Mitbestimmung:Tiktok geht offline

Mitbestimmung: Die Niederlassung in Berlin bekommt eine Arbeitnehmervertretung, es ist wohl die erste überhaupt bei dem Internetgiganten.

Die Niederlassung in Berlin bekommt eine Arbeitnehmervertretung, es ist wohl die erste überhaupt bei dem Internetgiganten.

(Foto: Dado Ruvic/Reuters)

Damit der Internetgigant erstmals einen Betriebsrat bekommt, müssen die Mitarbeitenden die digitale Welt verlassen - und sich total analog treffen. Hat schon beim zweiten Anlauf geklappt.

Von Benedikt Peters

Wer an die Giganten der digitalen Welt denkt, der kommt an Tiktok nicht vorbei. Mehr als eine Milliarde Menschen wischen sich in der App durch einen endlosen Strom aus Videos: Teenies tanzen, Katzen miauen, Babys singen. Der Erfolg der Plattform des chinesischen Entwicklers Bytedance ist so groß, dass er nunmehr selbst Facebook-Gründer Mark Zuckerberg das Fürchten lehrt: Der US-Unternehmer versucht ganz offen, das Erfolgsgeheimnis seines chinesischen Konkurrenten zu kopieren.

Allerdings hat der digitale Fortschrittsgeist auch bei Tiktok Grenzen, nämlich dann, wenn es um die Rechte der Mitarbeiter geht. Am Standort Berlin wollte die 450 Köpfe starke Belegschaft vor einiger Zeit einen Betriebsrat gründen. Nach Informationen aus Gewerkschaftskreisen wäre es die erste Arbeitnehmervertretung überhaupt bei Tiktok gewesen, doch so weit sollte es zunächst nicht kommen. Das Management klagte gegen die Gründung und bekam vor dem Arbeitsgericht Recht - ausgerechnet, weil die Initiatoren ein Treffen zur Gründung eines Wahlvorstands digital abgehalten hatten.

Die Corona-Pandemie hat die Arbeitnehmervertreter in Schwierigkeiten gebracht. Betriebsräte dürfen sich zwar digital treffen und arbeiten, der Bundestag hat dafür das sogenannte Betriebsverfassungsgesetz angepasst, als wegen des Virus so viele Menschen ins Home-Office gingen. Die Gründung eines Betriebsrats aber muss weiterhin in Präsenz stattfinden. Das führte dazu, dass zu Hochzeiten der Pandemie manche Versammlungen in Fußballstadien stattfanden, nur dort konnten große Belegschaften die Abstandsgebote einhalten. Die Berliner Tiktok-Mitarbeiter kannten die Rechtslage offenbar nicht, und für die Konzernanwälte war das ein gefundenes Fressen.

Nun aber ist Besserung in Sicht. Für einen zweiten Anlauf wandte sich die Belegschaft an die Gewerkschaft Verdi, und dieses Mal sieht es gut aus. Der Wahlvorstand ist gewählt, die Vorbereitungen sind fast abgeschlossen, am 12. Oktober soll nun endlich der Betriebsrat gewählt werden. Die Beschäftigten scheinen das herbeizusehnen. Am Standort Berlin sitzen viele sogenannte Inhaltsmoderatoren, sie prüfen die Videos, welche die Nutzer hochladen. Sie sehen Kindesmisshandlungen, Tierquälerei, und, insbesondere in letzter Zeit, Kriegsgräuel. Die Propagandaschlacht um den Ukraine-Krieg wird auch auf Tiktok ausgetragen.

Etwa 1000 Videos müssten die Moderatoren in einer Acht-Stunden-Schicht prüfen, berichtet Verdi, das ginge nur, indem sie die Sequenzen in vierfacher Geschwindigkeit abspielten. Dafür gebe es 2500 Euro monatlich brutto. Die Beschäftigten wollen vor der Wahl nicht mit Medien sprechen. Zu hören ist aber, dass sie sich bessere Arbeitsbedingungen wünschen, weniger Zeitdruck und eine bessere Bezahlung. Sie wollen regelmäßige Gespräche mit der Geschäftsführung.

Bleibt die Frage, was eben jene Geschäftsführung zur Betriebsratswahl sagt. "Wir (...) unterstützen das Recht unserer Arbeitnehmer*innen zu entscheiden, ob sie einen Betriebsrat gründen wollen", teilt Tiktok Germany mit. Erwägt das Unternehmen noch eine weitere Klage? Auf diese Frage antwortet es lieber nicht.

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