Thüringen:Unbeschrittene Pfade

In diesen Zeiten müssen Politiker sich auf Inhalte konzentrieren statt auf Ausschlussrituale.

Von Ulrike Nimz

Mitten im Wahlkampf, während eines TV-Duells, erwähnte Bodo Ramelow beiläufig, dass er hin und wieder mit seinem CDU-Kontrahenten wandern gehe. Noch Tage später, während er Senf und Seifenblasen an die Wähler brachte, ächzte Mike Mohring über die verbale Umarmung des linken Ministerpräsidenten: ein Geburtstagsgeschenk sei das gewesen, eine einmalige Sache. Nun, zweieinhalb Monate nach der Landtagswahl, spricht das Land über ein gemeinsames Abendessen, dessen Anbahner Joachim Gauck und die Frage, wie nah man sich wohl gekommen ist.

Anders als in Sachsen oder Brandenburg war in Thüringen nie von einer "Schicksalswahl" die Rede. Ein Irrtum. Während in Dresden und Potsdam inzwischen Kenia-Koalitionen regieren, sind in Erfurt nicht nur gängige Mehrheiten dahin, sondern auch politische Gewissheiten. Es steht zur Diskussion, ob sich 30 Jahre nach dem Mauerfall eine weitere Grenze auflösen könnte, nämlich die zwischen der Linken und der CDU.

Mohring, Landes- und Fraktionsvorsitzender seiner Partei, hatte nach der Wahl Signale der Annäherung in Richtung Ramelow gesendet, um danach auf Distanz zu gehen. Er wirkte wie ein Orientierungsläufer mit kaputtem Kompass. Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen kreist geiergleich um das Geschehen, warnt bei Auftritten in Thüringen vor der Linken, sein Name wurde geflüstert, als es um einen möglichen Ministerpräsidentenkandidaten der Union ging. Das Gerücht erzeugte weniger Zuspruch als Aufmerksamkeit - aber die Erkenntnis: Versinkt der politische Betrieb in ratlosem Streit, hilft das vor allem dem rechten Lager.

Linke, SPD und Grüne haben derweil geräuscharm einen "Zukunftsvertrag" aufgesetzt. Dass Thüringens Ex-Ministerpräsident Dieter Althaus (CDU) seine Idee einer "Projektregierung" gerade jetzt vortrug, hat die CDU erst zurück ins Spiel gebracht. Auch die Empfehlung des Altbundespräsidenten als Vermittler kommt nicht von ungefähr - schließlich ist der ehemalige Pastor Gauck ein Bekehrter: Schon 2014 mischte er sich in die Thüringer Regierungsbildung ein, indem er in der ARD vor einem linken Ministerpräsidenten warnte. Nun riet er im ZDF, auf diesen zuzugehen. Wenn sich selbst ein erklärter Gegner der Linken von den Qualitäten eines Bodo Ramelow überzeugen lässt - ist es nicht Zeit, dass sich auch das sogenannte bürgerliche Lager bewegt?

Noch pocht die CDU auf das Kooperationsverbot. Das ist nicht mutig, aber nachvollziehbar. Man stelle sich die Thüringer CDU als unentschlossene Wandertruppe vor: Wenn die an einer Gabelung nach links abbiegen will, ist damit zu rechnen, dass einige nach rechts ausscheren. Um den Laden zusammenzuhalten, kann man stehen bleiben - oder sich auf einem Mittelweg durchs Dickicht schlagen.

Statt eines Zweckbündnisses aus Linker und CDU wird in Erfurt nun eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung diskutiert, die sich für ihre Vorhaben bei CDU und FDP Mehrheiten sucht. Es gibt schon einen Namen dafür: "Thüringer Modell". Das klingt verbindlicher als Thüringer Experiment; und es kann nicht schaden, ihn sich zu merken. In Zeiten, in denen Volksparteien nicht nur im Osten verlieren, müssen Politiker sich auch künftig auf Inhalte konzentrieren statt auf Ausschlussrituale. Im Wanderland Thüringen weiß man: Es sind die unbeschrittenen Pfade, die spannende Aussichten versprechen.

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