"Todeslisten":Deckname Nordkreuz

Sollten die Daten veröffentlicht werden, die potenzielle Rechtsterroristen über ihre Gegner sammelten?

Von Florian Flade und Georg Mascolo

Anfang des Monats bekamen einige Abgeordnete des Deutschen Bundestages Post vom Bundeskriminalamt (BKA). Man habe "Datensammlungen aus dem rechten Spektrum" geprüft und sehe "keine Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung". Der Begriff "Todeslisten", der im Zusammenhang mit den Daten oft verwendet werde, entspreche "nicht den tatsächlichen Sachzusammenhängen". Also kein Grund zur Panik? Spitzenpolitiker sehen das anders. Und die Frage, ob die "Todeslisten" an die Öffentlichkeit gehören, gehen nun auch vor Gericht.

Im August 2017 hatte der Generalbundesanwalt die Wohnungen von mutmaßlichen Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern durchsuchen lassen. Im Mittelpunkt des Verfahrens wegen der "Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat" stehen ein Lokalpolitiker und ein Kriminalpolizist. Sie sollen der sogenannten "Prepper"-Szene angehören, die sich für einen "Tag X" rüstet. Über eine Chatgruppe mit den Namen "Nordkreuz" sollen sie mit Gleichgesinnten in Kontakt gestanden haben.

Gefunden wurde auch eine Materialliste mit dem Vermerk "Leichensäcke"

Inzwischen sind weitere Mitglieder der "Nordkreuz"-Gruppe ins Visier der Justiz geraten. Darunter aktive und ehemalige SEK-Polizisten, die 60 000 Schuss Munition und eine illegale Schusswaffe gehortet hatten. Gefunden wurde bei ihnen eine Materialliste, auf der auch "Leichensäcke" vermerkt waren, und Datenträger mit Namen, Adressen und weiteren Angaben von insgesamt 25 000 Personen. Hatte sich "Nordkreuz" darauf vorbereitet, an "Tag X" politische Gegner zu ermorden?

Die Politik zeigt sich alarmiert, zumal es Todeslisten schon beim Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) gab. "Die neuen, schrecklichen Details über die rechtsextreme Gruppe Nordkreuz müssen alle wachrütteln", schrieb SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil bei Twitter. Die Vorsitzende der Linken, Katja Kipping, verlangte, dass "die 25 000 Personen, die auf den Todeslisten des rechten Terrornetzwerkes stehen, umgehend informiert werden".

In den Sicherheitsbehörden wird jedoch vor Hysterie gewarnt. Ein Großteil der Personendaten stamme aus einem Leak bei einem linken Onlineversandhandel und kursiere seit Jahren im Netz. Bei 29 Personen, die auf "Nordkreuz"-Listen standen, hatte es allerdings Ergänzungen geben. Diese Informationen könnten unrechtmäßig über Polizeicomputer beschafft worden sein. Die Ermittlungen dazu laufen, mit den Betroffenen hat das BKA Gespräche geführt.

Eine konkrete Tatplanung sei allerdings bislang nicht erkennbar, heißt es aus dem BKA. Dennoch hat es inzwischen an mehrere Bundesländer seine Einschätzung übersandt. Dort müssen die Landespolizeien entscheiden, ob die aufgelisteten Personen informiert werden. Einzelne Länder, etwa Hessen, haben angekündigt, dies tun zu wollen.

Der Journalist und Aktivist Arne Semsrott vom Portal fragdenstaat.de will das BKA indes per Klage zur Herausgabe der Namenslisten zwingen. Die Menschen auf den Listen hätten ein Recht, informiert zu werden. Das BKA verweigert eine Veröffentlichung bislang mit Verweis auf laufende Ermittlungen. An diesem Montag soll der Fall vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden verhandelt werden.

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