Tibet-Konflikt:Pekings Desaster in Lhasa

Derzeit zeigt sich China der Welt als brutaler Polizeistaat aus dem Zeitalter der Ideologien. Dennoch wird der autoritäre Sozialismus des 20. Jahrhunderts allmählich zerbröseln.

Kurt Kister

Kaum eine grundsätzliche Betrachtung zur Lage der Welt kommt ohne die Erkenntnis aus, dass China die Supermacht des 21. Jahrhunderts sei. Es gibt dafür viele, vor allem wirtschaftliche Argumente. Deswegen raten auch Politiker und Geschäftsleute gern zu "pragmatischem Umgang" mit China. Darunter wird oft eine Mischung aus Kotau und Appeasement verstanden, verbunden mit dem Satz, man müsse vermeiden, dass Chinesen "das Gesicht verlieren".

Lhasa; AP

Ein inhaftierter Demonstrant in Lhasa

(Foto: Foto: AP)

Im Umgang mit Tibet machen sich die Chinesen selbst wenig Sorgen darüber, ob die Tibeter das Gesicht verlieren könnten - schließlich haben etliche Tibeter in den vergangenen Wochen sogar ihr Leben verloren. Peking hat von 1950 an im besetzten Tibet den feudalistischen Mönchsstaat abgeschafft. Er wurde ersetzt durch einen zentralistischen, nicht nur während der Kulturrevolution gewalttätigen Sozialismus, der auf die Sinisierung Tibets abzielt.

Im aktuellen Tibet-Konflikt präsentiert sich China der Welt als ein Staat, der gleichsam in zwei Epochen lebt. Da gibt es einmal das glitzernde Skyline-China, in dem der Transrapid rast und eine hedonistische Schicht nach dem Prinzip enrichez vous lebt. Dieses China wollen die Pekinger Machthaber bei den Olympischen Spielen ausstellen. Gegenwärtig aber dominiert ein anderes China: Es ist der brutale Polizeistaat aus dem Zeitalter der Ideologien, der das Individuum geringschätzt und Bürgerrechte verachtet. Die Partei schreibt vor, was zu sein hat und was nicht sein darf. Sie will auch bestimmen, was die Wahrheit ist.

Letzteres ist in der Ära des Internets und der Satellitentelefonie ebenso archaisch wie auch verwerflich. Man hat in Peking nicht verstanden, dass die Zeiten vorbei sind, in denen man mit organisierten Journalistentouren jene verzerrten Ausblicke erzeugen kann, die dann hinterher die Leute beruhigen. Im Gegenteil, jene schimpfenden, weinenden, mutigen Mönche, deren Bilder die nach Lhasa verbrachten Korrespondenten in alle Welt sandten, werden zum Fanal gegen die chinesische Willkür in Tibet.

Peking hat das Desaster in Lhasa auch noch zu einem selbstorganisierten PR-Desaster gemacht. Dies zeigt, dass Chinas KP-Funktionäre keine modernen Verwalter sind, sondern zum großen Teil eben doch Parteimasken, die intellektuell tief im 20. Jahrhundert hängengeblieben sind. Sie verstehen nicht, dass über den Erfolg der Politik heute die Wahrnehmung der Politik mitentscheidet. Sie glauben, dass sich Aufruhr im Inneren und Kritik von außen durch Nachrichtenunterdrückung und Gewalt vermeiden oder wenigstens ruhigstellen lassen.

So war das im 20. Jahrhundert in den Staaten, die von einer Partei mit einer Wahrheit beherrscht wurden. Diese Regimes sind heute bis auf wenige Ausnahmen zerbröselt. Das Polizeistaats-China gehört zu den Ausnahmen. Aber das Skyline-China wird dazu beitragen, dass im 21.Jahrhundert auch in Peking die Herrschaft der Partei zerbröseln wird.

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