Süddeutsche Zeitung

USA:Die Maschinerie des Todes hat ein Ende

In keinem US-Bundesstaat wurden so viele Menschen hingerichtet wie in Virginia. Nun hat das Parlament ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Todesstrafe abgeschafft wird.

Von Alan Cassidy, Washington

Es gibt in den USA Bundesstaaten, in denen die Todesstrafe lange Zeit legal war und es zum Teil immer noch ist, in denen aber über all die Jahre nur wenige Menschen - oder gar keine - tatsächlich hingerichtet wurden.

Virginia ist keiner dieser Staaten. In Virginia hat die Todesstrafe Tradition. Sie begann 1608 in der Kolonie von Jamestown, einer sumpfigen Insel auf dem James River, wo ein englischer Kapitän vor ein Erschießungskommando gestellt wurde. George Kendall wurde vorgeworfen, für die spanische Krone spioniert zu haben. Es war der erste dokumentierte Vollzug der Todesstrafe in der Neuen Welt.

Seither hat Virginia, die Zeit als britische Kolonie eingeschlossen, so viele Menschen hingerichtet wie kein anderer US-Bundesstaat: 1400. Alleine seit der Wiedereinführung der Todesstrafe 1976 waren es 113 Exekutionen, nur in Texas waren es mehr. Der letzte Mann, der hingerichtet wurde, war ein mutmaßlich psychisch Kranker, der zwei Polizisten erschossen hatte. William Morva starb 2017 durch eine Giftspritze. Der damalige Gouverneur hatte eine Begnadigung abgelehnt, die auch von der Familie eines Opfers unterstützt worden war.

Vor diesem Hintergrund ist das, was in Virginia gerade geschieht, eine Zeitenwende. Das Parlament in Richmond hat Anfang der Woche ein Gesetz verabschiedet, mit dem die Todesstrafe abgeschafft wird. Der demokratische Gouverneur Ralph Northam will das Gesetz in den nächsten Tagen unterschreiben. "Es ist Zeit, dass wir dieser Maschinerie des Todes ein Ende bereiten", schrieb Northam in einer gemeinsamen Stellungnahme mit den demokratischen Spitzen des Parlaments. Virginia ist der 23. von 50 Bundesstaaten, der die Todesstrafe abschafft - aber der erste Staat der ehemaligen Konföderation.

Im einst konservativen Staat haben die Demokraten nun die Mehrheit

Northams klare Positionierung sei einer von mehreren Gründen, die zu diesem Punkt geführt hätten, sagt Dale Brumfield von der Organisation "Virginians for Alternatives to the Death Penalty". Als die Organisation Anfang der 1990er-Jahre ihre Kampagne gegen die Todesstrafe begann, sei es vor allem darum gegangen, die damals hohe Zahl der Hinrichtungen zu senken, sagt der Aktivist. Eine vollständige Abschaffung sei aber politisch chancenlos gewesen. Das änderte sich in den vergangenen Jahren.

Im einst sehr konservativen Bundesstaat wurden die Demokraten zuletzt immer einflussreicher. Ende 2019 errangen sie die Kontrolle über beide Parlamentskammern. Gleichzeitig öffnete sich die Partei in gesellschaftlichen Fragen. Frühere Vertreter hätten es oft nicht gewagt, sich öffentlich gegen die Todesstrafe zu stellen, sagt Brumfield. "Heute reagieren sie darauf, dass die Akzeptanz in der Bevölkerung für die Todesstrafe gesunken ist."

Der Historiker hielt in den vergangenen Jahren Vorträge im ganzen Bundesstaat und organisierte Kundgebungen. Wenn er dabei vor konservativem Publikum auftrat, sprach er viel über die hohen Kosten, die eine Hinrichtung im Vergleich zur lebenslangen Haft nach sich zieht. Vor eher linksliberalen Zuhörern sprach er dagegen oft über die Tatsache, dass sich die Todesstrafe nicht ohne den Rassismus denken lässt, der die Strafjustiz in Virginia lange prägte.

Vollstreckt wurde die Todesstrafe überdurchschnittlich oft an Afroamerikanern. Bis 1848 konnten weiße Amerikaner von Gesetzes wegen nur wegen Mordes hingerichtet werden, versklavte Menschen dagegen für eine Vielzahl anderer Verbrechen. In der Praxis galt dies noch länger. Laut dem Death Penalty Information Center wurden zwischen 1900 und 1969 73 Afroamerikaner wegen Vergewaltigung, versuchter Vergewaltigung oder Raub hingerichtet, Weiße dagegen nur wegen Mordes.

Kritiker sprachen von einem "Blutrausch" unter Trump

Man könne eine direkte Verbindung ziehen zwischen den rassistischen Lynchmorden, die in Amerikas Südstaaten verbreitet waren, und den Hinrichtungen im Rahmen der Todesstrafe, sagt die Baptisten-Pfarrerin LaKeisha Cook, die sich gemeinsam mit anderen Geistlichen gegen die Todesstrafe einsetzt. Die Black-Lives-Matter-Proteste im vergangenen Sommer hätten bei vielen Menschen das Verständnis für die historischen Zusammenhänge geweckt.

Und dann war da auch noch Donald Trump. Unter seiner Führung nahm die Bundesregierung die auf Bundesebene ausgesetzte Vollstreckung von Todesurteilen wieder auf. In den letzten Monaten von Trumps Amtszeit ließ die Administration 13 Straftäter hinrichten. Das waren dreimal so viele Exekutionen wie in den gesamten sechs Jahrzehnten zuvor. Kritiker sprachen von einem "Blutrausch". LaKeisha Cook sagt: "All dies hat das Problem der Todesstrafe vielen Leuten erst richtig bewusst gemacht."

Trotzdem folgte die Abstimmung im Landesparlament in Richmond größtenteils den parteipolitischen Fronten. Einige Republikaner hatten vergeblich gefordert, die Todesstrafe für den Mord an Polizisten beizubehalten. Sie wurden von den Demokraten überstimmt. Direkte Folgen hat die Entscheidung des Parlaments für die zwei Männer, die in Virginia aktuell noch im Todestrakt sitzen: Ihre Hinrichtungen waren für 2023 oder 2024 vorgesehen. Nun wird ihr Todesurteil in lebenslange Haft umgewandelt.

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