren OEZ-Besuch er wusste. Es gab keinen Kontakt mehr zu ihr - sie war durch die Schüsse des Amokläufers getötet worden. Arbnors Fußballkameraden reagierten am Samstag schnell: Sie bekundeten Trauer, das für Samstag geplante Auswärtsspiel sagten sie ab.

(Foto: opfer_neu)

Auf anderen Fußballplätzen wurde der Opfer gedacht. Vor dem Regionalliga-Fußballspiel zwischen der SpVgg Unterhaching und dem VfR Garching am Samstag bildeten die Aktiven mit rund 300 Jugendspielern einen großen Kreis. Die Spielvereinigung war auch direkt betroffen: Einer der Toten, der 14 Jahre alte Can L., habe die Mittelschule neben dem Sportpark besucht und sei dort in eine der Fußball-Eliteklassen gegangen. Der 19-jährige Giuliano K., ein weiteres Opfer, war Torhüter der zweiten Herrenmannschaft des FC Aschheim, "immer fröhlich, immer am Lachen" sei er gewesen, sagen Mitspieler.

In der Roma-Gemeinschaft wird der Tod des 15-jährigen Roberto R. betrauert. "Auch ein Roma ist gestorben", heißt es dazu auf der Facebook-Seite "Die Nachrichten über das reisende Volk", ergänzt durch Segenswünsche für die Familie und Beileidsbekundungen.

Neben Can L. hatten Selcuk K., 15 Jahre alt, und Sevda D., 45, türkische Wurzeln. Dies teilte das türkische Außenministerium mit. Staatspräsident Erdoğan übermittelte den Familien seine Anteilnahme. Das griechische Außenministerium teilte mit, dass ein Opfer, Chousein D., 17, aus ihrem Land zu beklagen sei. Im Internet posten die Freunde der Getöten Fotos und Einträge wie "Hoffentlich seid ihr im Paradies!!!"

© SZ vom 25.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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