ThüringenMit links an die Macht

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Mario Voigt bei seiner Vereidigung im Thüringer Landtag am Donnerstagmorgen.
Mario Voigt bei seiner Vereidigung im Thüringer Landtag am Donnerstagmorgen. (Foto: JENS SCHLUETER/AFP)

Die Linke sichert Mario Voigt in Thüringen die Mehrheit für die Ministerpräsidentenwahl. Für den 47-Jährigen geht ein Lebenstraum in Erfüllung, doch leicht wird es die nächsten fünf Jahre nicht für „den Vater der Kompanie“.

Von Iris Mayer, Erfurt

Und dann sitzt er da also, ganz allein auf der Regierungsbank, erste Reihe rechts vorn, und hat es wirklich geschafft. Mario Voigt, 47 Jahre alt, in Jena geboren, ist jetzt Ministerpräsident von Thüringen. Vor sich die schwarze Mappe mit der Rede, die er gleich halten wird. Hinter sich die Blumensträuße, die die Landtagsverwaltung schon beiseitegeräumt hat, auch den Brombeerstrauch – Namensgeber der Koalition, die Voigt die nächsten fünf Jahre führen will. Und für die es bisher in Deutschland kein Vorbild gibt: Zum ersten Mal koalieren CDU, SPD und das erst dieses Jahr gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in einer Dreierkonstellation. Für die Mehrheit reicht das im Thüringer Landtag dennoch nicht, aber für ein Patt von 44 Stimmen. Voigt hatte sich durch einen Kompromiss in letzter Minute Stimmen der Linkspartei für seine Wahl schon im ersten Durchgang gesichert. 51 Ja-Stimmen sind es am Ende, ein persönlicher Erfolg für Voigt.

Aber es ist mehr als das, es ist auch eine politische Premiere in Thüringen, wieder mal. Nach dem ersten linken Ministerpräsidenten in Deutschland, dem ersten Mal mit einer AfD als stärkster Landtagsfraktion, regiert nun die Brombeerkoalition aus CDU, BSW und SPD, der genau ein Mandat zur Mehrheit fehlt. Die Linke macht am Donnerstag sehr klar, dass ihre Stimmen für Voigt im ersten Wahlgang nicht bedeuten, dass sich die Koalition nun zurücklehnen könnte. Dies sei ein Vertrauensvorschuss, sagt Partei- und Fraktionschef Christian Schaft kurz vor der Abstimmung, „aber kein Blankoscheck“. Es gehe heute darum, dass „die AfD keine Bühne bekommen darf“.

Es wird der Tag von Voigt, nicht von Höcke

Thüringens AfD-Chef Björn Höcke hatte in den vergangenen Tagen die Variante ins Spiel gebracht, dass seine Fraktion Voigt im ersten Wahlgang mitwählen könnte, „damit er an seinen inneren Widersprüchen scheitert“. Doch die AfD spielt am Donnerstag keine Rolle im Plenum, Höcke wird direkt nach der Wahl erklären, Voigt habe die CDU in Thüringen zu Grabe getragen, er sei ein Regierungschef von Gnaden dreier linker Partner. Die AfD habe „komplett und geschlossen“ gegen ihn gestimmt. Doch Höcke, der Voigt als einziger AfD-Abgeordneter zur Wahl gratuliert und ihm die Hand schüttelt, kann nicht verhindern, dass das heute nicht sein, sondern Voigts Tag ist.

Schon bei der Eröffnung der Sitzung hatte Landtagspräsident Thadäus König (CDU) klargemacht: „Das ist eine besondere Sitzung, Deutschland schaut heute auf den Thüringer Landtag.“ Allzu lebendig ist noch die Erinnerung an die konstituierende Sitzung des Landtags, auf der der AfD-Alterspräsident über Stunden versuchte, die Spielregeln der parlamentarischen Demokratie auszuhebeln. Erst das Verfassungsgericht stellte die Ordnung wieder her.

Und auch ein anderes Datum spielt eine Rolle, wenn in Thüringen gewählt wird: Der 5. Februar 2020, als die AfD zum Schein einen eigenen Kandidaten aufstellte, aber im dritten Wahlgang gemeinsam mit CDU und FDP den Liberalen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählte. Das Beben war immens, die damalige Kanzlerin Angela Merkel erklärte in Südafrika, diese Wahl sei unverzeihlich. Kemmerich trat bald zurück, und auch Mike Mohring, Voigts großer innerparteilicher Widersacher, war als Thüringer CDU-Fraktions- und Parteichef bald Geschichte. Voigt übernahm, ermöglichte der rot-rot-grünen Minderheitsregierung die Wiederwahl von Bodo Ramelow und die Verabschiedung eines Haushalts.

„Vor Ihnen sitzt eine Stimme.“

Nun wiederholt sich die Geschichte, denn Voigt und seine Brombeer-Koalition brauchen die Stimmen der Linken, um den Haushalt und Gesetze durchs Parlament zu bringen. Ramelow gehört am Donnerstag zu den ersten Gratulanten, umarmt Voigt schon vor der Wahl beinahe väterlich. Und auch Voigt spricht über Ramelow, als hätten sich beide in den vergangenen Jahren nicht immer wieder heftig gezofft. Mit „gewinnender Herzlichkeit“ habe Ramelow das Land in schwierigen Zeiten geführt, „da ist sicher manche Silberlocke gewachsen“. Eine Anspielung auf Ramelows Plan, gemeinsam mit den Altlinken Gregor Gysi und Dietmar Bartsch zur Bundestagsneuwahl im Februar drei Direktmandate zu erobern.

Voigt kündigt in seiner Antrittsrede mit gewohntem Pathos an, dem Land mit Zuversicht und Kraft dienen zu wollen. Er sei der erste Ministerpräsident „unserer Heimat“, der den Großteil seines Lebens im geeinten Deutschland verbracht habe. Er werde für das Beste für Thüringen kämpfen, „das Land der Dichter und Denker und Tüftler und Bastler“. „Ich weiß das sehr zu schätzen, dass das heute eine Wahl im ersten Wahlgang war“, sagt Voigt noch an die Adresse der Linkspartei.

Ramelow selbst hatte direkt nach der Landtagswahl die Möglichkeit ins Spiel gebracht, Voigt schon im ersten Wahlgang mitzuwählen: „Vor Ihnen sitzt eine Stimme“, sagte er damals der SZ. Später pochte die Linke auf eine feste Vereinbarung, die nun in letzter Minute ausgehandelt wurde. Die Wortschöpfung dafür stammt von Ramelow: parlamentarisches Pflichtenheft. Es sieht ein monatliches Gesprächsformat zwischen den drei Regierungsfraktionen und der Linken vor und soll eine Zusammenarbeit mit der AfD auch in Zukunft ausschließen.

Für Voigt und seine Koalition dürfte das der Maßstab sein, an dem sie gemessen werden. Der CDU-Chef hatte sich im Wahlkampf klar gegen die Truppe von Höcke gestellt, im TV-Duell im April ging er ihn so robust an, dass Höcke Populismus beklagte. Auch Thüringens BSW-Chefin Katja Wolf hatte ihren Wechsel von der Linkspartei in das neue Bündnis damit begründet, einen Ministerpräsidenten Höcke verhindern zu wollen. Am Mittwoch machte sie bei der pompös inszenierten Unterzeichnung des Koalitionsvertrages klar, dass es ohne Voigts Nerven und Verhandlungsstärke nicht zu dem Bündnis gekommen wäre. Der „Vater der Kompanie“ habe die Verhandler in der „Selbsthilfegruppe Thüringen“ mit einer Mischung aus Professionalität und Herz zusammengehalten. „Das hat er wirklich gut gemacht, und das war schon ein ganzes Stück sein Weg“.

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