Tillich-Rücktritt:Die Zeit der alten Haudegen ist vorüber

Hochwasser in Sachsen: Merkel in Pirna

Schicksalsbekannftschaft: Ministerpräsident Stanislaw Tillich (links), Klaus Brähmig (2.v.l.) und Bundeskanzlerin Merkel vereint im Kampf gegen das Hochwasser 2013.

(Foto: dpa)
  • Der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich hinterlässt seinem Nachfolger eine CDU, die tief in der Krise steckt.
  • 2019 sind Landtagswahlen. Die Partei zittert nun vor der Möglichkeit, dass die AfD stärkste Kraft werden könnte.
  • Auf dem Landesparteitag am 9. Dezember soll über eine Neuausrichtung diskutiert werden. Ob es zu dem von Tillich geforderten Rechtsruck kommt, wird sich zeigen.

Von Antonie Rietzschel, Berlin

Es ist vorbei, einfach so. Am Mittwoch hat der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich seinen Rücktritt erklärt. Nach dem desaströsen Ergebnis für die sächsische CDU bei der Bundestagswahl war eine Kabinettsumbildung zu erwarten, nicht aber unbedingt, dass Tillich selbst personelle Konsequenzen zieht. Entsprechend überrascht äußerten sich CDU-Politiker: "Damit habe ich in keinem Fall gerechnet", sagte die sächsische Sozialministerin Barbara Klepsch. "Aus meiner Sicht wäre das nicht notwendig gewesen", sagte Thomas de Maizière. Der Bundesinnenminister ist auch Mitglied im sächsischen Landesvorstand. Es hätte auch mit Tillich einen Neuanfang geben können, sagte er.

Wie dieser Neuanfang aussehen soll, ist auch nach dem Rücktritt von Tillich offen. In seiner Rede hatte der 58-Jährige gesagt, er wolle die Verantwortung in junge Hände legen. Sein Nachfolger soll der 42-Jährige Michael Kretschmer werden. Tillich hinterlässt ihm jede Menge Baustellen (mehr dazu hier) und eine CDU, die in einer tiefen Krise steckt.

Ein Schauplatz dieser Krise befindet sich in diesen Tagen in Berlin, im Abgeordnetenbüro des CDU-Politikers Klaus Brähmig im Jakob-Kaiser-Haus. Die Regale sind leer, die Bilderrahmen abgenommen. Ende der Woche werden die Telefone und das Internet abgestellt. Klaus Brähmig steht mitten im Raum, atmet tief durch. Nach 27 Jahren muss er den Bundestag verlassen. "Das ist ein historisches Ereignis", sagt er.

Nach der Wende stellte die Union ihn in seiner sächsischen Heimat als Direktkandidat auf. Und tatsächlich schaffte es Brähmig, geboren und aufgewachsen in der DDR, in den ersten gesamtdeutsch gewählten Bundestag. Dort blieb er auch. Im heutigen Wahlkreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge fuhr Brähmig bei jeder Wahl Traumergebnisse ein. 2013 erhielt er noch 50 Prozent der Erststimmen. Doch auf den Ausgang der diesjährigen Bundestagswahl war er nicht vorbereitet: Der CDU-Politiker muss das Mandat an Frauke Petry abgeben. Er erhielt 28,8 Prozent der Wählerstimmen, Petry, damals noch AfD-Chefin, 37,4 Prozent. Brähmigs politische Karriere ist plötzlich vorbei. "Am Wahlabend habe ich mich gefühlt, als hätte mich jemand aus dem Flugzeug gestoßen. Ohne Fallschirm", sagt der 60-Jährige.

Das Wahlergebnis ist auch ein tiefer Schock für die gesamte sächsische CDU. Mit 27 Prozent wird die AfD stärkste Kraft in Sachsen - mit einem Vorsprung von 0,1 Prozentpunkten vor der CDU -, in Brähmigs Wahlkreis erreicht die AfD sogar 35,5 Prozent. 27 Jahre war die Union im Freistaat ungeschlagen. Bis 2004 erreichte sie bei Landtagswahlen die absolute Mehrheit. Seitdem regierte sie im Wechsel mit der FDP und der SPD.

Dass es aufgrund der Kritik an der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel schwierig werden würde, war allen klar. Dass aber bei der Bundestagswahl politische Gesetzmäßigkeiten ausgehebelt würden, damit hatte niemand gerechnet.

Das Wort von "König Kurt" hat Gewicht

Anderthalb Wochen nach der Schreckensnacht gab der frühere CDU-Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, sonst recht wortkarg, ein sehr lesenswertes Interview. Darin stellte er die Kompetenz von Stanislaw Tillich infrage, ihm fehle die "Vorbildung" für das Amt. Biedenkopf fürchtet um sein politisches Erbe, das wird im Gespräch deutlich. Er war es, der in den neunziger Jahren die Weichen stellte für den wirtschaftlichen Aufstieg des Freistaats. Die Sachsen nennen ihn ehrfürchtig "König Kurt", sein Wort hat Gewicht.

Biedenkopf war aber auch derjenige, der erklärte, seine Landeskinder seien immun gegen Rechtsextremismus. Eine Haltung, die das Bundesland in das jetzige Dilemma gestürzt hat. Über Jahrzehnte entwickelte sich eine fremdenfeindliche Stimmung, die sich mit der Flüchtlingskrise aggressiv entlud. In Freital, Clausnitz, Bautzen, Heidenau. Kritik begegnete die CDU-Führung mit trotzigem Stolz auf die Heimat, auf das Geschaffte. Schuld seien vor allem die Medien, die Sachsen als braunen Fleck verunglimpften. Diskussionen schienen unmöglich. Perfekter Nährboden für eine rechtsradikale Partei wie die AfD.

2019 sind Landtagswahlen in Sachsen. Die Pessimisten in der Partei vermuten, dass die AfD stärkste Kraft werden könnte, ja sogar die absolute Mehrheit erringt, wenn die CDU sich inhaltlich nicht neu ausrichtet. Stanislaw Tillich, weniger ehrfürchtig auch "Teflon-Tillich" genannt, hatte noch vor seinem Rücktritt eine mögliche Richtung vorgegeben: Deutschland müsse Deutschland bleiben, sagte er in einem Interview und dachte über einen möglichen Rechtsruck nach. Dabei gilt die CDU im Freistaat bereits als rechter Landesverband innerhalb der Union. Eine sächsische CSU, wenn man so will, deren Anhänger sich klar gegen Bundeskanzlerin Merkel und deren Flüchtlingspolitik stellen.

Brähmig schürt Ängste vor steigender Kriminalität

Auch Klaus Brähmig hat das im Wahlkampf getan. Auf einer Diskussionsveranstaltung lehnte er zudem die Einführung eines Einwanderungsgesetzes ab. Mit der Begründung, dies würde die Sozialsysteme zu sehr belasten. Auf den Hinweis des SPD-Kandidaten, es gehe darum Fachkräfte anzuwerben, die in die Sozialsysteme einzahlen, reagierte er gar nicht. Frauke Petry stichelte während der Veranstaltung immer wieder gegen Brähmig, fragte, wie er noch Mitglied der CDU sein könne mit seinen Positionen.

Brähmig will, dass das Volk darüber entscheidet, ob es überhaupt Zuwanderung geben solle und in welchem Maße. Er schürte Ängste vor steigender Kriminalität, vor Parallelgesellschaften und forderte einen "aufgeklärten Patriotismus". Den entsprechenden Facebook-Beitrag unterzeichnete er mit "Gott schütze Sie und unser Vaterland". Trotz Brähmigs klarer Haltung verlor die CDU den Wahlkreis an die AfD. Ihn macht das bis heute ratlos. Vor allem, weil an seinem Sturz Menschen beteiligt waren, die er in den vergangenen Jahren hofiert hatte: Wirte, Hotelbetreiber, Unternehmer.

"Einen Rechtsruck braucht es nicht"

Brähmig ist in seiner Heimat gut vernetzt. Er hat den Tourismusverband Sächsische Schweiz gegründet, sitzt im Aufsichtsrat der Volksbank in Pirna, im Präsidium des Kreissportbunds und zahlreichen anderen Vereinen. Er beriet bei Krediten, bei Förderungsanträgen. Zwei Hochwasser fluteten Städte und Dörfer in der Sächsischen Schweiz - Brähmig setzte sich für finanzielle Hilfen ein. Und trotzdem sagten ihm vor der Wahl Weggefährten offen ins Gesicht, dass sie ihn dieses Jahr nicht wählen würden. Die Gründe: Merkel, Flüchtlingskrise, Protest.

Die Enttäuschung darüber ist Brähmig heute noch anzumerken. "Ich war ein Kollateralschaden", sagt er, schaut ins Leere und haut mit der mächtigen Hand auf die Armlehne des Stuhls, auf dem er sitzt. In dem Büro, das er jetzt räumen muss. Brähmig steht noch zu sehr unter Schock, als dass er sich zu Analysen und Handlungsempfehlungen für die sächsische CDU hinreißen lassen möchte. Nur eines steht für ihn fest: Einen Rechtsruck brauche es nicht.

In gewisser Weise ist er der beste Beweis dafür, dass sich damit keine Wahlen gewinnen lassen.

Die Zeit der alten Haudegen scheint vorüber

Am 9. Dezember findet in Dresden der Landesparteitag der CDU statt. Brähmig will nicht hingehen. Er hat keine Lust auf einen möglichen Abgesang auf seine politische Leistung. Markus Walther dagegen hofft auf eine offene Diskussion, die sich nicht nur um einen Rechtsruck dreht. "Wir reden nur über die Leute, die wir an die AfD verloren haben - aber was ist mit den Leuten, die sich beispielsweise aus christlicher Überzeugung um Flüchtlinge kümmern", sagt der frühere Chef der Jungen Union in Leipzig. Auch die seien für die Partei interessant. Was wolle denn bitte die Partei gegen den Rassismus und Rechtsextremismus tun? Gegen die sprachliche Verrohung? Zusammengefasst: Gegen die Faktoren, die aus Walthers Sicht der AfD in die Hände spielen?

Aus privaten Gründen zog sich der Staatsanwalt ein Stück weit aus dem politischen Diskurs zurück. Nun hat er einen Blog aufgesetzt, "Neues Sachsen" heißt er. Walther hofft auf eine "Erneuerung in der sächsischen Union". Auf seinem Blog kommentiert er die aktuellen Entwicklungen in der Partei. Walther weiß, dass sein Einfluss zu gering ist, um wirklich die Debatte innerhalb der Partei zu beeinflussen. Vielmehr will er zeigen, dass es innerhalb der sächsischen CDU auch andere Meinungen gibt als die, die in den vergangenen Wochen herausposaunt wurden.

Auch die Jugendorganisation der CDU in Sachsen, die Junge Union, setzte einen Tag vor Tillichs Rücktritt einen Kontrapunkt zum vorgeschlagenen Rechtsruck. In ihrem "Plädoyer für einen neuen sächsischen Weg", heißt es unter anderem, nicht nur die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin sei für das Wahlergebnis entscheidend gewesen, sondern auch eigene politische Versäumnisse im öffentlichen Dienst und der Finanzpolitik. Die CDU müsse nicht konservativer werden, sondern richtige Antworten geben, so die Forderung.

Die Suche nach Antworten ist nicht mehr Tillichs Aufgabe. Er führt nur noch bis Dezember die Geschäfte. Ob er dann in Politiker-Rente geht, ist offen. Klaus Brähmig will sich seinem politischen Erbe widmen und die Unterlagen der vergangenen 27 Jahre sichten, in der Heimat. Die Aufgabe, die sächsische CDU neu auszurichten, liegt jetzt nicht mehr bei alten Haudegen wie Tillich oder Brähmig, sondern bei Kretschmer, dem mutmaßlich nächsten Ministerpräsidenten. Er braucht jetzt einen Plan. Und zwar sehr bald.

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