Süddeutsche Zeitung

Tönnies-Schlachthaus:"Freiwillig keinen Cent an Herrn Tönnies"

In der Fleischfabrik von Clemens Tönnies im Kreis Gütersloh werden nach der Corona-Pause wieder 8000 Schweine geschlachtet - und Minister Laumann ist angriffslustig.

Von Jana Stegemann, Düsseldorf

Auf dem Dach von Deutschlands größter Schlachterei drehte sich auch am verregneten Donnerstagmorgen das Gestell mit dem fröhlichen Tiertrio: Ein kleines rosafarbenes Schweinchen, dahinter eine schwarz-weiß gefleckte Kuh und ein massiger Bulle mit Nasenring. Die Schwänze von Kuh und Bulle bilden ein Herz, alle drei Tiere lächeln. Soweit die Fernsehbilder.

Weiter unten in den riesigen Hallen der Fleischfabrik ging es vermutlich weitaus weniger fröhlich zu: Dort wurden seit dem frühen Morgen wieder Tausende Tiere geschlachtet, geplant war die Tötung von 8000 Schweinen am ersten Tag. Beamte des Arbeitsschutzes bewachten nach Angaben von Nordrhein-Westfalens Arbeits- und Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) die Einhaltung der Hygienevorschriften. Reporterinnen und Reporter waren nicht zugelassen.

Erlaubt sein soll ab sofort auch wieder die Zerlegung der Schweine, wie am Abend bekannt wurde. Die 2714 Mitarbeiter des Bereichs sollen ihre Arbeit schrittweise wieder aufnehmen.

Dass nach dem massenhaften Corona-Ausbruch mit mehr als 1500 Infizierten und dem daraufhin von den Behörden angeordneten vierwöchigen Produktionsstopp bei Tönnies in Rheda-Wiedenbrück wieder Tiere geschlachtet werden, macht viele Schweinemäster und Schweinemästerinnen sehr froh.

Andere Menschen sind weniger begeistert: Aktivisten der Umweltorganisation Greenpeace landeten am Donnerstagmorgen mit zwei motorisierten Gleitschirmen auf dem Dach neben den lächelnden Comictieren, blockierten den Zugang zur Dachfläche - und befestigten ein gelbes Banner mit dem Schriftzug "Schluss mit dem Schweinesystem" neben dem Tönnies-Logo.

Danach sollen sie noch das Stromkabel des Firmenemblems mit den drei Tieren durchtrennt haben. Der Protest richtete sich gegen die prekären Arbeitsbedingungen in der Schlachtindustrie. Mit Werkverträgen werden vor allem Arbeiter und Arbeiterinnen aus Rumänien und Bulgarien seit Jahren ausgebeutet.

Der Minister spricht von "organisierter Verantwortungslosigkeit"

Minister Laumann ist kein Greenpeace-Aktivist, aber er mahnt seit Jahren die Zustände in der Branche an. Im ZDF-Morgenmagazin polterte Laumann dann auch in gewohnter Manier los. "Die Arbeitsverhältnisse in der deutschen Fleischindustrie sind eine organisierte Verantwortungslosigkeit. Für mich ist völlig klar: Die Werkverträge und Zeitarbeit müssen verboten werden." Darum sei er froh über den Vorstoß von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

Auch Tönnies hatte vor Kurzem angekündigt, Werkverträge bis Ende des Jahres abschaffen zu wollen. Nach eigener Aussage arbeitet Laumann zudem an einer Arbeitsschutz-Gebührenordnung, da er gerade zahlreiche Landesbeamte für Kontrollen in die Schlachtbetriebe entsenden muss, "weil mein Vertrauen in die Schlachtindustrie bei unter null ist".

Die Kosten dafür müsse die Industrie bezahlen, nicht der Steuerzahler, findet Laumann.

Fleischproduzent Clemens Tönnies hatte vor mehreren Tagen beim Land NRW eine Entschädigung für Lohnzahlungen an Mitarbeiter gestellt, die wegen des massenhaften Corona-Ausbruchs in seinem Betrieb unter Quarantäne gestellt wurden. Das Infektionsschutzgesetz sieht Ausgleichszahlungen für Firmen vor, die unverschuldet durch Corona-Auflagen in Not geraten sind.

CDU-Politiker Laumann glaubt aber, dass Tönnies kein Schadenersatz zusteht: "Sie können ganz sicher sein, dass die Behörden in Nordrhein-Westfalen freiwillig keinen Cent an Herrn Tönnies bezahlen werden."

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SZ vom 17.07.2020/odg
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