Haustier-Boom:Traumberuf für Harte

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Deutsche Tierärzte machen so viel Umsatz wie nie zuvor. Trotzdem geben viele ihren Beruf auf.

Von Titus Arnu

Das Tierarzt-Image wurde lange Zeit von klischeehaften Roman- und Filmfiguren geprägt. In der BBC-Serie "Der Doktor und das liebe Vieh" braust der junge Veterinär James Herriot im offenen Sportwagen durch Yorkshire, um Kälbern auf die Welt zu helfen und verletzten Hütehunden die Beine zu schienen. Bei der Arbeit trägt er Tweed-Anzug und Krawatte, und selbstverständlich verlieben sich die Töchter der vierschrötigen Viehbauern reihenweise in den edlen, selbstlosen Helfer.

So weit die Fiktion. In der Realität tragen die wenigsten Tierärzte Tweed, mehr als 90 Prozent der deutschen Veterinärmedizin-Absolventen sind weiblich. Ihre Situation ist weit unromantischer als in Kitschfilmen: Sie haben alle Hände voll zu tun, sie werden oft mit dem Tod konfrontiert - und sie sind unterbezahlt. In den meisten Tierkliniken herrscht Personalmangel. Die Arbeitsbelastung explodiere, sagt Heiko Färber, Geschäftsführer des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte: "Burn-out und psychischer Stress sind da allgegenwärtig."

Knapp 12 000 Tierärzte und Tierärztinnen arbeiten in Deutschland, sie sind zuständig für 35 Millionen potenzielle Patienten - gebrechliche Graupapageien, kränkliche Katzen, malade Meerschweinchen, sieche Schildkröten, Wauwaus mit Wehwehs, Zierfische mit Zipperlein. Die Pandemie hat die Überlastung noch verschärft. Eine Million Haustiere zogen im Jahr 2020 in ein neues Heim, ein Trend, der auch 2021 anhielt. Mittlerweile lebt in fast jedem zweiten Haushalt ein Tier. "Während der vergangenen zwei Jahre haben die meisten Tierhalter viel mehr Zeit mit ihren Lieblingen verbracht als sonst", sagt der Branchen-Experte Felix von Hardenberg, der tierärztliche Betriebe berät, "und dabei haben sie auch viele Wehwehchen entdeckt, die sie sonst vielleicht übersehen hätten."

Für die Tiermedizinerinnen bringt der Haustierboom mehr Arbeit, aus wirtschaftlicher Sicht eine deutliche Umsatzsteigerung. Wie das Statistische Bundesamt mitteilt, erzielte das Veterinärwesen im Corona-Jahr 2020 rund 4,4 Milliarden Euro Umsatz und damit ein Plus von 10,6 Prozent gegenüber 2019. Zum Vergleich: Über alle Wirtschaftsbereiche hinweg sank der Jahresumsatz 2020 um 3,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Derweil gab es im Jahr 2020 in der Tiermedizin so viele Nachwuchskräfte wie lange nicht mehr: 1534 Absolventinnen und Absolventen erlangten einen Hochschulabschluss einschließlich einer Promotion, 18 Prozent mehr als im Vorjahr.

Das bedeute aber nicht, dass die Personalprobleme in der Branche gelöst seien, meint Berater Felix von Hardenberg. Im Gegenteil, während die Zahl der Haustiere explodiert, sinkt die Zahl der praktizierenden Tierärzte und -ärztinnen seit Jahren stetig. "Viele reduzieren die Arbeitszeit aus gesundheitlichen und familiären Gründen", sagt er. Außerdem weicht ein Drittel der Absolventinnen auf lukrativere und familienfreundliche Berufe aus. Trotzdem sei Veterinärmedizin immer noch ein Traumberuf, wenn man Leidenschaft für Tiere mitbringt, auf ein breites Einsatzspektrum Wert legt und den Status des Freiberuflers schätzt, findet Hardenberg. Das Umsatz-Plus wird wohl trotzdem nicht so schnell dazu führen, dass bald wieder mehr Tweed-Anzug tragende Tierärzte im offenen Sportwagen durch die Gegend brausen.

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