Thüringen:Politpremiere in Thüringen

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Der neue Ministerpräsident Mario Voigt wird im Erfurter Landtag vereidigt. (Foto: JENS SCHLUETER/AFP)

In Erfurt regiert die CDU künftig mit SPD und BSW. Die entscheidenden Stimmen zur Wahl von Mario Voigt zum Ministerpräsidenten kommen von der Linkspartei.

Von Iris Mayer, Nadja Tausche und Philipp Saul

Mit den Stimmen von drei linken Parteien ist Thüringens CDU-Chef Mario Voigt am Donnerstag zum Ministerpräsidenten gewählt worden. Voigt bekam schon im ersten Wahlgang die erforderliche absolute Mehrheit, weil seine Brombeerkoalition aus CDU, SPD und dem neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in letzter Minute eine Vereinbarung mit der Linkspartei traf. CDU, SPD und BSW kommen zusammen nur auf die Hälfte der 88 Mandate im Thüringer Landtag, für die absolute Mehrheit im ersten Wahlgang fehlte eine Stimme. Die Linkspartei stellt zwölf Abgeordnete – stärkste Fraktion wurde bei der Landtagswahl am 1. September die als rechtsextremistisch eingestufte AfD mit 32 Sitzen.

Deren Partei- und Fraktionschef Björn Höcke hatte vergangene Woche die Möglichkeit ins Spiel gebracht, Voigt im ersten Wahlgang zu wählen – wohl kalkulierend, dass Voigt und die CDU dies in erhebliche Erklärungsnot gebracht hätte. Für Voigt stimmten am Donnerstag in geheimer Wahl 51 Abgeordnete. Höcke erklärte nach der Wahl, die AfD habe „komplett und geschlossen“ gegen Voigt gestimmt.

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Erst kurz vor der Landtagssitzung hatte Linken-Fraktionschef Christian Schaft zugesagt, Voigt im ersten Wahlgang zu unterstützen, „um der AfD keine Bühne zu bieten“. Dies sei aber nur ein Vertrauensvorschuss, kein Blankoscheck für die Koalition. Das Bündnis aus CDU, SPD und BSW – ein Novum in Deutschland – wird sich auch für die Verabschiedung des Haushalts und von Gesetzen eine Mehrheit im Parlament suchen müssen. Dafür wurde mit der Linken ein festes Gesprächsformat vereinbart, in dem die vier Parteien einmal im Monat miteinander reden. Ein Unvereinbarkeitsbeschluss verbietet der CDU Koalitionen oder eine feste Zusammenarbeit mit AfD wie Linkspartei.

Ramelow gehört zu den Voigt-Wählern

CDU-Chef Friedrich Merz gratulierte Voigt zur Wahl. Es sei „unter sehr schwierigen Bedingungen und ohne Zugeständnisse in den Grundsatzfragen unserer Politik“ gelungen, eine Regierung zu bilden: „Ein großer Erfolg für den Freistaat Thüringen.“ Voigt sagte nach seiner Vereidigung zum Regierungschef, es gebe einen „Geist der Zusammenarbeit und einer neuen politischen Kultur“. Er wisse es zu schätzen, „dass das heute eine Wahl im ersten Wahlgang gewesen ist“.

Im Jahr 2020 hatte die Ministerpräsidentenwahl in Thüringen ein politisches Beben ausgelöst. Damals stellte die AfD zwar einen eigenen Kandidaten auf, wählte dann aber gemeinsam mit CDU und FDP im dritten Wahlgang den Liberalen Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Der trat nach immensem öffentlichen Druck wenig später zurück. Die Koalition aus Linkspartei, Grünen und SPD war damals ohne eigene Mehrheit und ohne feste Verabredung mit der CDU in die Wahl gegangen. Ein Fehler, aus dem die CDU offenkundig gelernt hat.

Der alte und der neue Ministerpräsident: Bodo Ramelow (links) und Mario Voigt. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Voigts Vorgänger Bodo Ramelow von der Linkspartei sagte, sowohl die Koalition als auch die Linke hätten sich bewegt. „Am Ende kommt es darauf an, dass man mit einer demokratischen Mehrheit arbeitet und sich nicht von dem Gift der AfD die Demokratie zerstören lässt.“ Ramelow bestätigte auf Nachfrage, dass er zu den Voigt-Wählern im Landtag gehörte. Er hatte bereits kurz nach der Landtagswahl angedeutet, dass er selbst Voigt zur erforderlichen Mehrheit verhelfen könnte. Ramelow hatte in den vergangenen fünf Jahren eine rot-rot-grüne Minderheitsregierung geführt. Diese war auf Stimmen der CDU angewiesen, um beispielsweise den Haushalt zu beschließen. In der vergangenen Legislaturperiode hatte Voigts CDU allerdings auch mit der AfD Gesetze beschlossen.

Am frühen Nachmittag übergab Ramelow in der Staatskanzlei seinem Nachfolger Voigt die Amtsgeschäfte. „Es liegt schon ein Stapel auf dem Tisch“, bereitete er Voigt auf dessen Arbeit vor. Der lobte den guten, herzlichen und freundschaftlichen Regierungswechsel. „Das Beeindruckende ist, dass Thüringen keine politische Problembeschreibung mehr ist“, sagte Voigt. Thüringen sei nun ein Land, „das Dinge anpackt“. Voigt ist mit 47 Jahren Deutschlands jüngster Ministerpräsident. Er ist in Thüringen geboren, lebt mit Frau und zwei Kindern in Jena und ist ein erfahrener Landespolitiker – seit 15 Jahren sitzt er im Parlament in Erfurt.

Seine Koalitionspartner bescheinigen ihm, die Verhandlungen konstruktiv und beharrlich geführt zu haben, ein Vertrauensverhältnis zwischen den ungleichen Partnern sei entstanden. Als besonders schwierig erwiesen sich in den vergangenen Wochen die Forderungen von BSW-Chefin Sahra Wagenknecht, die hatte sich immer wieder mit außenpolitischen Maximalforderungen in die Gespräche vor Ort eingeschaltet. Mehrfach standen die Verhandlungen kurz vorm Scheitern.

Am Freitag soll Voigts Kabinett im Landtag vereidigt werden. Die CDU besetzt darin vier Ministerposten, das BSW drei und die SPD zwei.

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