Europäische Union:Frans Timmermans meldet sich zurück

Europawahlkampf der SPD

Da war er noch Wahlkämpfer, nun will er - immer noch - Kommissionspräsident werden: Frans Timmermans.

(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
  • Beim zweitägigen EU-Gipfel, der am Donnerstagnachmittag beginnt, wollen die Staats- und Regierungschefs versuchen, sich auf das Personaltableau nach der Europawahl zu einigen.
  • Es gibt allerdings klaren Widerstand gegen den EVP-Spitzenkandidaten Manfred Weber, dem es bisher nicht gelungen ist, eine Mehrheit für sich im EU-Parlament zu organisieren.
  • Die Sozialdemokraten betonen, dass sie hinter Frans Timmermans stehen und loben dessen Kompetenz - und der Niederländer kehrt nach längerer Abwesenheit auf die Bühne zurück.
  • Um die Perspektive der SPD zu vertreten, reist Finanzminister Olaf Scholz nach Brüssel, um mit Genossen aus den anderen Ländern zu beraten.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Dieser Auftritt ist ein Heimspiel für Frans Timmermans. Der Erste Vizepräsident der EU-Kommission ist der Stargast beim Sommerempfang des niederländischen Netzbetreibers Tennet, den auch in Brüssel eigentlich nur Energie-Experten kennen. Dass sich am Mittwochabend Dutzende Journalisten im Partyzelt befinden, belege den "Frans-Timmermans-Effekt", scherzt Tennet-Chefin Manon van Beek und überlässt ihrem Landsmann schnell das Mikrofon.

Die Rede ist typisch für den 58-Jährigen, den Europas Sozialdemokraten zum Spitzenkandidaten für die Europawahl gemacht hatten. Timmermans geht weit zurück in die EU-Vergangenheit. Er erinnert daran, dass die europäische Integration 1952 mit der Montanunion begann - also durch die Kooperation Deutschlands, Frankreichs sowie der Benelux-Staaten und Italien im Energiebereich. Timmermans wirbt für eine enge Zusammenarbeit der EU-Mitglieder mit den Nachbarn in Nordafrika (von dort kommt Erdgas) und Norwegen, um für mehr Effizienz zu sorgen und den Klimawandel zu bekämpfen - eines seiner Kernthemen. Auf dem Westbalkan will er grenzüberschreitende Projekte fördern, um das gegenseitige Vertrauen der Staaten zu erhöhen, sagt der frühere niederländische Außenminister.

Zu jenem Thema, das in Brüssel alle beschäftigt, kommt Timmermans ganz am Ende seiner Rede - ohne es tatsächlich aussprechen zu müssen: "Lassen Sie mich Ihnen versichern, dass das Thema Energie weiter auf großes Interesse bei der EU-Kommission stoßen wird - wie immer sie künftig zusammengesetzt sein wird." Da war er, der Elefant im Raum: das - noch immer - offene Rennen um den Chefposten der Europäischen Kommission. Dass Timmermans an dem Ziel, Nachfolger von Jean-Claude Juncker zu werden, festhält, haben seine Parteifreunde seit Tagen immer wieder betont. Und diese Position, so heißt es aus dem Europaparlament und aus dem Umfeld des EU-Kommissars, werden sie auch beim EU-Gipfel vertreten, der heute begonnen hat.

Am Donnerstagvormittag istFrans Timmermans so deutlich geworden, wie lange nicht. Beim dem Gipfelvortreffen der Sozialdemokraten sprach aus, was er am Vorabend im Partyzelt noch umschifft hatte: Auf Englisch, Französisch und Niederländisch variierte er seine Botschaft: "Ich will Chef der EU-Kommission werden, das ist mein einziges Ziel. Ich suche nicht nach einem anderem Amt, das habe ich schon im Wahlkampf klargemacht."

Im Fokus steht Manfred Weber - bisher noch

Zuletzt war fast in Vergessenheit geraten, dass Timmermans seinen Anspruch auf das EU-Spitzenamt nicht aufgegeben hat. Fast drei Wochen lang war es still um ihm. Keine Twitter-Botschaften, kaum Auftritte. Das öffentliche Werben für die eigene Person schien er anderen überlassen zu wollen - etwa der liberalen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager, die sich mit schwungvollen Reden im Rennen hält. Oder natürlich Manfred Weber. Der CSU-Politiker steht im Zentrum des Pokers um die Juncker-Nachfolge. Er war der Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei (EVP), die trotz klarer Verluste als größte Fraktion Anspruch auf das Amt des EU-Kommissionspräsidenten erhebt.

Über die anderen Posten ließe sich reden, signalisieren EVP-Leute ständig auf allen Kanälen - also über die Nachfolge von Donald Tusk, Antonio Tajani und Mario Draghi als Präsidenten von Europäischem Rat, EU-Parlament und Europäischer Zentralbank. Teil des Personalpakets, das Tusk beim Gipfel präsentieren will, ist auch die Zuständigkeit für die Außen- und Sicherheitspolitik. Der Posten des Kommissionspräsidenten jedoch sei nicht verhandelbar.

Weber hat zudem die Unterstützung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Aber auch einen bedeutenden Kritiker: Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron. Der macht weiterhin klar, dass er Weber für ungeeignet hält, weshalb eine Blockade droht . Denn das Europaparlament muss den Chef der EU-Kommission wählen, nachdem der Europäische Rat einen Kandidaten vorgeschlagen hat - und die vier proeuropäischen Fraktionen haben direkt nach der Europawahl deutlich gemacht, dass sie nur einen der Spitzenkandidaten akzeptieren werden.

Argumente, die Timmermans an die Spitze der Kommission bringen sollen

Die Sozialdemokraten versuchen nun, Argumente zu finden, die Timmermans an die Spitze der EU-Kommission hieven sollen. Zu hören sind dabei vor allem drei Punkte:

1. Timmermans' Erfahrung und Kompetenz

Der Franzose Macron spricht CSU-Vize Weber das nötige Charisma ab und mäkelt, dass dieser nur EU-Abgeordneter sei und bisher kein Amt in der Exekutive gehabt habe. Ähnliche Kritik an Timmermans ist nicht bekannt: Er hat als Erster Vizepräsident der Kommission einen großen Apparat geleitet und war bis 2014 niederländischer Außenminister. Da er neben Englisch und Französisch auch Deutsch, Russisch und Italienisch perfekt beherrscht, könne er die EU bestens nach außen vertreten, so seine Unterstützer.

Dass es den Fraktionen des EU-Parlaments bisher nicht gelungen ist, sich auf ein Arbeitsprogramm zu einigen, schadet Weber. Dieser wollte so rechtzeitig zum Beginn des EU-Gipfels Handlungsfähigkeit beweisen. Am Donnerstag teilten die Fraktionschefs der Liberalen und der Sozialdemokraten zudem mit, dass sie nicht für Weber votieren könnten. Die Sozialdemokraten haben stets betont, dass Timmermans am besten geeignet wäre, die inhaltlichen Schwerpunkte - Fokus auf Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit, geschlosseneres Auftreten der EU nach außen - umzusetzen, da diese ohnehin zu seinem Kernportfolio gehörten und in seinem Wahlkampf eine wichtige Rolle spielten. "Dass die Grünen so gut waren, hilft uns. Die stimmen doch fast immer so ab wie wir", heißt es aus Timmermans' Umfeld.

2. Das schwächere Wahlergebnis der Liberalen

Natürlich wissen die Sozialdemokraten, dass sie bei der Wahl im Mai 32 Mandate verloren haben - unter anderem wegen der desaströsen Verluste der SPD in Deutschland. Aber mit 153 Sitzen liege man deutlich vor den Liberalen, die sich auf Betreiben von Macron nun "Renew Europe" nennen und 108 Abgeordnete stellen. Nach dem Brexit würde der Vorsprung der Sozialdemokraten mehr als 50 Sitze betragen.

Sollte die EVP Weber nicht durchsetzen können und trotzdem das Spitzenkandidaten-Prinzip zur Stärkung der europäischen Demokratie bewahren wollen, so wäre es machtpolitisch klüger, einen Sozialdemokraten zu unterstützen, so die Argumentationslogik, und einen Christdemokraten zum Nachfolger von Tusk an der Spitze des Europäischen Rats zu installieren. Ob dieses Argument verfängt, bleibt abzuwarten. Es setzt stark darauf, dass es gerade im Europaparlament viele Vorbehalte gegenüber der liberalen Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager gebe, die sich erst spät als Spitzenkandidatin zu erkennen gab.

3. Der Erfolg der Sozialdemokraten in den Niederlanden

Am Donnerstagvormittag trafen sich erneut die Vermittler der Parteienfamilien zu Gesprächen. Für die Christdemokraten verhandeln die Ministerpräsidenten aus Kroatien und Lettland, Andrej Plenković und Krišjānis Kariņš, die Sozialdemokraten schicken Antonio Costa und Pedro Sanchez aus Portugal und Spanien und der liberale Block wird vertreten durch die Regierungschefs von Belgien und den Niederlanden. Mark Rutte verhandelt also nicht für seinen Landsmann Timmermans, so die momentane Lage.

Dies könne sich aber ändern, sagen Berater von Timmermans, wenn es lange dauere, eine Lösung zu finden. Und sie fragen: "Kann ein niederländischer Premier sich wirklich sperren, wenn einer von ihnen den wichtigsten Job kriegen könnte?". Die Antwort lautet: Wohl kaum. Und sie betonen, dass es keinen Zweifel gebe, dass die holländischen Sozialdemokraten nur wegen Timmermans und dessen Charisma mit 19 Prozent die stärkste Partei bei der Europawahl geworden seien. Ihr Mann habe bewiesen, dass er für Europa begeistern könne und populär in der Bevölkerung sei - eben jener "Frans-Timmermans-Effekt", von dem beim Sommerempfang in Brüssel die Rede war.

Ohne Spanien läuft wenig in Europas Sozialdemokratie

Gewiss: Es bleiben enorm viele Unsicherheiten und die Dynamik der Verhandlungen ist kaum zu prognostizieren. EU-Diplomaten zufolge steht Timmermans auf einer Art schwarzen Liste mancher osteuropäischen Staaten, weil er die EU-Kommission in den Rechtsstaatsverfahren gegen Ungarn und Polen vertreten habe. Diese beiden Regierungen würden ihn immer ablehnen, aber dies würde nicht reichen für eine Sperrminorität, kontern jene aus dem Timmermans-Lager. Unklar sei die Haltung Italiens: Wenn sich Rom gegen Timmermans stellt, dann hat er kaum Chancen, Nachfolger von Juncker zu werden.

In Brüssel ist es ein offenes Geheimnis, dass der mächtigste Sozialdemokrat im aktuellen Personal-Poker der spanische Ministerpräsident Pedro Sanchez ist. Er verhandelt nicht nur für seine Partei, sondern vertritt einen großen EU-Mitgliedstaat und hat Ende April ein gutes Ergebnis bei der Wahl in seinem Heimatland erzielt. Weil Spanien - etwa im Vergleich zu Italien - zuletzt kaum Spitzenjobs besetzen konnte, rechnen viele damit, dass Sanchez Ansprüche für sein Land erheben und Timmermans fallen lassen könnte.

Die sozialdemokratische PSOE war auch bei der Europawahl Wahlsieger und stellt nun die größte Delegation innerhalb der Fraktion Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten im Europäischen Parlament (S&D) im Europaparlament. Insofern ist es nur folgerichtig, dass mit Iratxe Garcia Perez nun eine Spanierin an der Spitze der Fraktion stehen wird. Sie hat den Deutschen Udo Bullmann verdrängt, der nach den Verlusten der SPD in einer schwachen Position war. Es ist nicht nur ein Generationenwechsel: Auf einen 63-jährigen Mann aus dem Norden folgt eine 44 Jahre alte Frau aus Südeuropa, die sich klar als Feministin bezeichnet und für Gleichstellung kämpft.

Auch wenn Timmermans seit dem informellen EU-Gipfel Ende Mai vor gut drei Wochen etwas abgetaucht war, so hat er die Geschehnisse genau verfolgt. Nach 19 Tagen Twitter-Abstinenz kehrte er am Dienstag zurück - und gratulierte Garcia Perez zu ihrer Wahl. Er weiß, dass er die Unterstützung dieser Frau braucht. Garcia Perez hat sich in ihrer ersten Pressekonferenz klar zum Spitzenkandidaten-Prinzip bekannt - und zu Timmermans. Ein Foto der beiden aus dem Wahlkampf ziert ihr Twitter-Profil - und der Niederländer ist größer im Bild.

Aber nun beginnen jene Tage in Brüssel, wo Gewissheiten und Bekenntnisse zu bröckeln beginnen. Aus den Reihen der Bundesregierung heißt es etwa: "Die Erfahrung zeigt: Jede Partei hält bis zum Ende an ihrem Kandidaten fest. Irgendwann taucht dann eine Lösung auf, und andere fallen um." Irgendeine Parteienfamilie wird sich bewegen und Zugeständnisse machen müssen - offen ist nur, wann dies sein wird. Wenn es bei diesem Gipfel keine Einigung gibt, könnte es in zehn Tagen ein Sondertreffen geben. Solange das Europaparlament noch nicht zusammengekommen sei, was Anfang Juli der Fall sein wird, so heißt es derzeit oft in Brüssel, bestünde doch noch keine Eile.

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