Tod des palästinensischen Jungen al-Dura:Mohammed darf nicht ruhen

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Mohammed al-Dura mit seinem Vater. Die Bilder des getöteten Jungen haben die zweite Intifada wie kaum ein anderes Ereignis angeheizt. (Foto: AP)

Ein Junge soll vor 13 Jahren von israelischen Soldaten erschossen worden sein. Mohammed al-Dura wurde zum Märtyrer stilisiert, die Bilder heizten die zweite Intifada an. An dieser Symbolkraft liegt es auch, dass Israel so spät und mit solcher Wucht die Geschichte neu schreiben will.

Von Peter Münch, Tel Aviv

Es ist ein Krieg der Bilder, der nun schon seit 13 Jahren tobt und keine Totenruhe zulässt. Es sind die Bilder des zwölfjährigen Mohammed al-Dura, der mit seinem Vater im Gazastreifen voller Angst an einer Wand kauert. Die beiden sind bei einer Schießerei zwischen die Fronten geraten, der Vater versucht, den Jungen mit seinem Körper zu schützen, vor laufender Kamera sackt das Kind zu Boden - und der Film geht noch am selben Abend um die Welt mit der Nachricht, dass Israels Soldaten einen wehrlosen palästinensischen Jungen getötet haben.

Das geschah im September 2000, und im Mai 2013 hat die Regierung in Jerusalem nun einen Untersuchungsbericht vorgelegt, der nicht nur die Armee von jeder Schuld freispricht, sondern die ganze Geschichte als infames Fabrikat und böswillige Verleumdung darstellt.

Dass Israel so spät noch und mit solcher Wucht die Geschichte neu schreiben will, liegt an der Symbolkraft dieses Falls: Der auf Bilder gebannte Tod des Jungen hat die zweite Intifada wie kaum ein anderes Ereignis angeheizt. Die Szene des Beschusses geriet zur Ikone, verewigt auf zahlreichen Graffiti und Briefmarken. Mohammed al-Dura wurde in der gesamten arabischen Welt zum Märtyrer stilisiert, Schulen und Plätze sind nach ihm benannt, und sogar Osama bin Laden bezog sich in einer seiner Drohbotschaften auf den Jungen aus Gaza, dessen Tod niemals vergessen würde.

Wer diesen Fall als Fälschung entlarvt, bringt mehr ins Wanken als nur die Glaubwürdigkeit des Fernsehsenders France 2 und seines angesehenen Korrespondenten Charles Enderlin, der den Originalbeitrag damals verfasst hatte.

Zweifel an der Echtheit werden schon lange gestreut. Zwar hatte sich Israels Armee unmittelbar nach dem Vorfall offiziell für die Tötung entschuldigt, aber dieses Eingeständnis eines fatalen Fehlers bald schon widerrufen. Seitdem flammt die Debatte immer wieder auf, befeuert von vielen Seiten.

2002 schon versuchte die deutsche Filmemacherin Esther Schapira in einer ARD-Dokumentation zu beweisen, dass al-Dura nicht durch Schüsse israelischer Soldaten gestorben war. Später legte sie noch nach mit Indizien dafür, dass er damals gar nicht erschossen wurde und folglich noch am Leben sein könnte. 2006 nannte der französische Medienaktivist Philippe Karsenty den gesamten France-2-Beitrag eine gezielte Manipulation.

Der Rechtsstreit darüber tobt bis heute: In erster Instanz wurde Karsenty die Behauptung verboten, die zweite Instanz hob das auf, voraussichtlich an diesem Mittwoch soll Frankreichs oberstes Gericht das abschließende Urteil sprechen.

Eigentlich also scheint seit Langem schon alles gesagt zu sein zu diesem Fall - doch längst noch nicht von allen. Vor einem Jahr rief Israels Premierminister Benjamin Netanjahu die Kommission ins Leben, die das gesamte zugängliche Filmmaterial gesichtet und nun ihren knapp 40-seitigen Untersuchungsbericht an den Regierungschef persönlich übergeben hat. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass Mohammed al-Dura am Ende der Filmaufnahmen noch am Leben ist. Als Beleg wird angeführt, dass sich das angeblich schon tote Kind noch einmal bewegt und den Arm hebt, zudem sei nirgends Blut zu sehen.

"Israelische Propagandamaschine"

Netanjahu sieht nun den Beweis erbracht, dass der Fall al-Dura Teil einer "fortwährenden Kampagne ist, Israel zu delegitimieren". Es gebe "nur einen Weg, Lügen zu widerlegen, und das ist durch die Wahrheit", sagt er. Sein Minister für Strategische Angelegenheiten, Juval Steinitz, erklärt pauschal, diese Aufklärung dürfte die ausländische Presse künftig entmutigen, gefälschte Berichte über Israel zu verbreiten. Doch das letzte Wort ist hier gewiss auch jetzt noch nicht gesprochen. Denn zum einen ist das Filmmaterial teils so verwackelt und unscharf, dass es vielerlei Interpretationen zulässt. Und zum anderen steht weiterhin Aussage gegen Aussage.

Der France-2-Korrespondent Enderlin hat sogleich eine Erklärung verschickt, in der er sich verwundert zeigt, dass die israelische Kommission weder ihn noch seinen Sender noch Dschamal al-Dura, den Vater des Jungen, kontaktiert hat. Sie stehen alle noch zu ihrer alten Version, bieten einen Lügendetektortest und die Mitwirkung an einer internationalen Untersuchung an. Aus einem Flüchtlingscamp im Gazastreifen meldet sich der heute 50-jährige Dschamal al-Dura mit dem Angebot, das Grab des Sohnes zu öffnen für eine späte Obduktion, um zu beweisen, dass er durch die Kugeln israelischer Soldaten gestorben sei.

Zugleich klagt er darüber, wie alleingelassen er sich fühle angesichts der "israelischen Propagandamaschine". Weder die Fatah von Präsident Mahmud Abbas noch die im Gazastreifen herrschende Hamas hülfen ihm. Es ist ein Drama mit endlos vielen Akten. Fortsetzung folgt.

© SZ vom 22.05.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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