Thüringer Koalitionsverhandlungen:"Der SPD droht ein Supergau"

Thüringer SPD-Rebellen stemmen sich gegen die von Landesparteichef Christoph Matschie angestrebte große Koalition und ziehen ein rot-rot-grünes Bündnis vor.

Christiane Kohl

Für den Erfurter Oberbürgermeister Andreas Bausewein, SPD, geht es letztlich um den Bestand der Thüringer Sozialdemokratie. "Beim Parteitag Ende Oktober", fürchtet der kommunale Spitzenpolitiker, "droht der SPD ein Supergau". Denn wenn jetzt nicht offen über die parteiinternen Widerstände gegen eine schwarz-rote Koalition im Land diskutiert werde, sei in der SPD eine "beispiellose Austrittswelle" die Folge, glaubt Bausewein. Der Oberbürgermeister von Gera und SPD-Parteifreund Norbert Vornehm ist ähnlicher Ansicht. Die Thüringen-SPD sei bereits enorm zusammengeschrumpft, von einst 7000 auf noch 4000 Mitglieder: "Wir dürfen einen weiteren Aderlass nicht zulassen."

Deshalb wollen Bausewein und Vornehm nun die SPD-Basis zu Wort kommen lassen. Gemeinsam mit anderen Thüringer SPD-Rebellen haben die beiden Stadtoberhäupter zu einem Treffen nach Erfurt geladen, das an diesem Samstag im sogenannten "Comcenter", einem landeseigenen Tagungszentrum, stattfinden soll. Dort könnte es allerdings hoch hergehen: Auch die Befürworter eines Bündnisses mit der CDU, allen voran der Landesparteichef Christoph Matschie, haben ihre Truppen für das Treffen mobilisiert. Überdies kursieren inzwischen alle möglichen Protokolle aus den Sondierungsgesprächen zwischen SPD, Linkspartei und Grünen. Und diese Papiere scheinen den parteiinternen Kritikern von Christoph Matschie noch zusätzliche Munition zu verschaffen.

So sieht beispielsweise der Geraer Oberbürgermeister Vornehm nach Durchsicht dieser Protokolle "keinerlei nachvollziehbare inhaltliche Gründe", warum Matschie vergangene Woche die Gespräche mit SPD und Grünen abgebrochen habe. Im Gegenteil: "Die drei Parteien waren sich in vielen inhaltlichen Punkten einig", berichtet Vornehm. Deshalb sei es völlig unverständlich, warum Matschie sich trotzdem der CDU zugewandt habe.

Dies zumal, da es mit den Christdemokraten aus Sicht von Bausewein weit weniger Übereinstimmung in inhaltlichen Fragen gibt. Der Erfurter nennt etwa die Kreis-Gebietsreform, die zwischen SPD, Grünen und Linkspartei bereits ausgemacht gewesen sei - "mit der CDU ist das nicht zu verwirklichen", so der Kommunalpolitiker. Dabei gebe es dringenden Handlungsbedarf, "manche kreisfreie Stadt in Thüringen hat nur 40.000 Einwohner", sagt er - "die haben kaum noch eine Überlebenschance".

Auch in der Schulpolitik sieht Bausewein in einem Bündnis mit der CDU eher schwarz, das bisherige Verhandlungsergebnis mit den Christdemokraten sei jedenfalls "komplette Augenwischerei". Denn ein freiwilliges Angebot des von der SPD gewünschten "gemeinsamen Lernens" bis zur achten Klasse ist seiner Ansicht nach nicht viel Wert. "Das funktioniert nicht", weiß auch Richard Dewes, Matschies Vorgänger im Amt des SPD-Landesparteichefs. Dewes hatte sich schon vor Jahren für eine Koalition mit der Linkspartei eingesetzt, selbst wenn diese dabei den Regierungschef stellen würde. In einer parteiinternen Urwahl war er jedoch in dieser Frage gegen Matschie unterlegen, der eine Koalition mit der Linkspartei nur dann für möglich hielt, wenn die SPD den Regierungschef dabei stellen würde.

Eben dies wäre nun nach Ansicht der SPD-Rebellen möglich gewesen. Um so weniger verstehen sie, warum Matschie eine Koalition mit Linkspartei und Grünen urplötzlich ablehnte. In den diesbezüglichen Sondierungsgesprächen war es zuletzt nur noch um die Frage gegangen, welche Partei den Ministerpräsidenten in dem rot-rot-grünen Bündnis stellen und wie diese Person bestimmt werden sollte. Die Protokolle der letzten Sitzung, die von Linkspartei und Grünen parallel zueinander geführt wurden, sprechen diesbezüglich eine eindeutige Sprache.

Den Aufzeichnungen zufolge hatte der Spitzenkandidat der Linkspartei, Bodo Ramelow, einem von der SPD gestellten Ministerpräsidenten bereits zugestimmt. Wichtig war ihm nur, dass die konkrete Person von allen drei Parteien gemeinsam vorgeschlagen werden sollte - nicht allein von der SPD. Da die Linken die stärkste Partei im Bunde waren, schien den Grünen Ramelows Forderung wohl verständlich. Überdies war intern längst ausgemacht, wer Regierungschef werden sollte: der Erfurter Oberbürgermeister Bausewein. Ihn hatte Matschie noch am Dienstag vergangener Woche nach seiner Bereitschaft gefragt. Bausewein erbat sich Bedenkzeit, seine Antwort erübrigte sich dann jedoch - Matschie hatte sich zwischenzeitlich anders entschieden.

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