Süddeutsche Zeitung

Tierwohl:Schluss mit der Sauerei

Die meisten Menschen wünschen, dass es den Tieren gut geht - und essen doch Fleisch zu Spottpreisen. Wer das Los von Rindern, Schweinen und Hühnern verbessern will, sollte nicht länger auf Freiwilligkeit setzen. Es braucht Verbote.

Von Catherine Hoffmann

Der Schwanz bleibt dran, die Schnabelspitze auch, keine Amputationen mehr. Weniger Medikamente im Stall, vor allem weniger Antibiotika. Stattdessen: mehr Platz, mehr Licht, mehr Luft. So sollte die Zukunft von Schweinen, Hühnern und Rindern in Deutschland aussehen, wenn man Tierschützer fragt. Geht es dagegen nach Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner, tun es auch ein paar Nummern kleiner. Vom kommenden Jahr an soll ein staatlich verbürgtes Siegel Verbraucher im Supermarkt informieren, wie gut es Schweine zu Lebzeiten hatten - in drei Stufen und freiwillig. Der Konsument soll also wählen dürfen, ob der Bauer Schwänze kupiert, wie lange das Ferkel gesäugt wird und wie viel Platz im Stall für die Sau ist. Arme Schweine!

Der Tierschutz hat einen schweren Stand in Deutschland. Zwar nimmt die Sensibilität im Umgang mit Tieren unaufhaltsam zu. Immer mehr Menschen ernähren sich fleischlos oder vegan. Gemüsekochbücher erreichen enorme Auflagen. Und die Massentierhaltung hat ein Legitimationsproblem. Doch diese Haltung hat etwas sehr Privates. Während der Kampf um Tierrechte in früheren Jahrzehnten erbittert auf politischer Bühne geführt wurde, geht es heute vor allem um gesunde Ernährung. Und die muss man sich leisten können. Wünscht sich der Verbraucher für sein Schwein eine schlammsuhlende Kinderbuchidylle, muss er dafür tief in die Tasche greifen.

In Westeuropa gibt es mehr Massentierhaltung, mehr Legebatterien und mehr fabrikmäßiges Tierelend denn je

Wer das nicht kann oder will, dem wird es leicht gemacht. Vorverpackte Schnitzel in der Styroporschale mit Klarsichtfolie darüber gibt es zu Spottpreisen. Diese industrialisierten Lebensmittel, die man in den Kühlregalen der Supermärkte findet, sind so weit entfernt vom Leben der Tiere, den Orten der Quälerei und des Tötens, dass es leicht fällt, das Leiden auszublenden. In Westeuropa gibt es inzwischen mehr Massentierhaltung, mehr Legebatterien und mehr fabrikmäßiges Tierelend denn je. Gut verborgen vor der Öffentlichkeit, arbeitet die Maschinerie der Tierproduktion, trotz gelegentlicher Proteste, auf Hochtouren.

Noch nie, beklagt der Philosoph Richard David Precht, war die Kluft so groß, die das, was Menschen im Umgang mit Tieren für richtig halten, und das, was tatsächlich praktiziert wird, voneinander trennt. In Umfragen geben die meisten Deutschen zu Protokoll, dass ihnen das Wohl der Rinder, Hühner und Schweine am Herzen liegt. Und doch - und dies ist der Skandal - essen die allermeisten Menschen Fleisch von Tieren, die zu empörenden Bedingungen gehalten wurden. Das Problem ist, dass viele Verbraucher keineswegs so handeln, wie sie denken und fühlen.

Solange die Menschen Ernährung und ihr persönliches Verhältnis zu Tieren als Privatsache betrachten, so lange werden die millionenfachen Grausamkeiten gegen Tiere gesellschaftlich akzeptiert. Klöckners angebliches Tierwohllabel ist nichts anderes als eine Rechtfertigung der billigen Fleischberge.

Sollen auch Nutztiere ein gutes Leben führen, helfen freiwillige Selbstverpflichtungen nicht weiter. Es reicht nicht, dass die Landwirtschaftsministerin an die Vernunft der Verbraucher appelliert. Sollen Tiere besser behandelt werden, braucht es bessere Gesetze und zwar verbindlich für alle. Deutschland muss nicht zu einem Bullerbü werden, aber das kurze Leben der Tiere muss erträglicher werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4320559
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 08.02.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.