Regierungsbildung in Thüringen:Eingeschränkt regierungsfähig

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Georg Maier (SPD), Mario Voigt (CDU) sowie Katja Wolf und Steffen Schütz (beide BSW) am Freitag in Erfurt. (Foto: Karina Hessland/Reuters)

In Thüringen präsentieren CDU, BSW und SPD ihren Koalitionsvertrag. Sie zeigen sich erstaunlich zuversichtlich – trotz fehlender Mehrheit und Berliner Einflussversuchen.

Von Jan Heidtmann

Politisch hat Thüringen, dieses 2,1-Millionen-Einwohner-Ländchen mit seinen düsteren Tälern, Deutschland immer wieder in Atem gehalten. Seit der Wiedervereinigung markierten die Wahlen dort gleich mehrfach Zäsuren. 2014: der erste Ministerpräsident der Linken, Bodo Ramelow. 2020: der erste von der AfD mitgewählte Landeschef, der FDP-Mann Thomas Kemmerich. Er musste nach wenigen Tagen wieder abdanken. Und jetzt, bei der Landtagswahl im September, das stärkste Ergebnis für eine rechtsradikale Partei. Fast ein Drittel der Thüringer Wähler stimmten für die AfD.

An diesem Freitag folgte nun das nächste, historisch zu nennende Kapitel in dieser Reihe. CDU, BSW und SPD haben ihren Koalitionsvertrag vorgestellt. Ein Pakt, der vor wenigen Monaten nicht einmal denkbar war, da existierte das Bündnis Sahra Wagenknecht nämlich noch gar nicht. Der Thüringer Landesverband des BSW wurde erst im März dieses Jahres gegründet.

Regierungskoalition und Opposition haben gleich viele Stimmen

Auch aus anderen Gründen ist diese Brombeer-Koalition genannte Konstellation eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Zum Beispiel, weil die Landes-CDU offenbar keine ernsthaften Schwierigkeiten darin sieht, mit der Partei einer früheren Protagonistin der Kommunistischen Plattform zu koalieren. Zugleich verbietet ein Unvereinbarkeitsbeschluss den Christdemokraten, mit der sehr pragmatischen Linken eines Bodo Ramelow auch nur zusammenzuarbeiten.

Fast ein Ding der Unmöglichkeit ist diese Koalition außerdem im ganz praktischen Sinne: CDU, BSW und SPD kommen zusammen nicht einmal auf eine eigene Mehrheit im Landtag. Zwischen der Brombeer-Koalition auf der einen und der Opposition aus AfD und der Linken auf der anderen Seite besteht ein Patt. Das ist in Brandenburg anders. Da verhandeln SPD und BSW ebenfalls über eine Koalition, die dann aber eine Mehrheit von zwei Stimmen hätte.

Umso bemerkenswerter war an diesem Freitag die Zuversicht, mit der die Unterhändler ihr Ergebnis in Raum F101 im Thüringer Landtag in Erfurt präsentierten. 126 Seiten, die der designierte Ministerpräsident, der CDU-Vorsitzende Mario Voigt, „unser Versprechen für eine starke Zukunft für unsere Heimat“ nannte. Die Bühne war dabei brombeerfarben ausgeleuchtet, 28 Mal käme das Wort „Frieden“ in dem Vertrag vor, betonte der BSW-Co-Vorsitzende Steffen Schütz. Es war auch ein Signal in Richtung der BSW-Bundesvorsitzenden. Sahra Wagenknecht hatte ein klares Bekenntnis zu Diplomatie statt Waffenlieferungen im Ukraine-Krieg und eine ebenso klare Kritik an der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland gefordert.

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Die von Wagenknecht kritisierte Präambel hat sich nicht geändert

Noch vor gut einem Monat hatte sie deshalb die Absprachen der drei Partner in Thüringen „einen Fehler“ genannt und die Verhandlungen massiv gestört. Die Passagen zur Friedenspolitik im Sondierungspapier, niedergeschrieben in der Präambel, waren ihr schlicht zu vage. Die unterschiedlichen Haltungen zu Waffenlieferungen an die Ukraine wurden dort betont, zugleich soll eine Debatte über die Stationierung von Mittelstreckenraketen „gefördert“ werden.

Daran hat sich auch in der jetzigen Präambel nichts geändert. Sehr weit unten im Vertrag, auf Seite 107, steht noch der Satz, dass ein Einsatz von US-Mittelstreckenraketen ohne deutsche Mitsprache kritisch gesehen wird. Außerdem sollen an den Hochschulen die Bereiche Friedens- und Konfliktforschung gestärkt werden.

Dass die BSW-Chefin dennoch eingelenkt hat, liegt nach der Einschätzung vieler Beobachter vor allem an der nahenden Bundestagswahl. Im Wahlkampf kann sich die Partei keinen Krach in einem ihrer Landesverbände leisten. Und Katja Wolf, die selbstbewusste Co-Vorsitzende des Thüringer BSW, hat oft genug klargemacht, dass sie die Brombeer-Koalition will. Das liegt auch daran, dass sich besonders CDU und BSW inhaltlich in einigen Bereichen durchaus nahe sind.

Dazu gehört, dass die Koalitionspartner „einen Schlussstrich“ unter die Corona-Pandemie ziehen und eine Amnestie für noch anhängige Bußgeldverfahren prüfen wollen. In der Migrationspolitik soll eine zentrale Ausländerbehörde eingerichtet werden, die Koalition will Abschiebungen beschleunigen und die Bezahlkarte für Asylbewerber in ganz Thüringen einführen.

Alle drei Partner wollen sich das Verhandlungsergebnis noch von ihren Parteien absegnen lassen. Sollte dies gelingen, könnte Mario Voigt Mitte Dezember zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Unklar ist, ob das reibungslos verlaufen wird. Die AfD hat zuletzt bei der konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtages demonstriert, zu welch destruktiven Manövern sie bereit ist. Die Wahl eines Ministerpräsidenten ohne eigene Mehrheit könnte eine Vorlage für den nächsten Akt sein.

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