Regierungsbildung in Thüringen:Vertrackte ostdeutsche Realitäten

Christine Lieberknecht und Bodo Ramelow

Im Jahr 2014 begrüßt Thüringens damalige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) den damaligen Fraktionschef der Linken, Bodo Ramelow, im Thüringer Landtag.

(Foto: dpa)

Ramelow und Lieberknecht sind sich persönlich immer näher gewesen, als es ihre Parteien jemals waren. Dass Lieberknecht zudem eine herzliche Feindschaft mit Mohring pflegt, macht die Sache nur würziger.

Von Ulrike Nimz, Erfurt

Mehr als zehn Jahre ist es her, dass die damals frisch gekürte CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht ihre erste Regierungserklärung im Erfurter Landtag hielt. Damals ging es um Gemeinschaftsschulen, den Finanzhaushalt, um die Frage, wie Thüringen der "grüne Motor Deutschlands" werden könne. Der Applaus aus den eigenen Reihen fiel recht bescheiden aus; zu viel war passiert. Es gab nämlich schon einmal eine denkwürdige Ministerpräsidentenwahl in Thüringen. Drei Anläufe brauchte Lieberknecht 2009, um ins Amt zu gelangen, weil mutmaßlich die eigene Fraktion ihr in den ersten zwei Wahlgängen die nötigen Stimmen verweigert hatte.

Dass letztlich alles gut wurde, verdankte Lieberknecht dem Oppositionsführer der Linken: Bodo Ramelow. Durch seine Kandidatur im dritten Wahlgang bewirkte er, dass sich die Reihen hinter der Christdemokratin schlossen. Ramelow war es dann auch, der warme Worte im Anschluss an Lieberknechts Regierungserklärung fand, sie für ihren Stil lobte. Man muss tatsächlich so weit ausholen, um die neueste politische Volte in Thüringen zu verstehen.

Am Montagabend waren die Spitzen von Linken, SPD und Grünen mit einer Vierergruppe der CDU zusammengekommen, um über das weitere Vorgehen in der Regierungskrise zu beraten. Kamerateams und Journalisten formierten sich in routinierter Ergebenheit vor dem Verhandlungsraum, wie man sie höchstens von Legionen kennt, die schon die ein oder andere Schlacht gemeinsam geschlagen haben.

Um kurz vor 20 Uhr geisterte dann die Nachricht über den Flur des Landtages: womöglich doch alles anders, mal wieder. Um 22 Uhr trat Ramelow vor die Reporter, verkündete, dass er auf eine erneute Kandidatur als Ministerpräsident verzichten wolle. Lieberknecht solle vorübergehend den Freistaat regieren, gewählt von einem Landtag in Auflösung, flankiert von drei rot-rot-grünen Ministern. Binnen 70 Tagen solle es eine Neuwahl geben. Ramelow zitierte aus seiner eigenen Regierungserklärung: "Das fordert von uns allen die Bereitschaft, vertraute Pfade der Regierungsbildung zu verlassen. Politik neu zu denken und auch anders zu organisieren."

Ramelows Angebot ist eines, das die CDU nicht ablehnen kann

Spätestens seit diesem weiteren langen Abend in Erfurt erinnert die Thüringen-Saga an das Mafia-Epos "Der Pate". Ramelows Angebot ist eines, das die CDU nicht ablehnen kann. Wie sollte die Partei ihren Anhängern erklären, dass man eine ehemalige CDU-Ministerpräsidentin nicht unterstützen will?

Eine schnelle Neuwahl jedoch könnte die Fraktion halbieren. Umfragen sehen die Christdemokraten im niedrigen zweistelligen Bereich, die Linke bei knapp 40 Prozent. Dabei ist es gerade einmal zwei Wochen her, dass der FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde und wenig später zurücktrat. Kemmerich ist derzeit nur geschäftsführend und ohne Minister im Amt. Einem rot-rot-grünen Bündnis fehlen seit der Landtagswahl Ende Oktober vier Stimmen zur Mehrheit.

Am Dienstagmorgen ist die Stimmung gedämpft bei Thüringens CDU-Fraktionären. Im Foyer des Landtages steht Raymond Walk, Generalsekretär. Auf dem Weg zur Toilette ist er von Journalisten eingekreist worden. Er sagt nicht viel, nur das: "Der Vorschlag von Bodo Ramelow ist nicht akzeptabel." Bald macht das neueste Gerücht die Runde, die CDU-Fraktion arbeite an einem Gegenvorschlag: Lieberknecht könne Kandidatin bleiben, aber mit einem parteiübergreifenden Expertenkabinett. Neuwahlen gäbe es dann erst später.

Begeisterung hört man auch bei den Grünen nicht

Das Gerücht wird sich später bestätigen. Am Abend verhandelten Vertreter der Fraktionen erneut ausdauernd, vertagten sich aber vorerst ergebnislos. Am Mittag tritt Mike Mohring lächelnd vor die Kameras, so als hätte es die Querelen um seine Person nie gegeben. So als hätte er nicht auf Drängen der eigenen Leute seinen Rückzug als Fraktions- und Landesvorsitzender ankündigen müssen. Mohring, der bei dem Treffen am Abend zuvor nicht dabei gewesen ist, gibt sich staatsmännisch: "Wir sind alle in Verantwortung, dass es zu stabilen Verhältnissen kommt." Man habe Bodo Ramelows Vorschlag "mit Interesse aufgenommen".

Man stehe in engem Kontakt mit Christine Lieberknecht. Ramelows Idee müsse "Teil eines Gesamtpaketes sein", das es "mit dem nötigen Tiefgang" zu beraten gelte. Dann verschwinden die Christdemokraten, und Dirk Adams schiebt sich ins Bild, Fraktionschef der Grünen. Ramelows Vorschlag, eine "technische Landesregierung" unter Lieberknecht zu bilden, sei überraschend gewesen, gleichwohl geeignet, um das Land aus der Staatskrise zu führen. Die Grünen stünden für Neuwahlen bereit, der Ball liege nun im Feld der CDU. "Es darf nicht auf Zeit gespielt werden", sagt Adams. Begeisterung hört man auch bei den Grünen nicht. Schließlich hatten sie es vergangenes Jahr mit 5,2 Prozent nur knapp in den Landtag geschafft.

Um den Vorstoß Bodo Ramelows in all seiner Ausgebufftheit zu verstehen, hilft ein Blick in die Regionalzeitung. Im Mai 2018 erschien dort ein Stück anlässlich Christine Lieberknechts 60. Geburtstag. Sie beging ihn in ihrem Heimatort Ramsla im Weimarer Land. Auch Ramelow war eingeladen, beide umarmten einander wie alte Freunde, so berichtete es seinerzeit die Thüringer Allgemeine. Die Festgesellschaft versammelte sich im Hof des Gasthauses "Zum Goldenen Hufeisen".

Allein das ist ein schönes Detail. Waren es doch letztlich die sogenannte Hufeisentheorie und die Abgrenzung zu den politischen Rändern links und rechts der vermeintlichen Mitte, welche die Christdemokraten in Erfurt und Berlin zuletzt beschäftigten, der Bundesvorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer gar zum Verhängnis wurden. Und nun ist das politische Paar Ramelow und Lieberknecht im Gespräch und der Unvereinbarkeitsbeschluss der CDU wirkt einmal mehr überholt, angesichts dieser vertrackten ostdeutschen Realitäten.

Lieberknecht, 61, war die erste Frau an der Spitze eines ostdeutschen Bundeslandes. Die ehemalige Pastorin gilt als durchsetzungsstark und kompromissfähig. Dass sie ganz nebenbei noch eine herzliche Feindschaft mit Mike Mohring pflegt, mit dem sie 2009 um die Nachfolge von CDU-Ministerpräsident Dieter Althaus raufte, macht die Sache nur würziger. Es bleibt spannend im seltsamen Thüringen.

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MeinungThüringen
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