Mord an Georgier in Berlin:Generalbundesanwalt verdächtigt Russland

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23. August 2019: Beamte der Spurensicherung sichern Spuren am Tatort im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit. (Foto: dpa)
  • Im August ist ein 40-jähriger Georgier im Berliner Tiergarten aus kurzer Distanz erschossen worden.
  • Die Ermittler gehen von einem staatlichen Auftragsmord aus, die Ermittlungen ergaben keine Hinweise auf einen anderen Hintergrund.
  • Die Bundesanwaltschaft will nach Informationen von SZ, NDR und WDR wegen eines möglichen Geheimdienst-Hintergrunds nun die Ermittlungen übernehmen.

Von Florian Flade, Georg Mascolo und Ronen Steinke

Selimchan Changoschwili fürchtete sich, er fürchtete um sein Leben. Der russische Staat sei hinter ihm her, sagte der Tschetschene mit georgischem Pass bei seiner Asylanhörung im brandenburgischen Eisenhüttenstadt im Januar 2017. Mehrere Mordanschläge habe es in den vergangenen Jahren auf ihn gegeben, behauptete der ehemalige Rebellenkommandeur. Was er denn befürchte, wenn er nach Georgien zurückkehren müsste, wollte der Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge von ihm wissen. "Die Leute, die mit den Russen zusammenarbeiten", antwortete Changoschwili. Es gebe auch welche in den Sicherheitsbehörden in Georgien. "Es gibt Tausende von Möglichkeiten, mich dort zu erledigen. Ich habe keine Chance, mich dort zu verstecken."

Der Mann durfte zunächst in Deutschland bleiben, so wie er es sich gewünscht hatte. Aber sicher war er auch hier nicht. Am 23. August 2019 gegen 11.58 Uhr wurde Changoschwili ermordet. Nicht in Russland oder im Kaukasus, sondern mitten in Berlin. Im Kleinen Tiergarten in Stadtteil Moabit war der vierfache Vater gerade auf dem Weg zum Freitagsgebet in der Moschee, als sich ein Mann von hinten auf einem Fahrrad näherte und ihm aus kurzer Distanz mit einer Pistole in den Kopf schoss. Changoschwili war sofort tot.

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Der mutmaßliche Täter sitzt in Berlin in Untersuchungshaft

Die Tat gibt seitdem Rätsel auf - wer steckte hinter dem Attentat? War es ein Auftragsmord aus dem kriminellen Milieu? Eine Fehde unter Kaukasiern? Oder gar ein Attentat im Auftrag des Kreml?

Der mutmaßliche Todesschütze hatte nach der Tat versucht, mit einem E-Roller zu fliehen, war jedoch festgenommen worden: Es ist ein stämmiger Mann mit Schnauzbart und auffälligen Tätowierungen. Laut seinem Pass handelt es sich um den russischen Staatsbürger Vadim Sokolov. Er sitzt in Berlin in Untersuchungshaft und schweigt. Einmal soll er Besuch von Diplomaten der russischen Botschaft bekommen haben, die ihn konsularisch betreuen.

Die Ermittlungen in dem Fall führt Berlins Landeskriminalamt. Der Vorwurf gegen den festgenommenen Tatverdächtigen lautete bislang: Mord. Weil die Tat aber eine so große Brisanz birgt, lässt sich der Generalbundesanwalt Peter Frank von Beginn an über die Ermittlungen informieren, der Karlsruher Ankläger ist zuständig für fremde Spione. Das Bundeskriminalamt (BKA) ist beteiligt, so wie auch die deutschen Geheimdienste.

Jetzt könnte der Fall allerdings eine neue Dimension bekommen: Peter Franks Bundesanwaltschaft will das Verfahren nach Informationen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR noch in dieser Woche offiziell übernehmen. Und zwar, weil sich die Hinweise auf einen Geheimdiensthintergrund verdichten. In Karlsruhe geht man inzwischen davon aus, dass der russische Staat oder staatliche Stellen der Tschetschenischen Teilrepublik den Mord in Moabit in Auftrag gegeben haben könnten. Auch der Spiegel hatte darüber berichtet.

Weitere Verwicklungen zwischen dem mutmaßlichen Täter und Russland

So sind die Ermittler vor Kurzem auf eine verdächtige Fahndungsausschreibung der russischen Behörden gestoßen: Im Jahr 2013 soll der gebürtige Kasache Vadim K. einen russischen Geschäftsmann ermordet haben - auch er war damals wohl bei der Tatbegehung auf einem Fahrrad unterwegs. Ein Abgleich der biometrischen Daten der damaligen Fahndungsbilder ergab nun eine hohe Ähnlichkeit mit dem in Berlin festgenommenen Tatverdächtigen Vadim Sokolov. Und auffällig ist dabei: Russland hatte die internationale Fahndung nach Vadim K. im Jahr 2015 ganz plötzlich eingestellt. Der Verdacht der deutschen Ermittler lautet nun: Russische Dienste könnten den mutmaßlichen Mörder gefunden, für ihre eigenen Zwecke rekrutiert und ihm daraufhin eine falsche Identität verschafft haben.

Ein weiterer Hinweis auf eine mögliche staatliche Verwicklung in den Mord in Berlin liefert eine Faxnummer, die bei den Ermittlungen auftauchte. Der mutmaßliche Mörder Vadim Sokolov war über Paris in die Europäische Union eingereist und hatte zuvor in einem französischen Konsulat ein Schengen-Visum beantragt. Dabei soll eine Faxnummer verwendet worden sein, die zu einem Unternehmen führt, das in der Vergangenheit mit dem russischen Verteidigungsministerium zusammengearbeitet haben soll.

Der Vorwurf:Staatsterrorismus

Auf dem Visumsantrag von Vadim Sokolov war zudem ein angeblicher Arbeitgeber vermerkt: Die Firma 3AO Rust, deren Buchhalter und Generaldirektor hatten eine Bescheinigung unterzeichnet. Sokolov sei Ingenieur in dem Unternehmen. Laut dem Handelsregister befindet sich diese Firma gerade in einer "Reorganisation", was immer das auch heißen soll.

Die investigativen Plattformen Bellingcat und The Insider hatten nach dem Attentat auf Selimchan Changoschwili bereits die Vermutung geäußert, dass der mutmaßliche Mörder Unterstützung von russischen Stellen bekommen haben könnte. So soll der Pass des Tatverdächtigen in Datenbanken in Russland gesperrt sein, und zwar mit dem Hinweis: Die Person sei "vom Gesetz geschützt".

Sollte die Bundesanwaltschaft nach Ende der Ermittlungen tatsächlich den russischen Staat für den Mord in Berlin-Moabit verantwortlich machen, könnte dies erhebliche diplomatische Zerwürfnisse auslösen. Immerhin wäre der Vorwurf dann: Staatsterrorismus. Die russische Seite hat eine Beteiligung an dem Verbrechen stets abgestritten. Jüngst soll es zudem eine Einladung an das Bundesamt für Verfassungsschutz nach Moskau gegeben haben: Man wolle die Deutschen davon überzeugen, dass man nichts mit der Tat zu tun habe.

Ohne handfeste Indizien soll Russland nicht beschuldigt werden

In der wöchentlichen Runde der Geheimdienstchefs im Bundeskanzleramt, der "nachrichtendienstlichen Lage", war der Mord seit Wochen immer wieder Thema, jede neue Meldung ausländischer Dienste, jeder Fortschritt in den Ermittlungen wurde debattiert. Aus der Opposition im Bundestag kam bereits Kritik, der Generalbundesanwalt lasse sich viel zu viel Zeit mit der Übernahme des Verfahrens. Die Bundesregierung stand unter Druck: Einerseits wollte man keinesfalls den Eindruck erwecken, als nehme man den Mord bei helllichtem Tag und den Verdacht einer russischen Beteiligung nicht ernst genug. Andererseits wollte man ohne handfeste Indizien auch Russland nicht voreilig beschuldigen.

Den Ausschlag gaben schließlich die immer dichter werdenden Erkenntnisse über den mutmaßlichen Täter - und dass die Ermittlungen andererseits keine Hinweise auf einen denkbaren anderen Hintergrund ergaben: weder ein familiäres Motiv noch Verstrickungen in organisierte Kriminalität oder das islamistische Milieu. Auch die dürren Auskünfte Moskaus auf die drängenden Fragen der deutschen Ermittler trugen zum Misstrauen bei.

In der Bundesregierung ist man entschlossen, jetzt erst einmal den weiteren Gang der Aufklärung abzuwarten. Eine Ausweisung russischer Diplomaten - wie nach dem Fall Skripal - gilt erst einmal als unwahrscheinlich. Das britische Vorgehen nach dem Mordversuch an dem russischen Überläufer und seiner Tochter im vergangenen Jahr hatte in Berlin Kopfschütteln ausgelöst. Erst mit Verspätung präsentierten die Briten ihre Beweise. Die Bundesregierung will es anders machen: Erst die Beweise - dann die politische Reaktion.

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