Süddeutsche Zeitung

Todesstrafe:Hinrichtungen sind geschäftsschädigend

Die Pharmafirma Pfizer liefert kein Gift mehr an US-Henker. Das hat nicht nur moralische Gründe, mutig ist der Schritt trotzdem.

Kommentar von Andrian Kreye

Man unterstellt Konzernen gerne, dass sie Entscheidungen nur im Sinne ihrer Aktionäre fällen. Wenn nun der Pharmakonzern Pfizer verkündet, er werde Medikamente, aus denen man den Todescocktail für Hinrichtungen mischen kann, nicht mehr an US-Gefängnisse und Henker verkaufen, sucht man sofort nach den eigentlichen Motiven.

Für Moral war der Pfizer-Konzern bisher nicht bekannt. Seine Verwicklung in Menschenversuche an Kindern in nigerianischen Slums dienten dem Schriftsteller John le Carré beispielsweise als Vorlage für seinen Thriller "Der ewige Gärtner". Und erst vor zwei Jahren einigte sich der Konzern mit der halbstaatlichen US-Krankenversicherung Blue Cross Blue Shields auf einen Vergleich, weil er Ärzte mit Karibik-Reisen und vierstelligen Honoraren geködert hatte, seine Medikamente zu verschreiben.

Außerdem gilt Pfizer mit seinen Bestsellern gegen Cholesterin, Sodbrennen und Erektionsstörungen als Musterfall einer Industrie, die lieber Lifestyle-Medikamente gegen Zivilisations-Wehwehchen entwickelt als Mittel gegen Seuchen und Tropenkrankheiten.

Mutig ist der Schritt trotzdem. Man ist sich in der freien, demokratischen Welt zwar einig, dass die Todesstrafe moralisch unvertretbar ist. Doch Amerika bleibt da Ausnahme. In 31 der 50 Bundesstaaten ist die Todesstrafe noch Gesetz, sechs haben sie im vergangenen Jahr vollstreckt. Die konservative Stiftung Heritage Foundation warf Pfizer auch schon vor, sie habe sich von Interessensgruppen nötigen lassen, eine wichtige Abschreckungsmethode zu unterminieren. So prominenter Widerstand ist in Washington politisches Gift.

Eine gute Nachricht: Moral wirkt sich auf Börsenkurse aus

Im Vorwurf der Heritage Foundation steckt aber auch die eigentliche Motivation von Pfizer. Die Firma ist ein Weltkonzern. Gerade in Europa, aber auch in den meisten anderen Ländern, sowie bei einem wachsenden Teil der amerikanischen Bevölkerung wäre ein Image als Lieferant für Henker untragbar. Nun hat Pfizer die Firma Hospira, welche die fragliche Medikamente herstellt, zwar erst im vergangenen Jahr gekauft (und es gibt unzählige medizinisch wertvolle Anwendungen für sie). Allerdings hatte Hospira 2014 auch die Mittel für eine verpfuschte Hinrichtung in Ohio geliefert, bei der ein Todeskandidat 25 Minuten lang leiden musste.

Weil Pfizer aber derzeit auf einem extremen Wachstumskurs ist, kann sich der Konzern Rückschläge nicht leisten. Das aber ist eine gute Nachricht. Wenn die Moral sich inzwischen massiv auf die Börsenkurse eines Weltkonzerns auswirkt, dann haben Bürger und Konsumenten einen mächtigen Hebel der Mitsprache.

Die 31 amerikanischen Bundesstaaten suchen unterdessen nach alternativen Hinrichtungsmethoden, denn Pfizer war der letzte Lieferant. Gesetzlich erlaubt wären in einigen Staaten das Erschießungskommando, die Gaskammer, der elektrische Stuhl und der Strang. Angeblich gibt es aber auch einen Schwarzmarkt für solche Medikamente, auf dem sich Henker bei Engpässen schon länger versorgt haben.

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Quelle:
SZ vom 17.05.2016
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