Süddeutsche Zeitung

Vorgetäuschter Mord an Babtschenko:Tot für einen Tag

  • Der ukrainische Geheimdienst hat nach eigenen Angaben die Ermordung des russischen Journalisten Babtschenkos vorgetäuscht.
  • Geheimdienstchef Grizak zufolge wollen die Ermittler dadurch den Hintermann identifiziert und festgenommen haben, der hinter den monatelangen Drohungen gegen Babtschenko stecken soll.
  • Babtschenko selbst wurde vor einem Monat in die Geheimdienst-Operation eingeweiht - nicht aber seine Angehörigen.

Von Florian Hassel, Warschau

In Moskau lief gerade eine Trauerkundgebung, zu der seine ehemaligen Kollegen sich trafen, als der tags zuvor ermordete Arkadi Babtschenko wieder unter die Lebenden trat. Babtschenko, 41 Jahre alt, einer der berühmtesten Kriegsreporter Russlands und nach Drohungen gegen ihn aus Moskau in die Ukraine geflohen, war am Dienstagabend vor seiner Wohnung in Kiew von einem Profikiller erschossen worden - während seine Frau im Badezimmer war. Das jedenfalls glaubten nicht nur Babtschenkos Frau und Tochter, das glaubte die ganze Welt - und sah in dem Tod des kremlkritischen Journalisten einen weiteren Denkzettel für alle, die es wagen, die russische Führung zu kritisieren.

Doch als der Chef des ukranischen Geheimdienstes SBU, Wassili Grizak, am Mittwochnachmittag eine Pressekonferenz zum Fall Babtschenko gab, hielt er gleich zwei Überraschungen parat: Der Fall sei aufgeklärt, so der Geheimdienstchef - und bat dann Babtschenko selbst in den Raum. Der knapp einen Tag zuvor totgeglaubte Journalist erklärte den verblüfften Zuhörern, seine - vorgetäuschte - Ermordung am Vorabend sei Teil einer seit Monaten vorbereiteten Aktion des Geheimdienstes gewesen, um nach massiven Drohungen gegen Babtschenko den mutmaßlichen Auftragsmörder zu fangen.

Grizak zufolge wollen die Ermittler den Hintermann - einen Ukrainer - identifiziert und festgenommen haben. Ihm habe der russische Geheimdienst 40 000 Dollar (etwa 34 500 Euro) gezahlt, damit er Babtschenko ermorden lasse. Der Ukrainer habe dann einen Auftragskiller angeworben, der zuvor beim Krieg im Osten der Ukraine gekämpft habe. Ihm habe er 15 000 Dollar im Voraus gezahlt, die zweite Hälfte habe er nach dem Mord bekommen sollen. Der Geheimdienst habe vom geplanten Mord erfahren und den Auftragsmörder in spe als Doppelagent angeheuert. Der Mord am Dienstagabend sei dann in Babtschenkos Wohnung inszeniert worden - ohne Wissen seiner Familie.

"Ich habe meine Freunde und Kollegen oft selbst beerdigen müssen"

Babtschenkos Frau hörte Schüsse, als sie im Badezimmer war, und fand ihren Mann blutüberströmt auf dem Boden. Sie rief Polizei und Krankenwagen. Babtschenko starb, so schien es, auf dem Weg ins Krankenhaus - bis er am Mittwochabend wieder unter die Lebenden trat und sich bei seiner Frau und allen anderen enschuldigte, die ihn für tot gehalten hatten. "Ich möchte mich für das, was ihr gefühlt habt, entschuldigen. Ich habe meine Freunde und Kollegen oft selbst beerdigen müssen", sagte Babtschenko. "Es tut mir leid, aber es gab keine andere Möglichkeit, als es so zu tun. Ich möchte mich vor allem bei meiner Frau für die Hölle, durch die sie gegangen ist, entschuldigen."

Arkadi Babtschenko machte sich ab 2000 mit der Berichterstattung aus dem Tschetschenienkrieg einen Namen und arbeitete danach als Kriegsreporter für die Moskauer Wochenzeitung Nowaja Gaseta, den Radiosender Echo Moskaus und für damals noch unabhängige russische Fernsehsender. Babtschenko berichtete später auch vom Maidan und dem Konflikt auf der Krim und trat gegen die russische Annexion der Krim, gegen Moskaus Krieg in der Ostukraine und generell als scharfer Putin-Kritiker auf.

Babtschenko machte sich bei vielen Russen unbeliebt, als er nach dem Absturz eines russischen Militärflugzeugs über dem Schwarzen Meer am 25. Dezember 2016 auf Facebook kommentierte, ihm persönlich sei der Tod der 92 beim Absturz ums Leben gekommenen russischen Militärs angesichts des massenhaften Todes, den Russland in die Ukraine und nach Syrien gebracht habe, "völlig egal". Das russische Flugzeug war vor allem mit Mitgliedern eines Militärchors besetzt, der vor russischen Soldaten in Syrien auftreten sollte. Nach dem Facebook-Posting verstärkten sich Beschimpfungen und Drohungen gegen Babtschenko. Im Februar 2017 musste er Moskau nach wiederholten Drohungen gegen ihn und seine Familie verlassen, war zunächst in Prag und Israel, bevor er im August 2017 nach Kiew zog und dort wieder als Journalist und Autor arbeitete.

Babtschenko selbst wurde vor einem Monat in die Operation eingeweiht

Geheimdienstchef Grizak sagte, der ukrainische Auftraggeber des Mordkomplotts gegen Babtschenko habe bereits ein Flugticket gekauft und habe sich nach dem Mord über ein drittes Land nach Russland absetzen wollen. Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU haben ihn jedoch festgenommen. Grizak zufolge habe der Mann im Auftrag des russischen Geheimdienstes nicht nur den Mord an Babtschenko, sondern die Ermordung von insgesamt 30 in der Ukraine lebenden Russsen organisieren sollen, vor allem von Kreml-kritischen Journalisten und Bloggern. Der SBU-Chef lehnte es ab, die Namen der 29 anderen angeblich im Visier des russischen Geheimdienstes stehenden Russen zu nennen. Babtschenko selbst wurde vor einem Monat in die Operation eingeweiht - nicht aber seine Angehörigen. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko befahl unterdessen Personenschutz für Babtschenko rund um die Uhr.

Die russische Regierung hatte zuvor die angebliche Ermordung der Journalisten "scharf verurteilt" und wies den Vorwurf, darin verstrickt zu sein, zurück. Nach der Kehrtwende in dem Fall hieß es, man sei erleichtert darüber, dass Babtschenko am Leben sei, zugleich kritisierte die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa den "propagandistischen Effekt" des Geheimdiensteinsatzes.

Ein Sprecher der Organisation Reporter ohne Grenzen erklärte, trotz der Freude über Babtschenkos Gesundheit habe man kein Verständnis für das Vorgehen der ukrainischen Behörden. Es sei "bedauerlich", dass die Kiewer Polizei "mit der Wahrheit gespielt hat". Auch der russische Investigativ-Journalist Andrej Soldatow übte Kritik: "Ich bin froh, dass er lebt, aber er hat der Glaubwürdigkeit der Journalisten und der Medien weiteren Schaden zugefügt."

SBU-Chef Grizak zufolge wollen die Ukrainer indes in der Lage gewesen sein, "die Vorbereitung dieses schändlichen Verbrechens durch die russischen Geheimdienste zu dokumentieren". Belege dafür wurden auf der Pressekonferenz in Kiew, an der auch der ukrainische Generalstaatsanwalt Jurij Luzenko teilnahm, allerdings nicht vorgestellt.

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