Tod von Benno Ohnesorg 1967:Berliner Polizei vertuschte den gezielten Schuss

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Kriminalobermeister Karl-Heinz Kurras hat 1967 Benno Ohnesorg erschossen, hier umringen ihn  Fotografen vor dem Prozessbeginn. Doch verurteilt wird er nicht - die Polizei fälschte Dokumente und deckte den Todesschützen. Erst jetzt kommen die wahren Hintergründe ans Licht. (Foto: dpa)

Mit dem Tod von Benno Ohnesorg begannen 1967 die Studentenproteste. Jetzt beweisen Dokumente: Die Polizei fälschte Beweise, deckte den Schützen Kurras und belog die Öffentlichkeit.

Willi Winkler

Es war Vorsommer, und der Abend muss lau gewesen sein, denn der junge Mann trug nur Sandalen. Fatalerweise hatte er ein rotes Hemd angezogen, mit dem er in der beginnenden Dunkelheit aus der Menge herausstach. Der junge Mann, der am 2. Juni 1967 friedlich gegen den Schah von Persien demonstriert hatte, starb durch eine Kugel des Polizeimeisters Karl-Heinz Kurras.

Der tödliche Schuss auf den unbewaffneten 26-jährigen Romanistikstudenten Benno Ohnesorg gilt als Beginn der Studentenrevolte, als Startsignal auch für den deutschen Terrorismus der Rote Armee Fraktion (RAF) und der "Bewegung 2. Juni", die sich nach diesem Datum benannte. In West-Berlin regierte 1967 kein Polizeistaat, in dem auf Menschen geschossen wurde, die gegen durchreisende Gewalthaber demonstrierten. Und doch herrschte noch vor 45 Jahren in der Bundesrepublik eine rechtsfreie Willkür, die sich sonst nur Diktaturen leisten.

In seiner an diesem Montag erscheinenden Ausgabe bringt der Spiegel eine umfangreiche Recherche, in der gezeigt wird, wie konsequent 1967 Dokumente verfälscht, Beweise missachtet, Zeugenaussagen übergangen wurden, um Kurras' gezielten Schuss als Unfall darzustellen, den Tod Ohnesorgs gar als Werk linksradikaler Studenten. Die geballte Presse-Macht der Springer-Zeitungen half dabei mit. "Sie müssen Blut sehen", behauptete Bild nicht von den rabiaten Polizisten, sondern von den Studenten. "Was in Berlin geschah - es hat mit Politik nichts mehr zu tun," kommentierte die B. Z.; "wer Terror produziert, muss Härte in Kauf nehmen", meinte das ebenfalls aus dem Hause Springer stammende Blatt.

Diesem Motto folgte auch die Berliner Polizei: leidenschaftlichen Einsatz forderte Polizeipräsident Erich Duensing von den Beamten. Und tat dann alles, um Kurras' fanatischen Einsatz zu vertuschen. Mit krimineller Akribie gelang es, den Todesschützen zum Opfer zu machen, das mehr oder weniger zufällig an den Schauplatz vor der Deutschen Oper in Berlin geraten war. Messerstecher hätten ihn bedrängt, behauptete Kurras, er sei von Demonstranten niedergetreten worden, der tödliche Schuss habe sich nur durch das Zutun der Angreifer gelöst, als er auf dem Boden lag.

In Stalin'scher Manier wurde das Foto beschnitten

Nichts davon ist wahr, und doch fand diese Räuberpistole Eingang in die Zeitungen und wurde vor Gericht gehört. Sein Einsatzleiter Helmut Starke wollte Kurras gar nicht am Tatort gesehen haben, was jetzt durch ein zeitgenössisches Bild als widerlegt gelten kann. Darauf steht Starke abwehrend im Blitzlicht mehrerer Fotografen, hinter ihm am Boden der sterbende Ohnesorg und ganz links, am Bildrand seelenruhig der Schütze: Kurras. Das Foto ist keineswegs unbekannt, nur wurde es in Stalin'scher Manier so beschnitten, dass Kurras darauf nicht auftauchte. Jetzt ist er wieder da.

Der tödlich verletzte Ohnesorg starb auf dem Weg ins Krankenhaus Moabit. Dort wurde das Knochenstück mit der Einschussstelle aus dem Schädel entfernt, das Loch notdürftig geflickt. Nach Aussage des Arztes, der den Totenschein ausstellte, habe er "auf Anweisung meines damaligen Chefs" stumpfe Gewalteinwirkung und nicht die Schussverletzung als Todesursache eingetragen.

Polizei, Krankenhaus und Presse arbeiteten im angeblich demokratischen Westen Hand in Hand: Wolfgang Schöne, der Polizeireporter der B.Z., von dem die jetzt zum ersten Mal vollständig gezeigte Aufnahme stammt, war mit Kurras auch privat befreundet. Im Polizeisportverein ballerten sie regelmäßig gemeinsam; da verstand sich Schützenhilfe für den bedrängten Kameraden. Als eine Hausdurchsuchung drohte, übergab Kurras seine überschüssige Munition dem Reporter mit der Bitte, sie verschwinden zu lassen.

Bis zur Pensionierung setzte Kurras den Dienst an der Polizeiwaffe fort

Als vor zweieinhalb Jahren bekannt wurde, dass der Polizeibeamte Kurras gleichzeitig als "Otto Bohl" für die Stasi arbeitete und dafür monatlich mehrere hundert Mark aus Ost-Berlin bezog, schien eine Neufassung der Geschichte fällig. Handelte Kurras womöglich im kommunistischen Auftrag, als er Ohnesorg erschoss? So entlastend eine solche Erklärung auch wäre, es hat sich bis heute dafür kein Beweis finden lassen.

Kurras war ein Waffennarr. Er hatte das Schießen an der Ostfront gelernt und war 1946 von den Russen wegen Besitzes einer Waffe eingesperrt worden. Seinen Stasi-Lohn investierte er fast vollständig in Munition. Über mehrere Jahre galt er als bester Schütze bei der Berliner Polizei. Im Zweifel traf er, was und wen er wollte. "Wer mich angreift, wird vernichtet," sagte er einmal.

Kurras wurde in zwei Verfahren freigesprochen und konnte im Schutz seiner allzeit solidarischen Kollegen den Dienst an der Polizeiwaffe bis zur Pensionierung fortsetzen. In einem Feature für den NDR gab Anfang 1968 eine Journalistin ihre Verzweiflung über den Fall Kurras bekannt: "Wo Journalismus nur noch dazu da ist, Polizeieinsätze zu beschreiben, wo Polizeiknüppel, Wasserwerfer und Dienstpistole die logische, die ununterbrochene Fortsetzung von Journalismus sind (...), da hat die Demokratie aufgehört. Da hat der Polizeistaat begonnen." Die Autorin hieß Ulrike Meinhof.

© SZ vom 23.01.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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