Thüringen: Ministerin Diezel:"Wir müssen noch miteinander ringen"

Thüringens Finanzministerin Birgit Diezel über Loyalität, verletzte Gefühle und die Verwirrung über Rücktritt und Rückkehr von Dieter Althaus ins Amt des Ministerpräsidenten.

Ch. Kohl

Birgit Diezel, 51, ist Finanzministerin in Thüringen. Als Dieter Althaus sich von seinem Skiunfall erholte, vertrat sie den Regierungschef. Vergangene Woche schlug sie Sozialministerin Christine Lieberknecht (alle CDU) als dessen Nachfolgerin vor.

SZ: Nach einem verwirrenden Hin- und Her um Rücktritt und Rückkehr ins Amt des Ministerpräsidenten hat Dieter Althaus sich in einen sogenannten Kurzurlaub begeben - führen Sie nun die Geschäfte oder doch eher nicht?

Birgit Diezel: Dieter Althaus hat mich gebeten, in seiner Abwesenheit bis Dienstag die Geschäfte zu führen, da er ein paar Tage Urlaub machen wollte.

SZ: Nach seiner plötzlichen Rückkehr vom Rücktritt hat Althaus vergangene Woche ja bestritten, dass Sie mit seiner Vertretung betraut gewesen seien.

Diezel: Ich habe immer in Loyalität zu ihm gestanden, aber die Irritationen um die ersten Tage der Vertretung hatten mich doch etwas verletzt, und das habe ich ihm auch gesagt. In dem Schreiben hatte er mich eindeutig gebeten, ihn während seiner Abwesenheit zu vertreten. Im Übrigen wurde mir am Tag darauf auch entsprechend der Vertretungsregeln die Amtspost aus der Staatskanzlei gebracht.

SZ: Vergangenen Montagabend haben Sie dann praktisch im Alleingang Sozialministerin Christine Lieberknecht als Nachfolgerin von Althaus im Ministerpräsidentenamt nominiert - wie ist das in der Partei aufgenommen worden?

Diezel: Das Präsidium hat zugestimmt, auch der Landesvorstand und die Fraktion. Aber wir haben vor allem von der Parteibasis viel Zustimmung erhalten. Der Vorschlag war ja auch von dort gekommen. Mein Handy wollte nicht mehr aufhören zu klingeln, so viele Leute aus dem Land hatten mich angerufen. Und alle haben gesagt: Ihr beiden Frauen müsst das jetzt klären. Die Bewegung ging eindeutig von der Basis aus, daraufhin habe ich mich mit Christine Lieberknecht in Verbindung gesetzt ...

SZ: ... und sind gemeinsam mit ihr zum Chinesen gegangen.

Diezel: Wir treffen uns regelmäßig in Abständen von einigen Wochen zum Essen, wir kennen uns ja seit 1990. Christine Lieberknecht war auch schon mal meine Fraktionsvorsitzende, als ich Landtagsabgeordnete war. Der Essenstermin am Montag war schon länger verabredet.

SZ: Wie hat die Bundespartei Ihren Coup aufgenommen?

Diezel: Vor unserem Zweiergespräch hatte mich Angela Merkel angerufen, nachdem die Meldung rundgegangen war, dass Dieter Althaus zurückkehren wolle. Sie sagte: Nehmen Sie das Heft des Handelns in die Hand! Und ich denke, es war wichtig, diesen Schritt zu tun, eben weil wir in Thüringen die Koalition mit der SPD wollen.

SZ: Wie laufen die Sondierungsgespräche mit der SPD?

Diezel: Die SPD hat nach meinem Eindruck zustimmend auf die personelle Klärung reagiert. Aber es gibt manche inhaltlichen Punkte, bei denen wir wirklich noch miteinander ringen müssen. Etwa die Schulpolitik. Wir wollen unseren Bürgern auf keinen Fall ein neues Schulsystem aufdrücken. Wenn es Änderungen geben sollte, müssen diese von Lehrern und Eltern wirklich gewollt sein.

SZ: Angeblich gibt es ja in zwei Drittel der Themenbereiche Gemeinsamkeiten. Wo liegen die?

Diezel: Im wirtschaftlichen Bereich zum Beispiel, in dem Bewusstsein, dass wir die Förderprogramme an die veränderten Rahmenbedingungen in Zeiten der Finanzkrise anpassen müssen. Und auch in Fragen der Hochschulpolitik.

SZ: In der CDU gibt es Befürchtungen, wonach Sie und Frau Lieberknecht für eine Sozialdemokratisierung der Partei in Thüringen stehen könnten.

Diezel: Die Sorgen verstehe ich nicht. Wenn man eine Koalition eingeht, muss man Kompromisse treffen. Aber wir werden uns keineswegs verbiegen lassen. Ganz allgemein sehe ich keinerlei Gefahr einer "Sozialdemokratisierung": Frau Lieberknecht hat gegen die Fristenregelung bei der Abtreibung gekämpft, auch ich bin ziemlich konservativ, etwa was Familie betrifft. Das mit der Sozialdemokratisierung ist nur herbeigeredet.

SZ: Vielleicht haben da ein paar Männer Angst vor der neuen Frauen-Power in Thüringen?

Diezel: Auch das ist nur Gerede. Wenn wir zwei Männer wären, wäre das Ganze überhaupt kein Thema.

SZ: Wie sieht Ihr Zeitplan für eine mögliche Koalition mit der SPD aus?

Diezel: Es wäre gut, wenn wir nach dem nächsten Sondierungsgespräch in konkrete Koalitionsgespräche eintreten könnten. Denn ich würde mir wünschen, dass die Thüringer noch vor der Bundestagswahl wissen, wie die SPD sich entscheidet. Die Menschen wollen Klarheit.

SZ: Der Landtag muss sich laut Verfassung bis zum 29.9. konstituiert haben.

Diezel: Ja, und gerade in diesen wirtschaftlichen Zeiten ist es wichtig, dass wir bald zu einer Regierungsbildung kommen, und mein Wunsch ist ein Bündnis aus CDU und SPD.

SZ: Und bis dahin bleibt Dieter Althaus formell im Amt?

Diezel: Er hat mir gesagt, dass er sich "mit der gebotenen Zurückhaltung" gemäß der Verfassung verhalten werde.

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