Süddeutsche Zeitung

Thüringer Verwicklungen:"Das kann doch alles nicht wahr sein"

Im thüringischen Oberweißbach, dem Heimatort der von Neonazis ermordeten Polizistin Michèle K., ist man empört - und zwar über die jüngsten Verdächtigungen aus Berlin. Das BKA will eine Verbindung zwischen der jungen Frau und der braunen Terrortruppe entdeckt haben.

Christiane Kohl, Oberweißbach

Der Himmel ist strahlendblau über dem Thüringer Wald. Graue Schieferfassaden ragen zwischen grünen Hügeln hervor. Auf dem Marktplatz von Oberweißbach, einer kleinen Bergstadt, die nördlich von Coburg im südlichen Thüringen liegt, herrscht geschäftiges Treiben. Im Rathaus ist Bürgermeister Jens Ungelenk ins Dachgeschoss hinaufgestiegen, um mit dem Ordnungsamtsleiter die Sachlage zu beraten.

"Wir sind erschüttert", sagt der Kommunalpolitiker, "wie eine Bundesbehörde solche unverantwortlichen Aussagen treffen kann." Gleich nach der Pressekonferenz am Montag habe er versucht, in Berlin anzurufen, um die Dinge richtigzustellen. "Aber so ein kleines Licht wie ich wird ja da gar nicht erst durchgestellt", sagt der Bürgermeister entnervt.

Was die Mitarbeiter im Oberweißbacher Rathaus so erregt, sind die jüngsten Äußerungen zu dem Mord an der Polizistin Michèle K. im April 2007 in Heilbronn. Die junge Frau, die aus Oberweißbach stammte, ist von Mitgliedern des rechtsterroristischen Trios "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) erschossen worden, wie man inzwischen weiß.

Welches Motiv die Täter dabei antrieb, aber blieb bislang unklar - bis der Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke, am Montag eine vermeintlich schlüssige Erklärung auftischte. Derzufolge sollte der Mord eine "Beziehungstat" gewesen sein, da man allerlei "Schnittmengen" zwischen der Familie der Polizistin und dem Umfeld des Terroristen-Trios entdeckt habe. Dabei ging es vor allem um den Stiefvater von Michèle K., der ein bekannter Hotelier in Oberweißbach ist.

Nach der Version des BKA sollte er vor Jahren mit einem rechtsgerichteten Gastwirt um den Zuschlag für ein anderes Hotel konkurriert haben. K. sei unterlegen. "Alles Quatsch", sagt hingegen der Ordnungsamtsleiter von Oberweißbach dazu. Zwar habe sich K. Mitte der neunziger Jahre kurzzeitig einmal für den Betrieb eines Hotels interessiert, das der Gemeinde gehört.

Noch bevor irgendetwas spruchreif werden konnte, sei er jedoch abgesprungen. In der Folge wechselte das Lokal ziemlich oft den Besitzer. Erst zehn Jahre später interessierte sich dann ein Gastwirt für das Hotel, das tatsächlich Beziehungen zur rechten Szene hatte, wie sich später herausstellte.

Das Hotel "Zur Bergbahn" liegt in Lichtenhain, einem Ortsteil von Oberweißbach, wo sich ein weiter Blick in die Landschaft bietet. Eine lange graue Schieferfassade, drinnen ein Saal mit Hängelampen aus buntem Glas und grünen Gardinen - so sah es in dem Hotel aus, als das Haus am 1. Dezember 2005 neu eröffnete.

Um den neuen Hotelier zu stützen, richtete die Gemeindeverwaltung ihre Weihnachtsfeier in dem Gasthaus aus. "Wir waren froh, jemanden gefunden zu haben", erinnert sich Ingo Lödel, der Ortsbürgermeister des Fleckens Lichtenhain. Monate später, im März 2006, fuhren dann plötzlich lauter Autos mit fremden Kennzeichen auf den Berg, an die 150 Menschen kamen. Neonazis veranstalteten ein Anti-Globalisierungs-Treffen.

"Danach war Schluss mit dem braunen Spuk"

Braune Lieder wurden gegrölt, NPD-Funktionäre hielten Reden. Und der Ordnungsamtsleiter Thomas Weinberg musste spätabends noch hin: "Die Sache war als private Veranstaltung deklariert, wir haben dann Polizeiposten aufziehen lassen", berichtet er. Einer der Organisatoren des Treffens, das später auch im Thüringer Verfassungsschutzbericht vermerkt wurde, war vermutlich Ralf Wohlleben, ein alter Freund des Terror-Trios aus Jenaer Tagen. Der einstige NPD-Funktionär wurde noch öfter in Lichtenhain gesichtet, er galt als der Schwager des Gastwirts. Mangels Auslastung musste der Besitzer Ende 2006 schließen. Danach, sagt Lödel "war hier Schluss mit dem braunen Spuk".

Heute wird Wohlleben, 36, verdächtigt, die 1998 untergetauchten Rechtsterroristen Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Z. unterstützt zu haben. Und hier könnte es vielleicht tatsächlich eine Beziehung geben: Hatte einer der drei Untergetauchten vielleicht vorübergehend im Hotel "Zur Bergbahn" Unterschlupf gefunden?

Lichtenhain hat 350 Einwohnern. "Hier kennt jeder jeden", sagt Lödel. Doch es gibt im Sommer auch viele Urlauber, weshalb fremde Gesichter womöglich nicht so auffallen. Nach einem Artikel der ostdeutschen Illustrierten Super Illu können sich einzelne Bewohner der Region heute angeblich daran erinnern, Mundlos vor Jahren hier gesehen zu haben. Einen Beweis dafür gibt es nicht. Möglich wäre aber schon, dass einer aus dem Trio während eines Aufenthalts in Oberweißbach der jungen Michèle K. begegnet sein könnte - etwa in der Grotten-Disco, die im Sommer in einer Felshöhle hinterm Bahnhof veranstaltet wird. Dass die Polizistin K. jedoch zeitweise gegenüber dem braunen Hotel gewohnt hat, wie es jetzt ebenfalls in dem Bericht der Berliner Ermittler hieß, scheint völlig aus der Luft gegriffen zu sein: Die Frau lebte stets in einem größeren Wohnblock hinter dem Oberweißbacher Rathaus, wie jeder im Ort weiß.

Auch dass bei Familie K. zeitweise ein Koch mit dem gleichen Nachnamen wie Beate Z. beschäftigt gewesen sein soll, gehört wohl ins Reich der Phantasie. Im Einwohnermeldeamt von Oberweißbach ist der Name Z. jedenfalls nicht registriert. Für den Hotelier K. sind die Verdächtigungen aus Berlin kaum zu verkraften, immerhin hat er den Tod seiner Stieftochter zu verschmerzen. Und Ortsbürgermeister Ungelenk ist immer noch fassungslos: "Das kann doch alles nicht wahr sein", sagt er, "die repräsentieren für mich die Bundesrepublik Deutschland."

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SZ vom 23.11.2011/hai
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