Stahlindustrie im Ruhrgebiet:Der Kanzler besucht das Herz der Krise

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Olaf Scholz spricht bei der Mahnwache vor dem Tor zum Duisburger Stahlwerk, unter Beobachtung auch von Betriebsratschef Tekin Nasikkol (2. v. r.). (Foto: SASCHA SCHUERMANN/AFP)

Olaf Scholz verspricht im Ruhrgebiet bei den Stahlarbeitern von Thyssenkrupp niedrigere Strompreise. Die Beschäftigten wollen aber auch wissen, was er gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit tut.

Von Björn Finke, Duisburg

Direkt neben Tor 1 des riesigen Stahlwerks steht ein orangefarbenes Zelt, davor ein Schild: „198 Tage Mahnwache“, ist dort zu lesen. So lange schon demonstrieren hier in Duisburg Beschäftigte von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE), Deutschlands größtem Stahlhersteller, gegen Jobabbau. Hinter dem Tor ist eine mächtige graubraune Fabrikhalle hingeklotzt, weiter entfernt ragen Hochöfen in den Himmel, eingenebelt von weißem Wasserdampf. An diesem Dienstag bekommt die Mahnwache prominenten Besuch: Bundeskanzler Olaf Scholz schaut vorbei.

Danach hat der SPD-Politiker weitere Wahlkampftermine im Ruhrgebiet, dieser einstigen Herzkammer der Sozialdemokratie. Doch in Umfragen liegt selbst dort in vielen Städten die CDU vorne. Für den Politiker ist der Abstecher zum Duisburger Werk aber nicht nur ein Besuch in der Herzkammer seiner Partei, sondern auch ein Besuch im Herzen der deutschen Wirtschaftskrise. Die Wirtschaftsleistung könnte 2025 das dritte Jahr in Folge schrumpfen. Das gab es noch nie.

Und der Stahlbranche geht es besonders schlecht, denn sie verbraucht viel Energie und leidet deshalb unter den hohen Preisen. Billige Konkurrenz aus China ist ein zusätzliches Problem. TKSE kann den riesigen Standort – zehn Quadratkilometer groß, 470 Kilometer eigenes Schienennetz – schon seit Jahren nicht mehr richtig auslasten.  Daher will das Management bis 2030 etwa 5000 der 27 000 Jobs im gesamten Unternehmen streichen.

Die Billigkonkurrenz aus China macht Europas Stahlindustrie zu schaffen

Scholz sprach bei seinem Besuch mit 270 Betriebsräten und Beschäftigten, die aus allen Niederlassungen des Konzerns angereist waren. Außerdem besichtigte er Hochofen 8  – einer der Öfen, der in wenigen Jahren abgeschaltet und durch eine klimafreundliche Anlage ersetzt werden soll. Bei seiner letzten Station, dem Mahnwachen-Zelt, zeigt sich der Politiker gegenüber Journalisten „sehr beeindruckt“ von den Gesprächen und der Führung. Und er gelobt, nach einem Wahlsieg alles dafür zu tun, „dass die Rahmenbedingungen so sind, dass Stahlproduktion sich auch rechnet“.

Der 66-Jährige sagt, er habe einen Stahlgipfel der EU-Staaten vorgeschlagen, denn in anderen Ländern habe die Branche ebenfalls zu kämpfen. Bei dem Treffen solle etwa über Zölle geredet werden. Scholz nennt China nicht beim Namen, aber hiesige Unternehmen klagen schon seit Längerem, dass chinesische Stahlkonzerne ihre Überkapazitäten zu Billigpreisen in den Weltmarkt drücken. Zölle könnten heimische Anbieter vor günstigen Importen schützen.

Zudem plädiert Scholz für „einen Deckel auf die Preise der Stromautobahnen“, also letztlich dafür, die Netzentgelte mithilfe staatlicher Subventionen zu drücken. Diese Gebühren fließen an die Netzbetreiber, und Industriebetriebe, die reichlich Elektrizität verbrauchen, zahlen entsprechend viel davon. In den kommenden Jahren werden die Netze weiter massiv ausgebaut. Das erfordert Milliardeninvestitionen – und dies wird die Entgelte kräftig steigen lassen, wenn nicht der Staat gegensteuert.

Das Versprechen stellt eine Rolle rückwärts dar: Die Netzentgelte legten 2024 rasant zu, nachdem die inzwischen zerbrochene Ampelkoalition 5,5 Milliarden Euro Subventionen dafür gestrichen hatte. Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts hatte die Regierung zum Sparen gezwungen.

Der Konzern kassiert Milliardensubventionen

Scholz tauschte sich bei der Visite auch mit dem Management von TKSE aus. Vorstandschef Dennis Grimm sagt hinterher, er habe „mit Nachdruck auf den dringenden politischen Handlungsbedarf hingewiesen – unabhängig vom Ausgang der Bundestagswahlen“. Denn ein weiteres Abwarten werde Wirtschaftskraft und Wohlstand kosten – „Tag für Tag“. Grimm fordert unter anderem niedrigere Energiekosten, vor allem durch die von Scholz versprochene Entlastung bei den Netzentgelten, sowie besseren Schutz vor billigen, klimaschädlich hergestellten Importen.

Die CDU verabschiedete Anfang der Woche ihr Sofortprogramm für den Fall eines Wahlsiegs. Darin gelobt sie ähnlich wie Scholz, Netzentgelte und Stromsteuer zu senken. Zudem wollen die Christdemokraten Bürokratie abbauen, um den Firmen zu helfen. Kanzlerkandidat Friedrich Merz handelte sich vor zwei Wochen Ärger ein mit der Aussage, er glaube nicht, dass sich die deutsche Stahlindustrie schnell umstellen lasse auf eine klimafreundliche Produktion. Ihm wurde daraufhin vorgeworfen, er sehe keine Zukunft für die Branche. Merz erklärte aber, es sei ihm nur darum gegangen, auf die Schwierigkeiten hinzuweisen und für mehr Pragmatismus zu werben.

Dass es Schwierigkeiten gibt, ist unstrittig. Da die EU den Emissionshandel verschärft hat, wird es bald teurer, Treibhausgase in die Atmosphäre zu blasen. Bisher steht allein TKSE für 2,5 Prozent des deutschen Kohlendioxid-Ausstoßes. Deshalb sollen die Stahlunternehmen die extrem klimaschädlichen Hochöfen abschalten und durch grüne Anlagen ersetzen. TKSE baut gerade solch eine Direktreduktionsanlage; Bund und Land fördern das Projekt mit zwei Milliarden Euro. Die Anlage soll 2027 in Betrieb gehen und Roheisen nicht mit Koks und Kohle, sondern zunächst mithilfe von Erdgas gewinnen. Dieser Schritt senkt den Ausstoß an Treibhausgasen bereits um die Hälfte.

Mehr als die Hälfte der Belegschaft hat einen Zuwanderungshintergrund

Nach früherer Planung sollte die Anlage von 2029 an auf Erdgas verzichten und klimafreundlich erzeugten – sogenannten grünen – Wasserstoff verwenden. Dann wäre das Roheisen nahezu klimaneutral. Allerdings werden diese grünen Moleküle deutlich teurer sein als anfangs geschätzt und wohl auch erst später im großen Maßstab zur Verfügung stehen.

TKSE will die 135 Meter hohe Anlage daher länger als ursprünglich vorgesehen mit Erdgas betreiben. Das könnte jedoch bedeuten, dass ein Teil der zugesagten Subventionen nicht fließt. Darum verhandelt das Management mit Bundeswirtschaftsministerium und EU-Kommission über die Änderungen. Rivale Arcelor-Mittal wiederum hat seine Investitionen in den grünen Umbau der Produktion sogar ganz auf Eis gelegt, obwohl der Firma allein in Deutschland 1,3 Milliarden Euro Subventionen dafür bewilligt worden sind. Der Konzern begründet den Schritt unter anderem mit den hohen Kosten für grünen Wasserstoff und dem schlechten Schutz vor Billigimporten.

Die TKSE-Beschäftigten in Duisburg treibt aber nicht nur die Zukunft der Branche und ihres Werks um. Mehr als die Hälfte habe Migrationshintergrund, sagt Tekin Nasikkol, der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats. Und diese Kollegen hätten beim Treffen mit Scholz wissen wollen, was der Kanzler gegen die wachsende Fremdenfeindlichkeit unternehmen wolle. Scholz habe gelobt, sich für mehr Zusammenhalt einzusetzen, sagt der Gewerkschafter. An Versprechen mangelt es im Wahlkampf selten.

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