Thüringen: Ministerpräsidentin Lieberknecht:"Zögern bei Opel nicht vermittelbar"

Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht über die langwierige Opel-Debatte, Steuergerechtigkeit und die Seele der CDU.

C. Kohl

SZ: Erst die Finanzhilfe für Griechenland, dann der Euro-Schutzschirm: Die Bundesregierung peitscht ein Milliardenpaket nach dem anderen durch - wird einem da nicht langsam schwindelig?

Christine Lieberknecht

"Warum die Bundesregierung bei Opel so zögert, ist so nicht mehr vermittelbar", sagt Christine Lieberknecht, Ministerpräsidentin von Thüringen.

(Foto: AP)

Lieberknecht: Die Situation ist dramatisch, es handelt sich um Herausforderungen, wie es sie bislang so weder in Deutschland noch in Europa gegeben hat. Da wäre nichts ungünstiger als ein deutscher Alleingang, und die Kanzlerin hat ja alle Maßnahmen mit den europäischen Partnern abgestimmt. Ich habe den Eindruck, sie hat die Zügel jetzt fest in die Hand genommen.

SZ: War das in der jüngeren Vergangenheit anders?

Lieberknecht: Es gab handwerkliche Mängel, etwa die überstürzten Gesetzesarbeiten auf Bundesebene. Dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz nicht optimal gelaufen ist, sagen ja mittlerweile alle Beteiligten - vor allem, was die Ausführung betrifft. Über die Hotelsteuer klagen ja selbst diejenigen, die sie gewollt haben, weil die Handhabung so problematisch ist. Schließlich die überzogene Rückführung der Solarhilfen - da hätte ich mir von Anfang an eine breitere Beteiligung der Länder gewünscht.

SZ: Zu einer Bürgschaft für den Autohersteller Opel hat sich die Bundesregierung bis heute nicht durchgerungen, dabei wären das finanziell gesehen "Peanuts" im Vergleich zu den jüngst beschlossenen Milliardenpaketen.

Lieberknecht: Hier gibt es erhebliche Erklärungsprobleme. Es versteht niemand, wie in Windeseile Milliardenentscheidungen getroffen werden, während die Opel-Beschäftigten diese endlose Hängepartie erleben. Ich hoffe, dass umgehend eine Lösung gefunden wird für Opel-Eisenach und die anderen deutschen Standorte. Staatshilfen sind nie eine wünschenswerte Lösung. Aber wir leben in einer schwierigen Zeit, in der es wichtig ist, dass die Menschen Verhältnismäßigkeiten nachvollziehen können. Warum die Bundesregierung bei Opel so zögert, ist so nicht mehr vermittelbar.

SZ: Nun sind neue Steuern im Gespräch - etwa eine Mehrwertsteuererhöhung auf 25 Prozent.

Lieberknecht: Das halte ich nicht für durchsetzbar, eine Erhöhung der Mehrwertsteuer wäre auch nicht gerecht. Auch für Steuererleichterungen ist jetzt nicht der Zeitpunkt, stattdessen sollten wir über die Steuervereinfachung nachdenken. Unser Steuersystem ist für Normalbürger praktisch undurchschaubar, und es gibt darin so viele Ausnahmen, dass diejenigen, die von ihrer Gehaltsklasse her eigentlich mehr Steuern zahlen müssten, in Wahrheit oft weniger entrichten als die schlechter Verdienenden - da sehe ich ein Gerechtigkeitsproblem. Die Einführung eines Stufensystems ist aktueller denn je. Wenn man das Dickicht der Abschreibungsmöglichkeiten drastisch auf das Sinnvolle zurechtstutzen würde, könnte der Staat nennenswerte Mehreinnahmen daraus schöpfen.

SZ: Eine Jahrhundertreform, trauen Sie das der Bundesregierung zu?

Lieberknecht: Wir haben mit der schwarz-gelben Koalition im Bund die besten Voraussetzungen dafür. Überdies ist durch die Finanzkrise ein Druck entstanden, den man nutzen sollte.

SZ: Wie stark werden die Länder eigentlich durch die Finanzbeschlüsse des Bundes eingeschränkt?

Lieberknecht: Unser Landeshaushalt ist zu über 50 Prozent von Transferleistungen abhängig. Das Geld kommt aus Mitteln des Bundes, der europäischen Union und des Länder-Finanz-Ausgleichs. Das ist so eine Art Exekutiv-Föderalismus, da haben insbesondere die Landesparlamentarier kaum Gestaltungsmöglichkeiten - auch das ist ein Demokratieproblem.

SZ: Und nun will Berlin auch noch den Bundesrat umgehen, etwa bei der Entscheidung über eine Laufzeitverlängerung der Atomkraftwerke.

Lieberknecht: Es ist schon komisch: Ausgerechnet die Länder, die 2002, als die rot-grüne Koalition das Ende der Atomlaufzeiten beschlossen hatte, darauf bestanden, die Gesetzesänderung dem Bundesrat vorzulegen, meinen heute, eine Verlängerung der Laufzeiten sei nicht zustimmungspflichtig durch die Länderkammer. Bundesumweltminister Röttgen hat gute Gründe, nur eine moderate Verlängerung der Laufzeiten um acht Jahre vorzuschlagen. Denn jede weitergehende Frist lässt sich ohne den Bundesrat nicht juristisch sauber verabschieden, weil die Länder dieses Gesetz ja umsetzen müssten.

SZ: Und die Kopfpauschale zur Krankenkassenfinanzierung?

Lieberknecht: Die wird nicht kommen, da es keine Mehrheit hierfür gibt. Aus Thüringer Sicht kann ich die Kopfpauschale auch nicht für sinnvoll halten, da sie massiv zu Lasten unserer Finanzsysteme gehen würde. In den neuen Bundesländern ist die Kopfpauschale Gift für die öffentlichen Kassen.

SZ: Thüringen hat so wenig Geld in der Kasse, dass die Koalition sich nicht auf einen Haushalt einigen kann.

Lieberknecht: Wir haben im Haushalt 2011 eine Lücke von 1,3 Milliarden Euro, bei einem Etat von 9,8 Milliarden in 2010. Eine gewaltige Summe, da ist es selbstverständlich, dass man gründlich diskutiert.

SZ: Über das Projekt der Gemeinschaftsschulen gibt es ebenfalls Streit.

Lieberknecht: Auch das sind nur notwendige Debatten in kollegialer Offenheit. Die Gemeinschaftsschule kommt, wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Aber es ist nicht die einzige Schulform. Deshalb ist es völlig normal, wenn die Thüringer Union auch an die Weiterentwicklung der Schulformen denkt.

SZ: Ihr CDU-Fraktionschef wirft der Kanzlerin vor, sie bediene zu wenig die konservative Seele der Partei.

Lieberknecht: Voraussetzung eines jeden Erfolges, und dies trifft besonders bei konservativen Wählern zu, ist die Geschlossenheit. Dies gilt auf Landes- wie auf Bundesebene. In Krisenzeiten ist es besonders wichtig, dass die Politik den Menschen zugewandt bleibt.

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