Thüringen:100 Tage Rot-Rot-Grün und noch keine Revolution

Ramelow lädt die Queen nach Gotha ein

Bodo Ramelow ist der erste Ministerpräsident der Linken.

(Foto: dpa)
  • Nach hundert Tagen im Amt ziehen die Medien eine positive Bilanz der rot-rot-grünen Koalition in Erfurt. Die befürchtete Revolution ist ausgeblieben.
  • Positiv wirkt sich aus, dass keine der Koalitionsparteien Interesse daran hat, sich auf Kosten der anderen zu profilieren. Bodo Ramelow ist als erster Ministerpräsident der Linken zudem darauf bedacht, nicht negativ aufzufallen.
  • Große Projekte wie die Kommunalfinanzen, das beitragsfreie Kita-Jahr und die Gebietsreform stehen noch an. An ihrer Umsetzung wird sich die Regierung messen lassen müssen.

Von Cornelius Pollmer, Dresden

Zunächst ein kleiner Rückgriff ins Archiv, um die Bedrohungslage noch einmal zu skizzieren. Es war der August des vergangenen Jahres, als der Nachrichtendienst Bloomberg irgendwie warnend meldete: "German Ex-Communists Seek Revolution in Luther's Homeland". Gemeint war damit der Freistaat Thüringen und von den Ex-Kommunisten dort besonders Bodo Ramelow. Dieser erreichte dann tatsächlich ein gutes Wahlergebnis, er bildete eine Koalition mit SPD und Grünen und er wurde zu Deutschlands erstem linken Ministerpräsidenten gewählt. 100 Tage sind seitdem vergangen, es ist nun traditionell Zeit für die erste mediale Nachsorgeuntersuchung.

Thüringische Medien ziehen eine positive Bilanz

Wie also sieht sie aus, die Revolution in Lutherland? Die Bilanz der Bilanzen ist eindeutig. Als "unerwartet friktionsfrei" bewertet der Mitteldeutsche Rundfunk den Start der Koalition in seiner Anamnese.

Die Zeit hat den "anständigsten Umsturz der Welt" beobachtet und einen "maximal einfühlsamen" Bodo Ramelow. Beruhigendes ist auch der Berliner Zeitung zu entnehmen: Der Ministerpräsident werde "weiter dafür sorgen, dass es Bananen gibt."

Die Thüringer Allgemeine schließlich empfindet die neue Konstellation inzwischen als "geradezu normal" und sie hat auch herausgefunden, dass exakt diese gefühlte Normalität kein Zufall ist.

In einem Strategiepapier zu den ersten 100 Tagen hat die Erfurter Staatskanzlei "Kommunikationsziele" formuliert. Alle drei Mitte-Links-Parteien sind dazu aufgefordert, am Bild eines "respektvoll agierenden Ensembles" mitzuwirken. Menschen und Multiplikatoren soll der Eindruck vermittelt werden, "dass Rot-Rot-Grün sich positiv von der Vorgängerregierung" abhebt. In der Außendarstellung ist das Ramelow und den Seinen bislang zweifellos gelungen, aus drei wesentlichen Gründen.

PR-Pannen der CDU erleichterten den Einstieg

Zu Beginn half es den Rot-Rot-Grünen, dass die abgelöste CDU größere Schwierigkeiten mit der Regierungsabgabe hatte als die Nachfolger mit der Übernahme. Der scheidende Finanzminister Wolfgang Voß parkte praktisch im Gehen 200 Millionen Euro um - weg von der hohen Kante, rein in die Schuldentilgung. In der Öffentlichkeit wurde diese Überweisung als das gesehen, was sie war, nämlich als unnötige Härte.

Auch beim Personal gab die CDU noch einmal alles, mancherorts über den bei Regierungswechseln üblichen Rochade-Rahmen hinaus. So stellte die neue Umweltministerin Anja Siegesmund von den Grünen bei Amtsantritt entgeistert fest, dass auf der Ministeretage ihres Hauses nicht einmal mehr eine Schreibkraft zu finden war. Hinterlassen hatte ihr Vorgänger Jürgen Reinholz stattdessen etwas anderes: den Schädel eines Mufflons.

Aus der Parteizentrale hat er einen schlichten Auftrag bekommen: durchhalten

Stabilisierend wirkt sich momentan auf Rot-Rot-Grün zudem aus, dass es im Interesse keiner der beteiligten Parteien wäre, sich gegen die jeweils anderen beiden zu profilieren. In ganz besonderem Maße gilt das für Ramelow und die Linke. Aus der Zentrale seiner Partei in Berlin hat Ramelow einen schlichten Auftrag bekommen: durchhalten. Die Regierung in Erfurt ist ein Testfall nicht nur fürs Land, sondern auch für die Linke.

Bodo Ramelow ist der erste aus seiner Partei, der ans Steuer gelassen wurde. Für ihn gilt nun, was für alle Fahranfänger gilt: In der Probezeit besser nicht unangenehm auffallen. Positiv auffallen hieße, das rot-rot-grüne Ergebnis bei der nächsten Wahl noch zu verbessern. Weil sie aber selbst in der Linkspartei nicht glauben, dass die Linke die von ihr erreichten 28,2 Prozent noch weiter steigern kann, muss Ramelow sich im Grunde auch noch um das Wahlergebnis der Grünen und vor allem jenes der SPD kümmern.

Große Projekte werden über Erfolg oder Misserfolg entscheiden

Drittens schließlich profitiert die Regierung Ramelow davon, dass 100 Tage natürlich eine aberwitzig kurze Zeit sind. Niemand kann jetzt ernsthaft schon Ergebnisse einfordern, auch wenn die CDU mit Oppositionsführer Mike Mohring geduldig versucht, den noch fehlenden Haushalt als Versäumnis der Sonderklasse zu inszenieren. Ramelow besinnt sich in solchen Momenten auf das Kommunikationsziel der guten Laune und sagt Sätze wie diesen hier: "Niemand hat die Absicht, die Landeshaushaltsordnung zu ändern." Auf der Fachebene wurden zwar die Zuschnitte der Ministerien zum Teil massiv verändert, die Revolution ist bislang aber auch hier ausgeblieben. Rot-Rot-Grün hat einen Winterabschiebestopp für Flüchtlinge erlassen, eine durchaus wirkmächtige Entscheidung. Und sonst? Ein Bildungsfreistellungsgesetz hat das Kabinett passiert. Rock 'n' Roll sieht anders aus.

Erst die Bewältigung oder Nichtbewältigung der großen Projekte - Kommunalfinanzen, beitragsfreies Kita-Jahr, Gebietsreform - werden die Qualität der Regierung aufzeigen. Personell hat Ramelow dafür Voraussetzungen geschaffen, etwa mit dem klugen Mittelsmann Benjamin Hoff als Chef der Staatskanzlei. Sollte Rot-Rot-Grün dennoch an seinen größeren Vorhaben scheitern, dürfte wieder offenbar werden, dass Bodo Ramelow auch als Ministerpräsident manche Schwäche nicht abgelegt hat, wie etwa die, sich zuweilen auf faszinierende Weise zu verzetteln. In einem Duell mit Mohring wurde vor Kurzem nach dem Haushalt gefragt und nach dem Kassensturz. Kurz nach Beginn seiner Antwort bog Ramelow verbal mal wieder ab, in die Gemeinde Rositz, wo die Keller volllaufen würden und das doch nicht sein könne.

Auf lange Sicht jedenfalls wird es nicht reichen, dass Bodo Ramelow sich in seinem neuen Amt wohlfühlt und das Amt irgendwie auch mit ihm. Noch aber ist genau dies der Fall, Ramelow hat nur mit kleineren Problemen zu kämpfen wie den vollen Kellern in Rositz oder auch seiner gestiegenen Prominenz. Er könne jetzt nicht mehr einfach so wandern gehen, sagt er, selbst wenn er sich mit Schal und Kappe tarne. Denn "die Menschen sehen dann den Hund, sagen, das ist ja Attila, und dann müssen Sie der Ministerpräsident sein!" Auch der First Dog hat übrigens so seine Kommunikationsziele: Für Attila gibt es seit einer Weile einen eigenen Twitter-Account.

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