Debatte um Sexismus:Tichys Abschied

Bär verlässt Erhard-Stiftung aus Protest gegen Vorsitzenden

Der deutsche Journalist Roland Tichy 2016 auf dem Medientreffpunkt Mitteldeutschland.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Der Publizist gibt den Vorsitz der Ludwig-Erhard-Stiftung nach frauenverachtenden Äußerungen in "Tichys Einblick" ab. In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Positionen Tichys drastisch gewandelt.

Von Simon Hurtz und Robert Probst

"In einer Zeit, in der ein verwerflicher Opportunismus und ein verderblicher Konformismus sich immer weiter ausbreiten, gilt es, die Werte verantwortlicher Gesinnung und menschlicher Gesittung zu stärken und neu zu beleben." So schrieb Altkanzler Ludwig Erhard im Jahr 1967 und gründete eine Stiftung. Ihr Ziel ist, freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Politik zu fördern. Seither versteht sich die Ludwig-Erhard-Stiftung als "ordnungspolitische Stimme". Doch in den vergangenen Tagen war weniger von Sozialer Marktwirtschaft, Freiheit und Verantwortung die Rede, sondern von Sexismus und Frauenverachtung - wegen eines Aufsatzes, den der Vorsitzende der Stiftung publizierte. Nach einem Sturm der Entrüstung zieht der Journalist Roland Tichy nun Konsequenzen und gibt den Vorsitz der Stiftung, den er seit 2014 inne hat, ab.

Er trete bei der am 30. Oktober anstehenden Wiederwahl nicht mehr an, heißt es in einem Schreiben des Vorstandes vom Donnerstag an die Mitglieder der Stiftung. Grund ist eine Debatte um frauenverachtende Äußerungen über die SPD-Politikerin Sawsan Chebli in dem von ihm publiziertem Medium Tichys Einblick. Darin hatte sich ein Autor mit sexistischen Worten über die Bundestagskandidatur Cheblis ausgelassen.

Friedrich Merz, Kandidat für den CDU-Vorsitz, twitterte zu Tichys Rückzug: "Die einzig richtige Entscheidung." Chebli twitterte, der Rücktritt von Tichy sei "längst überfällig" gewesen, "aber er löst natürlich nicht das Riesenproblem, das wir mit Sexismus haben. Deshalb: Lasst uns auch künftig alle niemals schweigen!"

Zunächst hatte die Staatsministerin für Digitales, Dorothee Bär (CSU), ihre Mitgliedschaft in der Stiftung aus Protest gegen Tichy gekündigt. Grund sei "die frauenverachtende und in höchstem Ausmaß sexistische Äußerungen gegenüber meiner Kollegin Sawsan Chebli", hatte Bär dem Handelsblatt gesagt. Am Donnerstag kündigten Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sowie der Vorsitzende der Mittelstandsunion Carsten Linnemann an, mit sofortiger Wirkung ihre Mitgliedschaft in der Ludwig-Erhard-Stiftung ruhen zu lassen. Das CDU-Präsidiumsmitglied Spahn und CDU/CSU-Fraktionsvize Linnemann erklärten dazu: "Die Ludwig-Erhard-Stiftung ist eine Institution mit langer Tradition und dem Erbe des Namensgebers verpflichtet. Leider ist seit geraumer Zeit eine Debattenkultur von führenden Vertretern der Stiftung festzustellen, die dieser Verantwortung nicht gerecht wird. Das schadet dem Ansehen Ludwig Erhards."

In den vergangenen 30 Jahren haben sich Roland Tichys Positionen drastisch gewandelt. "Ausländer rein", hieß ein Buch, das er 1990 veröffentlichte. Die Sprache der Politik und Medien erzeugten künstlich einen Problemdruck, der Ausländerfeindlichkeit und den Erfolg rechtsradikaler Parteien begünstigte, schrieb er. Mittlerweile veröffentlicht er auf seinem Portal Texte, die solche Ressentiments schüren. "Wir geben den Leuten eine Stimme und tragen dadurch zur Versachlichung bei", begründete er das in einem Gespräch mit der Zeit.

Früher arbeitete Tichy für etablierte Medien: Sieben Jahre war er Chefredakteur der Wirtschaftswoche, bevor ihn der damalige Verlagschef Gabor Steingart 2014 absetzte. In seiner neuen Rolle legt er sich immer wieder mit dem Milieu an, dem er selbst entstammt: Tichys Einblick erfand einen Skandal beim ZDF-Politbarometer und kassierte eine Abmahnung von Madsack. 2017 musste Tichy als Herausgeber des Business-Netzwerks Xing News abtreten, nachdem ein Gastautor auf seinem Portal "grün-linke Gutmenschen" als "geistig-psychisch krank" bezeichnet hatte.

Ein Jahr später stritt er sich mit dem Handelsblatt, das zuvor berichtet hatte, der Unionspolitiker Friedrich Merz wolle nicht gemeinsam mit Tichy auf einer Bühne auftreten. Auch damals ging es um einen Eklat in der Ludwig-Erhard-Stiftung, die Merz für seine Verdienste um die Soziale Marktwirtschaft auszeichnen wollte. Doch ausgerechnet Merz, ein erklärter Liberalkonservativer und damit eigentlich genau auf Linie mit Tichys Einblick, lehnte den Preis ab. Außerdem traten vier Jury-Mitglieder zurück, da die Stiftung Gefahr laufe, zur "Reputationsmaschine" für Tichys Einblick zu werden.

Nach Angaben des Stiftungsvorstands wollen sich außer Tichy auch der stellvertretende Vorsitzende Oswald Metzger sowie der Schatzmeister Alexander Tesche nicht zur Wiederwahl stellen. Kritik an Tichy hat nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auch Bundesbankpräsident Jens Weidmann geäußert, der ebenfalls Mitglied der Stiftung ist. In einem Schreiben an die anderen Mitglieder der Stiftung argumentiert Weidmann demnach: "Als Mitglied schätze ich die Stiftung, weil sie der Fortentwicklung marktwirtschaftlichen und freiheitlich-demokratischen Denkens eine Plattform bietet. Ein Ziel, das gerade in der heutigen Zeit in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzen ist. Dazu gehört aus meiner Sicht ein Debattenklima gegenseitigen Respekts, nicht nur innerhalb der Stiftung, sondern auch darüber hinaus."

Tichys eigene Plattform erweist sich demnach als Problem. Seit Juni ist klar, dass man in Deutschland sagen darf, Roland Tichy betreibe eine "neurechte Plattform", deren "Geschäftsmodell auf Hetze und Falschbehauptungen beruht". Das hatte die Grünen-Politikerin Claudia Roth im vergangenen Jahr gesagt, woraufhin Tichy klagte und zweimal vor Gericht unterlag. Das Urteil selbst sagt nichts über Tichys Einblick, das der Publizist 2014 als Online-Portal startete und seit vier Jahren auch als Print-Magazin vertreibt. Schließlich bewerteten die Richter Roths Behauptung nicht inhaltlich, sondern stuften sie als Meinungsäußerung ein, die sich Tichy gefallen lassen müsse. Der Prozess sagt aber einiges über Tichy und den Journalismus, für den er steht. Denn der Erfolg von Tichys Einblick basiert auf derselben Frage, wegen der Tichy vor Gericht zog: Was darf man in Deutschland noch sagen?

Nicht viel, glaubt man Tichy und den gut 60 Autorinnen und Autoren, die dort Artikel, Kolumnen und Gastbeiträge schreiben. Das "liberal-konservative Meinungsmagazin" vertritt immer wieder Positionen, die in Deutschland angeblich vom Aussterben bedroht sind: "Wir nehmen zu viele Flüchtlinge auf; Wissenschaftler haben sich die Klimakrise ausgedacht; die Corona-Maßnahmen sind übertrieben; Merkel muss weg." Tichy inszeniert sich dabei als Kämpfer für die Meinungsfreiheit und wiederholt ein rechtskonservatives Narrativ: Wenn grenzwertige oder teils grenzüberschreitende Äußerungen auf Kritik stoßen, steckten dahinter "Kampagnen" oder "Zensur".

Ludwig Erhard hatte übrigens in seinem Stiftungs-Geleitwort 1967 geschrieben: "In einer Zeit und in einer Welt, die in staats- und gesellschaftspolitischer Hinsicht nicht nur fortdauernden Wandlungen unterliegt, sondern nur zu oft destruktive Züge aufweist, tut Besinnung not." Das stimmt auch 53 Jahre später noch.

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jtzt buzz dorothee baer twitter / Foto: Jens Schicke / imago images

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