Thüringen:Nach turbulenter erster Sitzung: Thüringer CDU ruft Verfassungsgericht an

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Die parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen und Mitarbeiter des Landtags debattieren in einer Sitzungsunterbrechung über die Geschäftsordnung - Zweiter von links ist Alterspräsident Jürgen Treutler (AfD). (Foto: Martin Schutt/dpa)

Die konstituierende Sitzung des neuen Landtags wird gleich sechs Mal unterbrochen - und schließlich auf Samstag vertagt. Bis dahin sollen die obersten Richter entscheiden, wie ein neuer Präsident gewählt werden kann. Die CDU nennt das Vorgehen des AfD-Alterspräsidenten eine „Machtergreifung“.

Von Kassian Stroh

Nach einer turbulenten ersten Sitzung hat der Thüringer Landtag diese bis zum Samstag unterbrochen. Bis dahin soll der Verfassungsgerichtshof des Landes entscheiden, wie das Parlament zu einem neuen Präsidenten kommen soll. Die AfD beansprucht das Amt als größte Fraktion für sich, alle anderen wollen das verhindern – und dieser Streit wurde am Donnerstag in einer Debatte über Fragen der Geschäftsordnung ausgetragen, die teilweise im Eklat endete und insgesamt sechs Mal unterbrochen wurde.

Die Ereignisse dürften einen Vorgeschmack liefern auf die Arbeit im Thüringer Landtag in den kommenden Jahren. Dieser ist das erste Parlament in der Geschichte der Bundesrepublik, in dem eine rechtsextremistische Partei die größte Fraktion stellt. Die konstituierende Sitzung wurde mit Spannung erwartet, da die Abgeordneten eigentlich einen neuen Landtagspräsidenten oder eine Landtagspräsidentin wählen sollen.

Als stärkste Kraft hat die AfD das Vorschlagsrecht. Die anderen Fraktionen wollen aber keinen Kandidaten dieser Partei wählen, die vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird. Dafür soll es eine andere Geschäftsordnung geben, damit bei der Präsidentenwahl gleich von Anfang an alle Fraktionen Vorschläge machen können. Nach Ansicht der AfD wiederum darf die Geschäftsordnung gar nicht vor der Wahl des Landtagspräsidenten geändert werden. Juristisch ist das eine komplizierte Angelegenheit, die nun der Thüringer Verfassungsgerichtshof zu entscheiden hat.

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Vor diesem Hintergrund wird die konstituierende Sitzung zu einem politischen und juristischen Kräftemessen. Nach elf Minuten wird sie das erste Mal unterbrochen: Die CDU beantragt, die Beschlussfähigkeit festzustellen. Der AfD-Abgeordnete Jürgen Treutler, der als ältester Parlamentarier im Raum die Sitzung eingangs leitet, will dies aber nicht tun und erst seine Eröffnungsrede halten. In dieser beansprucht er das Amt des Parlamentspräsidenten für die stärkste Fraktion, die AfD – dies sei eine „nie in Frage gestellte Gepflogenheit“ im Parlament. Wer darüber hinweggehe, untergrabe die Demokratie, sagt er.

Um 12.30 Uhr, eine halbe Stunde nach Sitzungsbeginn, stellt die CDU ihren Antrag ein zweites Mal; gut eine Stunde debattieren die Fraktions-Geschäftsführer und Treutler erneut. Der will schließlich seine Rede wieder aufnehmen – wogegen der parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Andreas Bühl, vehement protestiert: Treutler dürfe sich nicht über den Willen der Mehrheit des Hauses hinwegsetzen und nicht den Geschäftsordnungsantrag übergehen. Er habe „überparteilich zu handeln“. Daraufhin unterbricht Treutler die Sitzung ein drittes Mal – diesmal für eine halbe Stunde.

Gegen 14.15 Uhr nimmt er sie wieder auf – und dann wird es turbulent. Bühl und Treutler liefern sich ein Wortgefecht, der amtierende Präsident erteilt dem CDU-Abgeordneten zweimal einen sogenannten Ordnungsruf und versucht, ihm das Mikrofon abdrehen zu lassen. „Was Sie hier treiben, ist Machtergreifung“, ruft Bühl zu Treutlers Weigerung, sich seines Antrags anzunehmen. Nach wenigen Minuten wird die Sitzung zum vierten Mal unterbrochen.

Treutler setzt gegen 15 Uhr seine Rede fort, wird dabei aber immer wieder unterbrochen. Er verlangt auch, die Mikrofone aller Abgeordneten abzuschalten, wenn er ihnen nicht das Wort erteile – ohne Erfolg. Die CDU fordert, dass der zweitälteste Abgeordnete im Raum nun die Sitzungsleitung übernehmen müsse - das wäre nach Angaben aus Parlamentskreisen ebenfalls ein AfD-Abgeordneter. Die AfD macht aber keine Anstalten, dem nachzukommen. Als Treutler eine Viertelstunde später die Sitzung zum fünften Mal unterbricht, weigern sich alle Fraktionen außer der AfD, dies zu tun. Der Alterspräsident wiederum ignoriert das und lässt die Fraktionen schließlich reihum ihre Rechtsauffassungen vortragen, um im Anschluss daran zum sechsten Mal die Sitzung zu unterbrechen.

Als Treutler auf seiner Sichtweise beharrt, die außer der AfD-Fraktion niemand teilt, tritt CDU-Mann Bühl ans Mikrofon. Seine Fraktion, die zweitgrößte im Landtag, werde nun „zum letzten Mittel greifen“ und den Verfassungsgerichtshof anrufen. Er soll über die Rechtsgrundlagen der Konstituierung des Landtags und der Wahl eines neuen Präsidenten entscheiden. Es gehe um die „Handlungsfähigkeit des Parlaments“ und den Schutz der Verfassung, sagt Bühl. Daraufhin wird die Sitzung bis Samstagvormittag unterbrochen.

Die AfD, die bei der Landtagswahl am 1. September auf 32,8 Prozent der Stimmen kam und nun 32 der insgesamt 88 Abgeordneten stellt, hat als Landtagspräsidentin die Abgeordnete Wiebke Muhsal nominiert. Sie war in der vorvergangenen Legislaturperiode zu einer Geldstrafe verurteilt worden, weil sie das Parlament bei Gehaltszahlungen für eine Mitarbeiterin betrogen hatte. Die CDU – mit 23 Sitzen zweitstärkste Kraft im Landtag – hat ihren Abgeordneten Thadäus König als Kandidaten präsentiert.

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