Süddeutsche Zeitung

Prantls Blick:Die Selbstvergiftung der Demokratie

Der Thüringen-Wahnsinn könnte ein heilsamer Schock sein. Wer Rechtsextremisten als Populisten verharmlost, leistet ihnen Beihilfe.

Von Heribert Prantl

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der SZ, mit einem Thema, das in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant ist. Hier können Sie "Prantls Blick" auch als wöchentlichen Newsletter bestellen - exklusiv mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

Wir alle, wir fast alle, sind wie die FDP. Wir verharmlosen die AfD - so wie es Thomas Kemmerich, der seltsame, nun doch zurückgetretene FDP-Ministerpräsident in Thüringen getan hat. Wir verharmlosen die AfD - so wie es der orientierungslose FDP-Chef Christian Lindner getan hat. Und wir verharmlosen die AfD immer noch. Wir haben uns zwar nicht, wie die FDP und die CDU in Thüringen, von der AfD des Faschisten Björn Höcke sponsern lassen. Aber wir haben es uns angewöhnt, diese Partei, in der die Neonazis immer mehr und immer lauter den Ton angeben, "Populisten" zu nennen; "Rechtspopulisten", sagen wir gern. So eine Wortwahl ist fast wie ein Händeschütteln. Das Wort Populismus ist eine niedliche Bezeichnung für so eine hochgefährliche Sache.

Wer solche Extremisten Populisten nennt, macht sich ihnen gemein

"Populismus" das ist die bürgerliche Maskierung für eine demagogische, verfassungsfeindliche Politik, die auf Grund- und Menschenrechte pfeift. Gauland, Weidel, Höcke und Co sind keine Populisten - sie sind Rechtsextremisten; sie schüren Hass. Wer solche Extremisten Populisten nennt, macht sich ihnen gemein; er leistet nolens volens Beihilfe zur Vergiftung des Landes.

Die AfD ist eine Partei, die von allen guten Geistern verlassen wird und verlassen ist, sie ist längst nicht mehr die nationalbürgerliche Kümmererpartei, als die sie einst gegründet wurde. Sie ist eine völkische Partei geworden, die eine Ausgrenzung von angeblich fremden Kulturen predigt. An der Spitze dieser völkischen Bewegung stehen Björn Höcke und Co. Höcke ist der Fraktionsvorsitzende der AfD in Thüringen. Dieser Extremist hat das Böse-Buben-Stück der Wahl des FDP-Ministerpräsidenten Kemmerich inszeniert.

Die Braunwerdung der AfD

Diese Extremisten spalten die Gesellschaft. Sie sagen, sie nähmen die Ängste der Menschen ernst, aber sie tun es nicht wirklich. Sie machen vielmehr diese Ängste ernsthaft gefährlich. Sie beginnen ihr Erniedrigungswerk mit der Abwertung und Verhöhnung aller bisherigen Politik, nennen es verächtlich "das System". Dieses System aber ist unser Rechtsstaat, unsere Demokratie. Natürlich: Die rechtsstaatliche Demokratie hat Fehler, die demokratischen Parteien machen Fehler - aber der rassistische Nationalismus ist ein einziger furchtbarer Fehler, ein Desaster.

Wer, wie dies die Extremisten tun, die Feinderklärung in die Demokratie trägt, wer dem Volk das "Anti-Volk" als Feind gegenüber stellt, wer die Verantwortung vor der Geschichte leugnet, wer sich über das Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus lustig macht, wer Menschen aus dem Land jagen will, weil sie ihm nicht deutsch genug sind, wer von sich behauptet, er habe das Monopol der authentischen Repräsentation, wer Grundrechte und Grundwerte aushebeln will - der ist ein Feind der Demokratie. Man soll, man darf ihn nicht zum Populisten verharmlosen.

Gegen den Extremismus anrennen - mit grundrechtlichem Populismus

Nicht ein Populismus macht die Gesellschaft kaputt, sondern der populistische Rechtsextremismus. Populismus ist ein schwammiger, auch in den Sozialwissenschaften nicht genau definierter Begriff. Der Populismus ist als Stigmatisierung populär geworden. Populistisch ist eng verwandt mit populär. Populäre Politiker werden von ihren Gegnern mit einem Ismus behängt und Populisten genannt. Populismus ist dann nur eine Art und Weise, für Politik zu werben, zu der es gehört, komplexe Dinge zu vereinfachen. Jeder gute Politiker muss auch Populist sein, weil er seine Ideen, seine Politik so darlegen, vortragen und vertreten muss, dass sie verstanden werden und begeistern können.

Ein demokratischer Populist ist einer, der an Kopf und Herz appelliert; ein demokratischer Populist ist einer, der die Emotionen nicht den extremistischen Populisten überlässt. Ein demokratischer Populist verteidigt die Grundrechte und den Rechtsstaat gegen dessen Verächter. Populistische Rechtsextremisten dagegen appellieren nicht an Herz und Verstand, sondern an niedere Instinkte. Ihre Vereinfachungen dienen nicht dazu, das Wesen der Dinge zu beleuchten, sondern ihr Unwesen damit zu treiben. Das ist der Unterschied. In dem, was Rechtspopulismus genannt wird, verbirgt sich Rechtsextremismus - ein rassistischer Nationalismus, Xenophobie und Verfassungsverachtung. Dagegen muss man mit grundrechtlichem Populismus, mit populärer demokratischer Politik anrennen.

Mir fällt immer wieder eine Formulierung ein, die der Dichter Franz Grillparzer schon 1849 geschrieben hat: "Von der Humanität durch Nationalität zur Bestialität". Und man ahnt und weiß, dass die Humanität wieder bedroht ist, massiv wie schon Jahrzehnte nicht mehr. Sie ist bedroht von Geschichtsvergessenheit, von neuem altem Antisemitismus, von rassistischer Unverfrorenheit, von gemeiner Rede und gemeiner Tat, von der Lust an politischer Grobheit, von Flegelei und Unverschämtheit, von der Verhöhnung von Anstand und Diplomatie, sie ist bedroht von einer rabiaten Missachtung des Respekts und der Achtung, die jedem Menschen zustehen.

Die FDP und die CDU im Thüringer Landtag haben das alles nicht sehen wollen. Sie haben das Spiel des AfD-Fraktionsvorsitzenden Höcke mitgespielt. FDP und CDU haben damit einen Mann nobilitiert, der das Gedenken an die Nazi-Opfer verleugnet. Sie haben einen Mann nobilitiert, der die Kultur der Erinnerung als "mies und lächerlich" beschimpft. Sie haben einen Mann nobilitiert, der vom tausendjährigen Reich träumt, und sie taten dies wenige Tage nach dem großen Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz vor 75 Jahren. Das war, das ist eine Verhöhnung des Angedenkens an die Opfer der Nazis.

Verhöhnung des Angedenkens

"Nie wieder" - das ist bei den Gedenkreden zur Befreiung von Auschwitz immer wieder gesagt worden. Nie wieder Antisemitismus, nie wieder Faschismus, nie wieder Rassismus. Wer mit einem Nazi paktiert, wer ihm handelseinig die Hand schüttelt, wie der von der AfD mitgewählte Freidemokrat und jetzt zurückgetretene Ministerpräsident Thomas Kemmerich das getan hat, wer ernsthaft erwogen hat, Machtspiele gemeinsam mit der AfD zu betreiben wie Christian Lindner, der soll das Wort "Nie wieder" nie wieder in den Mund nehmen.

Die AfD wurde als bürgerliche, rechtsliberale Anti-Europa-Partei von Euro-Kritikern wie Bernd Lucke, Hans-Olaf Henkel und Joachim Starbatty gegründet. Das war Phase eins. Aber Lucke und Co waren den Rechtsaußen-Leuten nicht gewachsen. Die AfD überrollte ihre Gründer. Lucke und Co traten zusammen mit 2000 Mitgliedern aus der Partei aus und gründeten erfolglos eine neue. Die AfD rückte nach rechts, ihr neues Gesicht wurde Frauke Petry. Die AfD entwickelte sich mit ihr von der Anti-Euro-Partei zur Anti-Flüchtlings- und Anti-Islam-Partei. Petry war den Radikalrechten aber schon bald nicht mehr radikal genug. Sie wurde von Jörg Meuthen und Alexander Gauland ersetzt. Der Weg der AfD nach immer weiter Rechtsdraußen wird von Meuthen und Gauland begleitet und von ihnen zum Teil geleitet.

Neonazistische Identität

Die Verharmlosung der NS-Gräuel ist der braune Faden, der sich durch die Partei zieht. Die AfD wird zu einer völkischem Verein, der deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund aus Deutschland vertreiben will. Höcke und Co - zum Co gehört etwa der brandenburgische AfD-Fraktionschef Andreas Kalbitz - geben der AfD eine neonazistische Identität. Es ist die Identität der sogenannten Identitären; das ist eine Bewegung, die eine Ausgrenzung von angeblich fremden Kulturen predigt. Es ist vom Großdeutschen Reich die Rede und von der "Umvolkung", die man verhindern müsse. Es handelt sich um die Braunwerdung der AfD.

Claudia Martin, von Beruf Erzieherin, die 2016 für die AfD in den Landtag von Baden-Württemberg eingezogen ist, sagt: "Die rechtsextreme Seite in der AfD hat am Ende den längeren Atem. Der Rest verlässt die Partei." Claudia Martin ist inzwischen zur CDU gewechselt. Im Bundestag sind schon fünf AfD-Abgeordnete aus der Partei ausgetreten, weil sie das Erstarken des Rechtsextremismus dort nicht mehr mitmachen wollen. Zuletzt hat die AfD-Abgeordnete Verena Hartmann, erklärt, dass der sogenannte "Flügel" um Björn Höcke zunehmend an Macht in der Partei gewonnen habe: "Der Flügel mit seinem rechtsextremen Gebaren nach innen und außen hat es an die Spitze der Partei geschafft", so schrieb die Frau, die von Beruf Polizistin ist. Aus dem Flügel der AfD ist ihr Körper geworden. Das heißt: In allen deutschen Parlamenten sitzt, 75 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz, eine braune Partei.

Wenn Kramp-Karrenbauer nichts wagt, hat sie schon verloren.

Der Wahnsinn in Thüringen, wo die AfD am allerbräunsten ist, darf nicht länger weitergehen. CDU und FDP dürfen nicht mehr weiter herumlavieren. Der am Samstag erfolgte sofortige Rücktritt des Kurzzeit-Ministerpräsidenten Kemmerich ist ein richtiger Schritt. Der Mann hatte zunächst davon gefaselt, die Vertrauensfrage stellen zu wollen um sich das Misstrauen aussprechen zu lassen.

Es gibt in Thüringen nur zwei saubere Lösungen: Erstens eine von der CDU geduldete Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow, dem bisherigen Ministerpräsidenten der Linken. Er sollte sich noch einmal im Landtag zur Abstimmung stellen. Die zweite saubere Lösung für Thüringen ist die Neuwahl des Landtags; sie würde womöglich für klarere Mehrheiten als derzeit sorgen. Annegret Kramp-Karrenbauer, die taumelnde CDU-Vorsitzende, muss sich entscheiden. Wenn sie nichts wagt, hat sie schon verloren.

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