Thüringen:Warten auf den Königsmörder

In Thüringen scheint nach der Landtagswahl beinahe alles möglich und auch wieder nichts: Wer das Land künftig regiert, ist offen - die Favoriten könnten am Ende leer ausgehen.

C. Kohl, Erfurt

Noch ist der Kampfplatz in Nebel gehüllt, Pulverdampf raucht und die Lage ist unübersichtlich. Vier Tage nach der Landtagswahl in Thüringen scheint in Erfurt beinahe alles möglich und auch wieder nichts: Da gibt es Erklärungen, die für ein rot-schwarzes Bündnis sprechen oder auch für das Gegenteil, eine rot-rote Koalition.

Dieter Althaus, AP

Ministerpräsident Dieter Althaus betrachtet sich "selbstverständlich" als den Ministerpräsidenten einer möglichen Koalition aus CDU und SPD. Andere halten das für wenig wahrscheinlich.

(Foto: Foto: AP)

In alle Richtungen werden die Messer gewetzt, während hinter den Kulissen an einer dritten Option gearbeitet wird - einem Bündnis aus SPD, Linken und Grünen. Wer freilich am Ende als siegreicher Ministerpräsident vom Kampfplatz gehen wird, ist derzeit noch völlig unklar. Spannend wie in einem Theaterstück von Shakespeare sind für den Erfurter Politikwissenschaftler Dietmar Herz die augenblicklichen Frontstellungen in den Parteien. Und er prophezeit: "Der Königsmörder kommt immer erst im dritten Akt."

Am Tag nach der Wahl sah noch alles anders aus. Da hatte - gleichsam als erster Akt - der amtierende Ministerpräsident Dieter Althaus gesagt, "selbstverständlich" betrachte er sich als den Ministerpräsidenten einer möglichen Koalition aus CDU und SPD. Mittlerweile mehren sich jedoch die Stimmen, die für Regierungschef Althaus keine Zukunft mehr sehen in Thüringen.

Aber auch SPD-Spitzenkandidat Christoph Matschie könnte womöglich weit entfernt davon bleiben, einen herausgehobenen Ministerposten oder das höchste Regierungsamt zu erklimmen. Noch am Montag hatte er deutlich gemacht, dass er mit allen Parteien über Koalitionen reden wolle, als Erstes jedoch mit der CDU, da diese "die stärkste Fraktion im Landtag" stelle.

Nun wurde Matschie durch seine Partei eines Besseren belehrt: Am Freitag redet er zunächst mit der Linken, überdies sind zwei Gespräche gemeinsam mit Linken und Grünen geplant - der Zug könnte womöglich doch eher in Richtung eines Bündnisses aus SPD, Linken und Grünen gehen.

Wer dann als Regierungschef auf den Schild gehoben werden könnte, ist ungewiss. Bodo Ramelow, der Spitzenkandidat der Linken wird es vermutlich nicht sein, denn er hat im Kampf um die Macht gewissermaßen schon die weiße Fahne gehisst und am Mittwoch angekündigt, dass die Linke "ohne jede Vorbedingung" in die Gespräche mit der SPD gehen wolle. Doch auch Matschie ist politisch nicht unsterblich: Allzu sehr will auch die Linkspartei nicht gedemütigt werden - wenn sie als stärkste Partei im Trio mit den Grünen schon auf den Ministerpräsidenten verzichtet, muss sie als Partei jedenfalls die Möglichkeit haben, das Gesicht zu wahren. Und so könnte ein neuartiges Bündnis aus SPD, Linken und Grünen unter Führung der Sozialdemokraten auch ein neues Gesicht an der Spitze erfordern.

Rumoren, überall Rumoren

Es bleibt also spannend zu verfolgen, wer von den drei Spitzenpolitikern am Ende das Rennen macht und wer nicht. Dieter Althaus scheint bereits mitten in den Strudel der Kritik geraten zu sein.

Nicht nur, dass allerlei Hinterbänkler und ehemalige Minister seinen Rückzug forderten, auch der machtvolle Präsident des Thüringer Städte- und Gemeindebundes Michael Brychcy hat sich zu Wort gemeldet: "Der Ministerpräsident hatte sich für einen personenbezogenen Wahlkampf entschieden, jetzt muss er die Konsequenz daraus ziehen", sagt Brychcy, der zugleich Bürgermeister von Waltershausen bei Gotha ist. "Ich hab' mein Ohr am Volk", behauptet der Kommunalpolitiker, "die Menschen wollen, dass Althaus zu dieser Niederlage steht".

Man müsse konstatieren, "dass wir ein Drittel unserer Sitze verloren haben", sagt Brychcy. Tatsächlich ist die Fraktion von 45 Sitzen auf 30 Mitglieder zusammengeschmolzen. "Da kann man nicht einfach wie Althaus erklären: Es gibt keine Kritik." Nun müsse eine offene Diskussion über die Gründe geführt werden.

Zwar stärken führende CDU-Politiker wie der Fraktionschef Mike Mohring dem Ministerpräsidenten noch den Rücken: Eine Koalition ohne Althaus "schließe ich aus", meint er. Indes gibt es immer mehr kritische Stimmen, auch die Junge Union verlangt Konsequenzen. Und die Althaus-Kritiker wollen im Grunde nur retten, was sie noch für rettenswert halten: eine Koalition aus CDU und SPD. Denn "Schwarz-Rot geht nur ohne Althaus", glaubt Brychcy.

Indes rumort es auch zunehmend in der SPD. Immer mehr Mitglieder fordern, keinesfalls mit Althaus und den Christdemokraten eine Koalition zu formen. "Es ist schon unglaublich", berichtet da ein Mitglied der SPD-Führungsriege, "wie viele Anrufe bei uns eingehen von Menschen, die wollen, dass wir eine rot-rot-grüne Koalition versuchen."

Der Oberbürgermeister von Gera Norbert Vornehm erinnert daran, dass Matschie und die SPD mit der Devise angetreten seien, "dass die Regierung Althaus abgewählt wird". Aber anzunehmen, "dass ein Juniorpartner SPD in einer Koalition unter Führung von Althaus eine wirklich andere Politik machen könnte", sei "völlig illusorisch". Auch Vornehm verlangt daher, eine rot-rot-grüne Koalition genau auszuloten. Und er steht nicht allein in der SPD. Andere fordern bereits eine Art "dritten Weg" für die Partei: Eine Koalition aus SPD, Linken und Grünen - aber eben ohne Matschie.

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