Bin Laden als Wahlkampfthema:Wie der Präsident den Tod des Terrorchefs erlebte

Einblick in den "Situation Room": Mit einer Spezialsendung über die Tötung des Al-Qaida-Chefs endet die "Osama-Woche" im US-Wahlkampf. Ein NBC-Team rekonstruiert, wie die Aktion geplant wurde, und wie das berühmte Foto entstand. Für Präsident Obama waren es "die längsten 40 Minuten meines Lebens" und Außenministerin Clinton erklärt ihren Gesichtsausdruck.

Matthias Kolb, Washington

Todestag von Osama bin Laden jaehrt sich zum ersten Mal

Das berühmte Foto aus dem "Situation Room": Auf zwei Bildschirmen sehen die Anwesenden, wie eine Gruppe von Navy SEALs nach Abbottabad in Pakistan flog, um Al-Qaida-Chef Osama bin Laden zu fassen.

(Foto: dapd)

Die Osama-Woche ist zu Ende: Zum Jahrestag der Tötung des Al-Qaida-Chefs hat ein Kamerateam von NBC Zugang in den "Situation Room" bekommen und ausführliche Interviews mit Präsident Obama, Ex-Generalstabschef Mullen und Außenministerin Clinton geführt. Die professionelle Inszenierung soll dem Demokraten im Wahlkampf helfen und seine Nervenstärke zeigen - nicht mal Ehefrau Michelle wurde in die Pläne eingeweiht.

Der Stolz ist Brian Williams immer wieder anzumerken. "Noch nie durften Fernsehkameras hier filmen", sagt der NBC-Moderator, als er mit Präsident Barack Obama durch die Gänge des West Wing geht und die abhörsichere Kommandozentrale betritt. Alle elektronischen Geräte und Mobiltelefone müssen draußen bleiben - sie werden in einem umgebauten Zigaretten-Humidor gelagert. Williams und seinem Rock Center-Team ist ein Scoop gelungen: Er darf neben Obama auch die anderen Politiker und Militärs interviewen, die vor einem Jahr auf zwei Bildschirmen mitverfolgten, wie eine Gruppe von Navy SEALs nach Abbottabad in Pakistan flog, um Al-Qaida-Chef Osama bin Laden zu fassen. Williams lässt sich von jenem berühmten Foto leiten, das in den "längsten 40 Minuten meines Lebens" entstand, wie Obama sagte. Das Bild entstand in einem kleinen Konferenzzimmer neben dem eigentlichen "SitRoom" und Obama erzählt bereitwillig, weshalb er mit seinen engsten Mitarbeitern umzog: Er habe nicht auf Updates warten wollen, sondern alles sehen wollen, was die CIA-Mitarbeiter und die Militärs sahen. Er habe sich einen Holzstuhl bringen lassen und zu Brigadegeneral Brad Webb gesagt: "Bleib in meinem Sessel sitzen und mach deine Arbeit." Deswegen sitzt der mächtigste Mann im Raum in der Ecke.

Viele Details aus den Interviews sind in den vergangenen Tagen, in denen die Republikaner dem Präsidenten vorwarfen, die Tötung Bin Ladens zu instrumentalisieren (mehr in diesem Blogbeitrag) bereits bekannt geworden: Hillary Clinton verrät, dass sie sich stets die Hand vor den aufgerissenen Mund halte, wenn Ehemann Bill sie in einen Actionfilm schleppe, während Vizepräsident Joe Biden berichtet, dass er Obama vom Einsatzbefehl abgeraten habe.

Obama erklärt, dass er bereits als Kandidat versprochen habe, "Bin Laden zu töten und al-Qaida zu zerstören". Das Risiko, seine Wiederwahl durch ein Scheitern zu gefährden, sei er eingegangen, um Amerikas Sicherheit zu verbessern. Die Chancen seien bei 50 Prozent gelegen, dass der große Mann in Abbottabad wirklich der Staatsfeind Nummer eins sei. NBC widmet sich natürlich auch Nebensächlichkeiten (die Frage, wo Pizza bestellt wurde, wird ernsthaft erörtert), doch an sich folgt die Sondersendung der Chronologie.

Seit Januar habe man sich zu Sitzungen in kleinstem Rahmen getroffen (weder Bill Clinton noch Michelle Obama waren eingeweiht), später hätten die Elitesoldaten in der Wüste den Einsatz geprobt, bevor Obama allein seine Entscheidung traf. Während die Vorbereitungen liefen, besuchte der Präsident medienwirksam Opfer eines Tornados und lachte über die Bin-Laden-Witze, die Seth Myers beim White House Correspondents' Dinner machte: "Das war ziemlich viel Schauspielerei. In Gedanken war ich ganz woanders." Für jene Minuten, als die Hubschrauber in der Luft waren und alle auf einen Erfolg hofften, wählt der Sportfan Obama einen interessanten Vergleich: "Es ist wie beim Basketball. Der Ball ist in der Luft, aber du weißt noch nicht, ob er im Korb landen wird."

Danach folgt die Sendung dem Verlauf der Aktion: Von der verunglückten Landung des Hubschraubers über die ersten Twitter-Meldungen eines Nachbarns bis hin zur Tötung von "Geronimo" - so lautete der Codename für Osama bin Laden. Sowohl Obama als auch Admiral Mike Mullen, der damalige Vorsitzende der Joint Chiefs of Staff, betonen, dass sie den Terrorfürsten nach Möglichkeit lebend fassen wollten. Und Obama wiederholt, dass er sich erst habe entspannen können, als klar war, dass alle Elite-Soldaten samt Hund im afghanischen Luftraum waren.

"Es gibt Momente, in denen man Parteipolitik beiseitelassen muss"

Erinnert man sich an die Bilder des Obama-Werbespots, der nahelegt, dass sich Mitt Romney nicht zu einem solchen Schritt hätte entschließen können, dann mutet es seltsam an, wenn Mullen den Wunsch äußert, dass dieses Thema im Wahljahr nicht parteipolitisch missbraucht werden dürfe. Denn es ist gerade der US-Präsident, der sich dieses Thema nicht nehmen lassen wird - und im TV-Interview ganz staatsmännisch erklärt: "Es gibt Momente, in denen man Parteipolitik beiseitelassen muss." Obama, den die Washington Post als campaigner-in-chief bezeichnet, gibt offen zu, dass ein Scheitern der Mission für seine persönliche Karriere "desaströse Folgen" gehabt hätte - laut NBC-Mann Brian Williams hätte dies "Waterloo und Watergate in einem" bedeutet.

Am Ende von Rock Center bekommt der Zuschauer einen weiteren Vorgeschmack - nämlich auf die Arbeitsteilung zwischen Obama und Vizepräsident Joe Biden im Wahlkampf. Obama erklärt in geschliffener Rhetorik, dass ihm nach "dem wichtigsten Tag meiner Präsidentschaft" nicht nach Jubeln zumute gewesen sei: "It was no high five moment." Er habe lediglich eine tiefe Zufriedenheit und Genugtuung verspürt, weil er wisse, wie wichtig es für Amerika und die Angehörigen der 9/11-Opfer sei, den Drahtzieher der Anschläge endlich gefasst zu haben. Biden äußert sich gewohnt deutlich und schnörkellos: "Diese Aktion ist auch eine Botschaft an die Welt. Wer Amerika angreift, den werden wir überallhin verfolgen - zur Not bis zum Eingangstor der Hölle."

Linktipp: Die Sondersendung "In the Situation" inklusive der Interviews mit Präsident Obama, Außenministerin Clinton und anderen Beratern ist auf der Webseite von NBC verfügbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: