Thüringen:Stabil ist hier gar nichts

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Einigung nach einer zweitägigen Klausurtagung: die Thüringer BSW-Landeschefin Katja Wolf und der CDU-Landesvorsitzende Mario Voigt. (Foto: Sascha Fromm/IMAGO/Funke Foto Services)

In Thüringen einigen sich CDU, SPD und BSW auf die wesentlichen Punkte einer Koalition. Kann das Projekt jetzt noch scheitern? Aber sicher!

Von Iris Mayer, Leipzig

Wie hoch die Chancen auf die Bildung einer Regierung in Thüringen stehen, das lässt sich möglicherweise am besten in den Talkshows beobachten. ARD, Dienstagabend bei Sandra Maischberger zum Beispiel: Sahra Wagenknecht ist zu Gast. Spötter meinen, ihre Auftritte seien inzwischen fast so sicher wie die Ausstrahlung der Tagesschau um 20 Uhr. Wagenknecht wird zum Krieg in der Ukraine befragt und wiederholt ihre Positionen zur Stationierung amerikanischer Raketen in Deutschland, die sie unverantwortlich findet, und zum Verhältnis des Westens zu Russland, wo sie mehr Diplomatie einfordert. Irgendwann geht es auch um den Koalitionsvertrag in Thüringen, den die Parteichefs von CDU, SPD und Wagenknechts Landesverband wochenlang ausgehandelt haben. Einen Vertrag, der vermutlich nicht existieren würde, hätte sich Wagenknecht mit ihrem kompromisslosen außenpolitischen Kurs bei den eigenen Leuten in Erfurt durchgesetzt.

Bei Maischberger sagt die 55-Jährige nun, nach allem, was sie wisse, sehe der Koalitionsvertrag ihrer Partei mit CDU und SPD deutlich anders aus als das von ihr heftig kritisierte Sondierungspapier: „Und darüber sind wir sehr froh.“ Natürlich habe es dafür Druck und Kritik geben müssen. Dies habe aber geholfen, „jetzt wesentliche Verbesserungen“ zu erreichen. Worin diese Verbesserungen bestehen, sagt Wagenknecht nicht. Doch dass sie überhaupt öffentlich den Daumen hebt, heißt zweierlei: Die Gründerin des BSW scheint vor der Neuwahl für den Bund im Konflikt mit den nachgeordneten Truppen im Land auf Diplomatie zu setzen. Und: Thüringen könnte tatsächlich noch vor Weihnachten eine neue Regierung bekommen. Könnte, denn Klippen gibt es auch jetzt noch genug.

Worauf sich CDU, SPD und BSW-Unterhändler genau geeinigt haben, soll die Öffentlichkeit am Freitag erfahren. Spätestens dann dürfte auch die Ressortverteilung zur Sprache kommen, die man bewusst ans Ende der Verhandlungen gestellt hatte. Schon um nicht den Eindruck zu erwecken, es ginge zuerst um Posten und dann erst um Inhalte. Nach langen Sondierungsgesprächen und Verhandlungen in thematischen Arbeitsgruppen hatten sich die Parteichefs Mario Voigt (CDU), Georg Maier (SPD) sowie Katja Wolf und Steffen Schütz (BSW) mit Vertrauten am Montag und Dienstag zu einer Klausur in ein Hotel im Ilm-Kreis zurückgezogen und letzte strittige Punkte ausgeräumt.

Noch sieht man die Hürden deutlicher als die Inhalte

Zu hören war von der Einigung auf konkrete Maßnahmen in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Wirtschaft und Migration. Schon zuvor waren einige Punkte aus den Arbeitsgruppen bekannt geworden: verpflichtende Deutschtests vor der Einschulung, um allen Kindern gleiche Startchancen zu gewähren, mehr Lehrer, mehr Polizisten, kostenlose Meisterausbildung, Bürokratieabbau, schnellere Asylverfahren, konsequentere Abschiebungen und längere Fristen bei der Schuldentilgung.

Klarer als die Inhalte der Brombeerkoalition erscheinen derzeit noch die Hürden für ihr Zustandekommen. Bei der CDU, die mit Voigt den Ministerpräsidenten stellen will, soll ein kleiner Parteitag über den Koalitionsvertrag befinden. An dem Treffen nehmen neben dem Vorstand auch die Kreisvorsitzenden und Kommunalpolitiker teil. Zwar gab es aus deren Reihen auch Vorbehalte gegen ein Bündnis mit dem BSW, ernsthafter Widerstand gegen die Einigung ist aber nicht zu erwarten.

Kritischer war die Stimmung in den vergangenen Wochen dagegen bei der SPD, die zur Landtagswahl mit 6,1 Prozent ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Thüringen eingefahren hatte. Die Jusos befanden danach: „Unsere Rolle ist nicht in einer Regierung der kleinen und großen Übel, in der wir unseren Zielen nicht gerecht werden können.“ Landeschef Maier warb dagegen ausdauernd für ein Mitgestalten in der Regierung. Wie viel Gewicht seine Worte haben, wird sich weisen. Auf dem Parteitag am vergangenen Wochenende kam er bei seiner Wiederwahl nur auf 62 Prozent Zustimmung. Über den Koalitionsvertrag sollen nun die Mitglieder abstimmen, zwei Wochen lang haben sie dafür Zeit. Am 9. Dezember soll ihr Votum verkündet werden.

Mitgliederrätsel beim BSW

Auch beim BSW ist die Stimme der Mitglieder entscheidend, dafür soll es am 7. Dezember einen Parteitag geben. Ursprünglich war der schon für diesen Samstag angesetzt, doch wegen der vorgezogenen Neuwahl im Bund wurde er um zwei Wochen verschoben, denn die Mitglieder sollen zugleich die Landesliste für die Bundestagswahl aufstellen. Wie viele Mitglieder das sein werden, ist aktuell eine der interessantesten Fragen. Denn die Aufnahme neuer Mitglieder ist beim BSW strikt zentralistisch geregelt, es entscheidet allein der Bundesvorstand in Berlin. Das führt dazu, dass die BSW-Führung in Erfurt nicht genau sagen kann, ob der eigene Landesverband mehr oder weniger als 100 Mitglieder hat – und es nährt die Befürchtung, dass Berlin gezielt Menschen aufnimmt, die weniger kompromissbereit sein könnten als das Führungsduo Wolf/Schütz. Zuletzt hatte sich Wolf irritiert darüber gezeigt, dass der Bundesvorstand Mitglieder aufnahm, die der Landesverband gar nicht vorgeschlagen hatte. Und wie die am 9. Dezember abstimmen werden, das weiß niemand.

Auch wenn alle drei Parteien Ja zum Koalitionsvertrag sagen, bleibt ein anderes Problem. Die Fraktionen von CDU, BSW und SPD kommen zusammen nur auf die Hälfte der 88 Mandate im Landtag. Für Mehrheiten werden sie also auf Stimmen aus der Opposition angewiesen sein. Stärkste Fraktion ist seit der Landtagswahl die AfD, sie verfügt über 32 Sitze und kann so auch alle Entscheidungen blockieren, für die es eine Zweidrittelmehrheit braucht. Das sind Verfassungsänderungen, die Wahl von Verfassungsrichtern oder die Auflösung des Parlaments. Da alle drei Koalitionäre eine Zusammenarbeit mit der rechtsextremistischen AfD ablehnen, bleibt für demokratische Mehrheiten nur die Linkspartei.

Ein Unvereinbarkeitsbeschluss bindet der CDU allerdings die Hände für eine feste Zusammenarbeit mit den Linken. Ein Fairnessabkommen, wie es der geschäftsführende Ministerpräsident Bodo Ramelow für eine Unterstützung der Brombeerkoalition gefordert hatte, wird es daher nicht geben. Ramelow hatte direkt nach der Landtagswahl auch die Möglichkeit ins Spiel gebracht, der Koalition persönlich zur Mehrheit zu verhelfen. „Vor Ihnen sitzt eine Stimme“, sagte Ramelow damals der SZ. Später stellte die Linke klar, dass eine Unterstützung für die Regierung Voigt nicht ohne Weiteres zu haben sei. Ramelow selbst verfolgt inzwischen andere Pläne: Er bewirbt sich am 23. Februar um ein Direktmandat für den Bundestag.

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