Gut zehn Tage nach der so titulierten Schicksalswahl in Thüringen sortiert sich der politische Betrieb in Erfurt. Dazu gehört zum Beispiel die Sitzordnung. Denn es war ja schon eine offene Frage, wo das neue Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) sitzen solle: eher links oder eher rechts der Mitte? Die fünfzehn Abgeordneten werden nach Informationen der Thüringer Allgemeinen nun genau in der Mitte sitzen, zwischen Christ- und Sozialdemokraten. Eine Entscheidung, die auch Ausdruck dafür sein kann, dass die Plötzlich-da-Partei noch nicht zu verorten ist.
Zur Klärung der Lage beitragen wird auch, dass an diesem Donnerstag um zehn Uhr der Landeswahlausschuss zusammentritt. Dann soll das amtliche Wahlergebnis festgestellt werden. Eine Woche später kann die noch amtierende Landtagspräsidentin den Zeitpunkt für die konstituierende Sitzung des Landtages festlegen; letztmöglicher Termin ist der 1. Oktober. Jenseits dieser Formalien aber ist bislang denkbar wenig geklärt im Freistaat Thüringen.
„Wir stecken richtig in der Falle, von zwei Seiten“
Die Wähler haben den politisch Verantwortlichen am vorvergangenen Sonntagabend auch eine maximal komplizierte Aufgabe aufgetragen: Die rechtsextreme AfD wurde stärkste Partei, das gab es in der Bundesrepublik bis dahin noch nicht; die Start-up-Partei BSW kam aus dem Stand auf fast 16 Prozent der Stimmen, die Linke verlor dafür weit über die Hälfte; die SPD schaffte es nur noch knapp in den Landtag. Grünen und Liberalen gelang nicht einmal das.
Unter den angestammten Parteien konnte einzig die CDU zulegen. Ihr Spitzenkandidat Mario Voigt gilt als der nächste Ministerpräsident, Stand jetzt jedenfalls. „Wir stecken richtig in der Falle, von zwei Seiten“, sagt einer, der die Thüringer Landespolitik seit Langem kennt.
Falle Nummer eins sieht so aus: Die AfD hat 32 Sitze im Landtag und damit eine Sperrminorität. Die Rechtsextremen können damit nicht nur Verfassungsänderungen blockieren, sie könnten auch eventuell notwendige Neuwahlen verhindern und würden das nach Meinung einiger Beobachter auch tun. Denn je größer das Chaos in Erfurt ist, desto mehr profitiere sie selber davon. Trifft das so zu, wären die übrigen Parteien zu einem Erfolg in ihren Koalitionsgesprächen verdammt.
Falle Nummer zwei: Da die CDU weder mit der AfD noch mit der Linken zusammenarbeiten will, geht ohne das BSW kaum etwas. Das BSW habe die CDU „am Haken“, sagt ein Beobachter. Denn tatsächlich ist es schwer zu erklären, weshalb die Christdemokraten nicht mit der Linken, der Partei des bekennenden Pragmatikers und Christenmenschen Bodo Ramelow, sprechen wollen, dafür aber mit dem Bündnis von Sahra Wagenknecht. Wagenknecht war immerhin einst Mitglied der Leitung der kommunistischen Plattform.
Sahra Wagenknecht ist sich der Bedeutung ihrer Partei durchaus bewusst. „Wer mit uns koalieren möchte, muss auch mit mir sprechen“, diese Bedingung hat sie schon frühzeitig formuliert. Außerdem verlangt sie ein Bekenntnis einer gemeinsamen Regierung zu Friedensgesprächen mit Russland, festgeschrieben zum Beispiel in der Präambel des Koalitionsvertrages. Mario Voigt verwahrt sich gegen derartige Einmischung aus Berlin genauso wie Michael Kretschmer in Dresden.
Trotzdem ist der sächsische Ministerpräsident zu einer Zusammenkunft mit der BSW-Chefin in die Hauptstadt gereist. Auch Mario Voigt will Wagenknecht treffen. „Michael Kretschmer hat das für Sachsen bereits getan“, sagt Christian Herrgott, Generalsekretär der CDU in Thüringen: „Das ist sicherlich eine Möglichkeit, wenn Frau Wagenknecht sich auch für die wichtigen Thüringer Belange interessiert.“ Parallel dazu gibt es auch in dieser Woche wieder Gespräche zwischen CDU und dem BSW Thüringen.
Das Ziel der Verhandlungen hat schon einen Spitznamen: „Patt-Regierung“
Sollten sich beide Parteien trotz aller Widersprüche annähern, würde die CDU im besten Falle mit dem BSW und der auf gut sechs Prozent geschrumpften SPD eine Koalition bilden. Es wäre die inzwischen sogenannte Patt-Regierung. Anders als bei einer Minderheitsregierung, die Thüringen in den vergangenen Jahren führte, gibt es keine Mehrheit gegen eine Patt-Regierung. In der CDU geht man davon aus, dass in diesem Fall auch nicht mit der Linken kooperiert werden müsse. Deren Parteiführung hatte bereits angekündigt, an der politischen Stabilität des Landes diesseits der AfD mitwirken zu wollen. Die CDU würde dann die notwendige Zustimmung zu Regierungsprojekten fallweise einholen.
Der größte Widerstand gegen ein solches „Brombeer“-Bündnis kommt ausgerechnet vom kleinsten möglichen Partner. SPD-Chef Georg Maier, derzeit auch noch Innenminister des Landes, äußert seit Tagen massive Bedenken gegen eine Zusammenarbeit mit dem BSW. „Für uns ist der Einstieg in Sondierungsgespräche nicht gesetzt“, sagte Maier am Montag. In der Partei sei die Stimmung zwar eher für Regieren als für Opposition. Aber die Vorbehalte gegenüber dem BSW seien ebenfalls groß; Wagenknecht habe sie erst an diesem Sonntag bei ihrem Auftritt in der Talkshow „Caren Miosga“ befeuert. Die BSW-Chefin wurde dort damit konfrontiert, dass sie Bundeskanzler Olaf Scholz als „Vasallenkanzler“ bezeichnet hat; ein Begriff, der schon in der Weimarer Republik verwendet wurde. „Wir haben rote Linien, wo wir sagen, dass wir so nicht mit uns umgehen lassen“, sagte SPD-Chef Maier noch.
Am Mittwochmittag gab es nun das erste Treffen zwischen Vertretern des BSW und den Vertretern der SPD. Auf „neutralem Grund“, wie es hieß, in einem Bürogebäude in Erfurt. „Das Treffen diente dem gegenseitigen Kennenlernen“, erklärte Maier im Anschluss der SZ. Es sei in einer „sachlichen Atmosphäre“ verlaufen. Nach der Vorgeschichte klingt das ja schon fast optimistisch.