Thüringen:Kemmerich gegen Neuwahl

  • Der FDP-Politiker Kemmerich wurde überraschend in geheimer Wahl mutmaßlich mit den Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpräsidenten von Thüringen gewählt.
  • Die Sensation im Landtag von Erfurt löst vielerorts Empörung aus.
  • Einen Tag später kündigt Kemmerich seinen Rücktritt an.
  • Thüringens CDU-Chef Mike Mohring ist dafür, dass Kemmerich die Vertrauensfrage stellt, um Neuwahlen zu verhindern.

Von Jana Anzlinger, Thomas Kirchner, Camilla Kohrs und Fabian Swidrak

Verfolgen Sie die aktuellen Entwicklungen im Liveticker:

Fabian Swidrak
Fabian Swidrak

Spitzentreffen der GroKo am Samstag


Die Spitzen von Union und SPD im Bund wollen die Konsequenzen der Wahl in einem Koalitionsausschuss beraten. Dazu wollen sie sich am Samstag in Berlin treffen. Mit diesem Ausblick schließen wir den Live-Blog ab, an einem Tag, der viele erstaunen und manche erschauern hat lassen, was in Deutschland politisch (wieder) möglich ist.
Thomas Kirchner
Thomas Kirchner

Kemmerich geht den Amtsgeschäften nach


Am Donnerstag nimmt Thomas Kemmerich seine ersten öffentlichen Termine als Regierungschef wahr. Am Vormittag wird der 54-Jährige nach Angaben eines FDP-Sprechers bei der „Konferenz Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie“ in Erfurt erwartet. Dort trifft er auf Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Am frühen Abend steht dann ein Empfang des Optik-Konzerns Carl Zeiss in Jena auf der Terminliste. Kemmerich übernimmt damit die Termine, die eigentlich sein Amtsvorgänger Bodo Ramelow (Linke) auf der Agenda hatte. CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer legt derweil mit einem scharfen Satz in Richtung Kemmerich nach: „Es ist jetzt auch an dem gewählten Ministerpräsidenten, für sich die Entscheidung zu treffen, ob er ein Ministerpräsident von Höckes Gnaden bleiben will oder nicht", sagt sie am Abend in Straßburg.
Thomas Kirchner
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Suding: Ein Desaster, es muss Neuwahlen geben


Nachtragen wollen wir noch diese besonders klare Positionierung von Katja Suding, Vorsitzende der FDP in Hamburg. Dort steht am 23. Februar eine Bürgerschaftswahl an.


Thomas Kirchner
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Kemmerich gegen Neuwahl


Und was sagt Thomas Kemmerich, der neue Ministerpräsident, zur Forderung nach einer Neuwahl, die von vielen Seiten an ihn herangetragen worden ist? Das sei "keine Alternative", beteuert der FDP-Politiker im MDR. Damit wäre einer der beiden Wege zu einer Neuwahl - über die verlorene Vertrauensfrage - schon geschlossen. Falls nicht der Druck auf Kemmerich aus der Parteispitze oder der Öffentlichkeit noch sehr viel größer wird.
Thomas Kirchner
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Ramelow: Widerliche Scharade


Der abgewählte Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit scharfen Worten kritisiert. Im Gespräch mit mehreren Zeitungen sagt er: „Genau 90 Jahre nachdem es in Thüringen schon mal passiert ist: sich von Herrn Höcke und dem Flügel wählen zu lassen. Das war offenbar gut vorbereitet. Eine widerliche Scharade. Höckes Flügel wurde gerade umfassend gestärkt.“ Die Wahl Kemmerichs sei „ein deutscher Tabubruch“. Vor 90 Jahren wurde in Thüringen die erste Landesregierung in Deutschland mit Beteiligung der NSDAP gebildet.
Thomas Kirchner
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Laschet: Dazu hätte es nie kommen dürfen


Als letzter mächtiger CDU-Politiker hat auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident und CDU-Bundesvize Armin Laschet die von der AfD unterstützte Wahl Thomas Kemmerichs in Thüringen scharf kritisiert. "Niemals darf sich ein Regierungschef von Extremisten, auch nicht in schwierigen Mehrheitssituationen, auch nicht zufällig, wählen lassen." Laschet attackierte aber auch die CDU-Fraktion in Thüringen, die Kemmerich ebenfalls unterstützt hatte. "Jedwede Kooperation, Zusammenarbeit, Duldung oder Koalition mit der AfD ist für Christdemokraten inakzeptabel. Zu einer Situation wie in Thüringen hätte es nie kommen dürfen."
Nach der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke und in Zeiten rechtsgerichteter Hetze müsse der Kompass der CDU klar sein: "Die AfD ist nicht bürgerlich, sie ist der Feind unserer freiheitlichen Grundordnung." Im Mordfall Lübcke geht die Bundesanwaltschaft von einem rechtsextremen Hintergrund aus.
Thomas Kirchner
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Zwei Wege zur Neuwahl in Thüringen


Viele rufen nun nach einer Neuwahl in Thüringen. So einfach ist das gar nicht:
Gemäß der Landesverfassung muss eine Neuwahl beantragt und von mindestens einem Drittel der Landtagsabgeordneten beschlossen werden. Linke, SPD und Grüne könnten die Hürde leicht nehmen. Für die folgende Abstimmung aber, ob es tatsächlich Neuwahlen geben soll, ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Von den 90 Abgeordneten im Thüringer Landtag müssten also mindestens 60 Abgeordnete dafür stimmen. SPD, Grüne und Linke haben zusammen 42 Stimmen. Fast alle 21 CDU-Abgeordneten müssten sich also ebenfalls dafür aussprechen. Die FDP hat 5, die AfD 22 Abgeordnete im Landtag.
Alternativ könnte eine Vertrauensfrage des neuen Ministerpräsidenten zur Neuwahl führen. Um das Vertrauen des Parlaments zu bekommen, braucht er eine absolute Mehrheit. Im Thüringer Landtag wären also 46 Stimmen nötig. Sind es weniger, gilt der Vertrauensantrag als gescheitert. Zur Neuwahl kommt es dann, wenn innerhalb von drei Wochen nach dem Scheitern des Vertrauensantrages kein neuer Ministerpräsident gewählt ist.
Thomas Kirchner
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Lambsdorff für Rücktritt Kemmerichs und Neuwahl


Die bisher prominenteste FDP-Kritik kommt vom stellvertretenden Vorsitzenden der FDP-Fraktion im Bundestag, Alexander Graf Lambsdorff. Er fordert seinen Parteikollegen Kemmerich zum Rücktritt auf und befürwortet rasche Neuwahlen. Er twitterte am Mittwoch: „Man kann, ja soll in einer demokratischen Wahl antreten. Aber man lässt sich nicht von AfD -Faschisten wählen. Wenn es doch passiert, nimmt man die Wahl nicht an.“



Thomas Kirchner
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CDU Erfurt rebelliert


Die CDU in Erfurt widersetzt sich dem Wunsch der Unionsspitzen. Sie ist gegen Neuwahlen. „Wir sehen unsere Verantwortung darin, Stillstand und Neuwahlen zu vermeiden“, erklärt ein Sprecher der Fraktion am Mittwoch. CSU-Chef Markus Söder und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak hatten sich für eine Neuwahl in Thüringen ausgesprochen.
Thomas Kirchner
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Verwirrung bei der Münchner CSU


Unser Münchner Rathauskorrespondent Heiner Effern berichtet, dass die CSU eine Weile brauchte an diesem Nachmittag, bis sie sich zumindest öffentlich einheitlich zu den Ereignissen in Thüringen äußerte.
„Herzlichen Glückwunsch“, twitterte zunächst der JU-Kreisverband München Nord. Die CSU München schloss sich diesen Wünschen auf Twitter an und griff sogar noch die Grünen an, die sich darüber ärgerten. Fast gleichzeitig schrieb CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder von einem „inakzeptablen Dammbruch“ und forderte Neuwahlen in Thüringen. Die aufgeschreckte Partei- und Fraktionsspitze in München versuchte da bereits, die Twitter-Jubelei einzufangen. „Eine nicht autorisierte Person hat einen anderslautenden Beitrag über einen Account der CSU München abgesetzt. Dieser Beitrag gibt ausdrücklich nicht die Meinung der CSU München wieder“, hieß es in einer Erklärung. Bezirkschef Ludwig Spaenle, OB-Kandidatin Kristina Frank sowie Bürgermeister und Fraktionschef Manuel Pretzl distanzierten sich scharf von der AfD, schlossen jede Zusammenarbeit aus und sprachen auch von einem Tabubruch.
Der Tweet der Staatsministerin für Digitales im Kanzleramt, Dorothee Bär (CSU), in dem sie "Herzlichen Glückwunsch, lieber Thomas Kemmerich" geschrieben hatte, wurde vor dem Auftritt Söders gelöscht.
Thomas Kirchner
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Kühnert demonstriert vor der CDU-Zentrale


Vor den Parteizentralen von FDP und CDU in Berlin sind kleine Gruppen von Demonstranten zusammengekommen. Sie protestieren gegen die Wahl von Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Hilfe von Stimmen der AfD. Dazu aufgerufen haben verschiedene linke Gruppen. Nach Auskunft eines Polizeisprechers gibt es zunächst keine Zwischenfälle. Im Verlauf des Abends werden nach Aufrufen mehrerer Gruppen noch mehr Demonstranten erwartet. An der Demonstration vor der CDU-Zentrale nimmt auch Juso-Chef Kevin Kühnert teil.
Thomas Kirchner
Thomas Kirchner

Gauland: Ganz normaler demokratischer Vorgang


AfD-Chef Alexander Gauland kann sich vorstellen, dass seine Partei den neuen Ministerpräsidenten in Thüringen unterstützt. "Wenn eine Minderheitsregierung - in dem Fall eine bürgerliche Minderheitsregierung - vernünftige Vorschläge macht, glaube ich, werden die Freunde in Thüringen bereit sein, diese zu unterstützen", sagt er. Kemmerichs Wahl sei ein „normaler demokratischer Vorgang“. Auf die Frage, weshalb die AfD-Abgeordneten im dritten Wahlgang nicht den von ihrer Fraktion aufgestellten parteilosen Kandidaten Christoph Kindervater gewählt hätten, antwortete er: „In der Politik muss ich versuchen, Mehrheiten zur Veränderung des Landes zu gewinnen, und wenn der eigene Mann keine Chancen hat, ist es klar, dass ich den wähle, der mir noch immer am nächsten steht und Mehrheitschancen hat.“ Es habe ja vor der Wahl keiner wissen können, dass der FDP-Kandidat antreten werde.
Die Thüringer Wahl ist nach Ansicht Gaulands "ein erster Schritt, dass Ausgrenzung nicht funktioniert". Wie weit das allerdings trage, könne er nicht voraussagen.


Thomas Kirchner
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Scharfe Kritik aus dem Norden


Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther (CDU) kritisiert seine eigene Partei wegen der Vorkommnisse in Thüringen heftig. Die Bundes-CDU müsse dabei helfen, „dass die CDU wieder auf den Pfad der Tugend zurückkehrt“, sagt er. Dass Christdemokraten Kemmerich gemeinsam mit den AfD-Abgeordneten gewählt hätten, sei „absolut inakzeptabel“. Er erwarte "von der CDU Deutschlands eine sehr klare Distanzierung von dem Verhalten“. Der Bundes-CDU wirft er "seit Monaten währende Sprachlosigkeit" zu den Vorgängen in Thüringen vor. Die Union sei dort „schlicht und ergreifend alleine gelassen“ worden in schwieriger Lage.
Thomas Kirchner
Thomas Kirchner

Hennig-Wellsow steht zum Blumenwurf


Susanne Hennig-Wellsow, Landesvorsitzende der Linken in Thüringen, die Politikerin, die dem neuen Ministerpräsidenten einen Blumenstrauß vor die Füße geschleudert hat, bereut nichts. "CDU und FDP sind in Thüringen einen Pakt mit dem Faschismus eingegangen", sagt sie im Fernsehsender Phoenix. "Und ich werde dem Faschismus nicht wieder den Weg in die Regierung ebnen." Die FDP habe "unser Land in Brand gesteckt." AfD-Chefin Alice Weidel und andere Politiker aus dem rechten Lager hatten Hennigs Geste als undemokratisch bezeichnet.
Camilla Kohrs
Camilla Kohrs

Kramp-Karrenbauer: Thüringer CDU handelte gegen unseren Willen

Die Fraktion habe „ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten der Bundespartei“ gehandelt, sagte die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie sei der Auffassung, „dass man darüber reden muss, ob neue Wahlen nicht der sauberste Weg aus dieser Situation sind“.
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