Süddeutsche Zeitung

Ukraine-Krise:Blinken muss aufräumen

US-Präsident Biden hat offen Differenzen in der Nato angesprochen über die Reaktion auf eine Aggression Russlands spekuliert. Sein Außenminister versucht in Berlin, die erheblichen Irritationen in Europa abzubauen.

Von Paul-Anton Krüger, Berlin

Auf der Treppe neben dem roten Teppich im Auswärtigen Amt stehen die Flaggen der USA und Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands. Der amerikanische Außenminister Tony Blinken ist aus Kiew nach Berlin gekommen, um sich mit seinen Kollegen der transatlantischen Quad abzustimmen, wie Diplomaten das Format nennen. Auch der französische Ressortchef Jean-Yves Le Drian ist eigens eingeflogen, aus London kann Gastgeberin Annalena Baerbock Staatsminister James Cleverly begrüßen, dessen Chefin Liz Truss wiederum gerade Australien besucht.

Es hätte ein neuerliches und hochrangiges Signal der Geschlossenheit werden sollen, bevor Blinken an diesem Freitag in Genf seinen russischen Kollegen Sergej Lawrow trifft. In Washington hatte man die Zusage für das persönliche Gespräch als Indiz gewertet, dass Russland ungeachtet aller harschen öffentlichen Äußerungen, weitere Gespräche mit dem Westen seien sinnlos, doch noch interessiert ist an Verhandlungen.

Für das Telefonat, in dem das Treffen vereinbart wurde, hatte Lawrow vorzeitig das gemeinsame Mittagessen mit Baerbock in Moskau verlassen müssen. Im US-Außenministerium verband man mit dem Termin in der Schweiz die Hoffnung, dass sich der drohende Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine vielleicht noch abwenden lässt.

Doch jetzt muss Blinken damit umgehen, was Präsident Joe Biden zu dem Thema in der Nacht in den Raum gestellt hat. Vieles hört sich anders an, als die Einigkeit zwischen den Nato-Staaten, den Mitgliedern der EU und den G7, die Baerbock auch in der gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag wieder beschwört. Es gebe Differenzen, wie man reagiere, wenn Präsident Wladimir Putin nur eine kleinere Invasion befehle, sagte Biden in einer Pressekonferenz. "Meine Vermutung ist, er wird reingehen", fügte er hinzu. "Er muss irgendetwas tun." Das klingt ganz anders, als der vorsichtige Optimismus aus Blinkens Umfeld.

In der Ukraine reagiert Präsident Selenksij verbittert

Nicht nur in Berlin sind Diplomaten schwer irritiert über diese Äußerungen Bidens, der schon einmal mit einer dahingesagten Ankündigung einen Proteststurm in Osteuropa ausgelöst hat. Vor ein paar Wochen hatte er beim Einsteigen in seinen Hubschrauber verkündet, er werde zusammen mit den wichtigsten europäischen Nato-Alliierten mit Moskau verhandeln. Seither gibt es kein Statement der Amerikaner, in dem sie nicht versichern, dass sie nicht über die Ukraine entscheiden ohne die Ukraine und die Sicherheit Europas nur diskutiert wird, wenn die Europäer am Tisch sind.

Diesseits des Atlantiks loben Diplomaten die enge Abstimmung ebenso, auch am Donnerstag. In Kiew dagegen, wo Blinken gerade herkommt, twittert Präsident Wolodimir Selenskij verbittert, er wolle die Großmächte daran erinnern, dass es "keine geringfügigen Invasionen" gebe und auch keine kleinen Staaten. Genauso wie es keine geringfügigen Opfer gebe und Angehörige nicht nur ein wenig trauerten. "Ich sage dies als Präsident einer Großmacht", schließt der Tweet.

Blinken müht sich, die Äußerungen seines Chefs geradezurücken, ohne ihm offen zu widersprechen. Er habe Biden so verstanden, dass der wie die US-Geheimdienste nach wie vor davon ausgehe, dass Putin noch nicht entschieden habe, ob er einen Angriff auf die Ukraine befehlen werde, sagt er im Auswärtigen Amt. Jedenfalls würden die USA jeglichen Grenzübertritt russischer Truppen als Aggression werten. Und die würde eine "schnelle, ernsthafte und gemeinsame Antwort" der westlichen Verbündeten nach sich ziehen.

Das Treffen mit Lawrow sei eine "entscheidende Weggabelung", sagt Blinken

Baerbock und er, die sich am Donnerstag bereits zum dritten Mal persönlich trafen, versuchen, sich die Bälle zuzuspielen. "Wir sind uns einig, der einzige Weg aus der Krise ist ein politischer Weg, und dieser Weg führt nur über den Dialog", sagt die Bundesaußenministerin. "Leider spricht das russische Verhalten weiterhin eine andere Sprache." Sie bekräftigt dann noch einmal "unmissverständlich" die Haltung der USA und auch der Europäer und fordert Russland "dringend auf, Schritte zur Deeskalation zu unternehmen". Blinken betonte, welchen Weg Russland auch immer wähle, es werde die USA und ihre Verbündeten vereint vorfinden.

Von einer entscheidenden Weggabelung spricht Blinken mit Blick auf sein Treffen mit Lawrow. Putin könne sich entscheiden zwischen Konflikt und Konsequenzen oder Diplomatie und Kooperation. Die verschiedenen Verhandlungsformate der vergangenen Woche hätten geholfen, die Bereiche zu identifizieren, über die man sprechen könne. Baerbock macht noch einmal klar, was nicht zur Disposition steht: "die europäische Friedensordnung, die für uns existenziell ist". Blinken habe die Verpflichtung der USA auf die Souveränität und die territoriale Integrität der Ukraine bekräftigt, erklärt das US-Außenministerium. Im Kreml allerdings wird man genau sezieren, wer sich wohl wie sehr daran gebunden sieht.

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