Tourismus:Lust auf Russland

Trotz Terror und Krisen: Der Markt der Studienreisen wächst. Die Türkei profitiert davon jedoch nicht.

Von Jochen TEmsch

Der perfekte Urlaubstag in Isfahan, Iran: erst die Freitagsmoschee der Seldschuken besuchen, dann in einem Feuertempel mit einem zoroastrischen Priester reden, am Abend Hühnchen in Granatapfel-Sauce essen. Zum Beispiel auf einer organisierten Studienreise. Trotz der aktuellen Proteste, bei denen viele Menschen getötet wurden, auch in der Region um Isfahan, finden solche Touren statt. So hält sich eine Gruppe des größten deutschen Studienreisen-Anbieters Studiosus in der persischen Welterbe-Stadt auf. Den Teilnehmern gehe es gut, das Besichtigungsprogramm verlaufe wie geplant, man meide alle Protestkundgebungen, sagt der Sprecher des Unternehmens, Frano Ilic.

Dennoch läuft das Geschäft nicht ganz wie gewöhnlich weiter: Nach Jahren des touristischen Booms in Iran verzeichnet die Branche einen Rückgang des Interesses an dem Land. Tausende Deutsche besuchten Iran, nachdem der als gemäßigt geltende Hassan Rohani im Jahr 2013 die Präsidentschaft der Islamischen Republik übernommen hatte. Es spricht auch für die Öffnung des Landes, dass mit den Touristen westliche, kapitalistische Sitten einzogen: Die gestiegene Nachfrage trieb die Preise hoch. So langsam scheint die Neugier auf eine der wenigen bislang für Touristen als sicher geltenden islamischen Regionen gestillt zu sein. Bei Studiosus geht die Zahl der Iranbesucher zurück, 2257 Gäste waren es noch 2017. Auch Kuba und Island sinken in der Gunst - die Preise sind vielen inzwischen zu hoch. Einzelne Gästerückgänge bedeuten jedoch nicht, dass die Branche schwächeln würde. Im Gegenteil. 2017 verlief für sie besser denn je.

Studiosus, Gebeco, Windrose, Wikinger Reisen - alle meldeten Gäste- und Umsatzrekorde. Das ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil ihre Kundschaft sich intensiv mit ihrem Urlaubsland beschäftigt und daher besonders sensibel nicht nur auf Terror und Krisen, sondern auch auf politische Veränderungen reagiert. "Unsere Gäste lesen Zeitung, sie machen sich schlau. Sie wollen nicht nur Kirchen besichtigen, sondern die Menschen und ihre Kultur kennenlernen", sagt Frano Ilic. Dabei überrascht es nicht, dass Italien und Spanien zu den beliebtesten Zielen gehören, Griechenland wieder sehr stark aufgeholt hat - die Türkei im vergangenen Jahr jedoch keinen einzigen Studiosus-Gast anlockte. Aufhorchen lässt dagegen das große Interesse an Russland. Für Gebeco-Chef Ury Steinweg war 2017 "unser bestes Russlandjahr ever". Die Annexion der Krim und der Konflikt im Donbass scheinen in Vergessenheit geraten zu sein. "Aktuell ist der Wunsch größer, das Land zu sehen, als die Abneigung gegen Putin", sagt Ilic. Für 2018 sieht es nach einer noch größeren Nachfrage aus - trotz Fußball-WM, einem Großereignis, das Studienreisende in der Regel eher abschreckt. Auch Südafrika hat Hochkonjunktur. Der Wechselkurs ist günstig, das Land gilt als sicher - zumindest, was die diffuse Angst vor Terror angeht.

Trotzdem darf man sich bei diesen Trends keine Touristenmassen vorstellen, die sich nun auf nach Kapstadt oder St. Petersburg machen. Mit allen deutschen Studienreisen-Veranstaltern zusammen verreisen pro Jahr etwa 300 000 Urlauber, mit dem Tui-Konzern dagegen etwa sechs Millionen.

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