Tod des Staatsanwalts Nisman:Argentiniens Präsidentin im Visier

Argentina's President Fernandez de Kirchner inspects Chinese honour guards during a welcoming ceremony hosted by China's President Xi in the Great Hall of the People in Beijing

Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner bei ihrem China-Besuch: Zu Hause gerät sie unter Druck.

(Foto: REUTERS)
  • Argentiniens Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner befindet sich auf Reisen in China, während ihr Land über den Fall Nisman diskutiert.
  • Der unter bisher ungeklärten Umständen verstorbene Staatsanwalt Alberto Nisman hatte offenbar geplant, einen Haftbefehl gegen Kirchner zu erwirken.
  • Nach vielen Kapriolen in dem Fall ist nach wie vor unklar, wer in Buenos Aires alles von wem unter Druck gesetzt wurde und wird.

Von Boris Herrmann, Rio de Janeiro

Cristina Kirchner bereist gerade China. Offenbar gefällt es ihr dort. Es ist ja auch kein Wunder, denn erstens ist es ihr erster größerer Ausflug auf zwei Beinen, nachdem sie wegen einer Knöchelverletzung wochenlang im Rollstuhl saß. Und zweitens trifft sie in Peking auf sehr viele Chinesen, die mit ihr über Wirtschaftsthemen sprechen wollen. Über Wirtschaft redet Kirchner ganz gern. Dann muss sie nicht über tote Staatsanwälte reden.

Kirchner, die ja nicht nur Präsidentin, sondern nun auch Twitter-Königin von Argentinien ist, findet es in China sogar so nett, dass sie nach einer Veranstaltung mit angeblich 1000 Zuhörern die Muße fand, sich über die Sprache der Gastgeber lustig zu machen: "Vinieron sólo por el aloz y el petlóleo?", zwitscherte sie. Frei übersetzt: Sind die alle wegen Leis und Eldöl gekommen? Wo im Spanischen ein R steht, setzte sie ein L ein, wie in billigen Witzen.

Man mag von dieser Art von Humor halten, was man will. Fest steht, dass der Witz vor allem von dem lebt, was sich nahezu gleichzeitig in Buenos Aires ereignete. Dort wird die Nachrichtenlage für Cristina Kirchner immer ungemütlicher. Der unter bislang ungeklärten Umständen um den 18. Januar verstorbene argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman hatte offenbar die Absicht, einen Haftbefehl gegen Kirchner zu erwirken. In einem Papierkorb jener Wohnung, in der Nisman tot am Boden lag, ist ein entsprechender Entwurf gefunden worden, 26 Seiten, teilweise handgekritzelt. Das bestätigte die zuständige Staatsanwältin Viviana Fein am Dienstag.

Kabinettschef zerreißt Zeitung vor laufenden Kameras

Die Skizze datiert vom Juni 2014, vermutlich entschied sich Nisman schließlich dagegen, den ohnehin aussichtslosen Haftantrag zu stellen. Das macht die Sache für Kirchner aber nicht viel angenehmer. Die regierungskritische Zeitung Clarín hatte bereits am Sonntag ausführlich aus dem Papierkorb Nismans berichtet.

Am Montag unternahm Kabinettschef Jorge Capitanich den Versuch, das als weiteren Beleg für eine rechtslastige Presseverschwörung gegen die peronistische Kirchner-Regierung darzustellen. Capitanich nannte den Text "Müll" und zerriss ein Exemplar von Clarín vor laufenden Kameras. Auch Staatsanwältin Fein wollte am Montag noch nichts von der Existenz eines Haftbefehl-Entwurfs gegen die Staatspräsidentin wissen. Einen Tag später schwenkte sie um und behauptete, ihr ursprüngliches Dementi basierte auf "einem Missverständnis". Vorsichtshalber wies Fein darauf hin, dass sie von Regierungsseite nie unter Druck gesetzt worden sei.

Der argentinische Staat - ein Chaosbetrieb

Wer in Buenos Aires alles von wem unter Druck gesetzt wurde und wird, ist eine der vielen ungeklärten Fragen im Fall Nisman. Der Staatsanwalt warf der Präsidentin vor, die Aufklärung des Anschlags auf das jüdische Kulturzentrum Amia 1994 mit 85 Toten behindert zu haben. Er bezichtigte Kirchner, die mutmaßlich iranischen Attentäter zu decken, um die Handelsbeziehungen zu Iran zu verbessern.

Einen Tag ehe er dazu vor dem Parlament aussagen wollte, lag Nisman tot in seinem Bad. Ob es sich um Mord, Selbstmord oder "erzwungenen Selbstmord" handelte, ist ungeklärt. Staatsanwältin Feins Ermittlungen scheinen eher die Suizid-These zu stützen. Nisman starb demnach durch einen aufgesetzten Kopfschuss, an der Pistole fand sich nur seine DNA.

Trotzdem scheinen viele Argentinier ihrer Präsidentin weiter zuzutrauen, einen Auftragskiller engagiert zu haben. Das sagt alles über die Verwirrung im Lande, die längst auch Kirchner erfasst zu haben scheint. Erst sprach sie von Mord, dann war sie plötzlich sicher, es handle sich um einen von Spionen orchestrierten Selbstmord. Vor allem in sozialen Netzwerken ließ sie regelmäßig mit Andeutungen und halbgaren Gerüchten aufhorchen. Schließlich kündigte sie an, den Geheimdienst SI aufzulösen und durch eine neue, von ihr kontrollierte Bundesbehörde zu ersetzen. Der argentinische Staat ist ein Chaosbetrieb. Was die Präsidentin gerade in China macht? Lustig twittern und Handelsbeziehungen verbessern.

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