Thüringens Ministerpräsident:Der verschleppte Rückzug

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  • Thüringens gewählter Ministerpräsident Thomas Kemmerich will nach eigenen Worten nicht im Amt bleiben, da seiner Wahl der "Makel" der Zustimmung durch die AfD anhängt.
  • Er erklärt allerdings nicht seinen Rücktritt, was den Weg zu Neuwahlen beschleunigen würde, sondern will sich Mehrheiten für eine Auflösung des Landtages suchen.
  • AfD und CDU können dies jedoch gemeinsam blockieren und zeigen derzeit keine Bereitschaft für Neuwahlen.

Von Detlef Esslinger und Cerstin Gammelin, Berlin

Thomas Kemmerich, der neue FDP-Ministerpräsident von Thüringen, will nach eigenen Angaben sein Amt wieder aufgeben - gibt aber nicht an, wann und wie. In der Erfurter Staatskanzlei sagte Kemmerich am Donnerstagnachmittag: "Der Rücktritt ist unumgänglich, die Auflösung des Landtags ist unumgänglich." Aus seinen weiteren Ausführungen ergab sich jedoch, dass er entweder nicht wörtlich verstanden werden wollte oder aber die einzelnen Schritte noch nicht geplant hat. Zugleich deutete sich am Abend das nächste Zusammenwirken von CDU und AfD an: Der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring sprach sich gegen Neuwahlen aus. Da auch die AfD die nicht will, könnten beide Parteien zusammen die Selbstauflösung des Landtags verhindern. Am Abend saß die CDU-Bundesvorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer stundenlang bei der Thüringer CDU-Fraktion; dem Vernehmen nach, um sie umzustimmen. Ergebnisse standen bei Redaktionsschluss noch aus.

Kemmerich sagte zunächst, seine FDP-Fraktion habe beschlossen, einen Antrag zur Auflösung des Parlaments zu stellen. Gemäß Landesverfassung müssen 30 Abgeordnete einen solchen Antrag stellen und 60 ihm zustimmen. Die FDP hat fünf Abgeordnete. Auf die Frage, was er tue, falls weniger als 60 Abgeordnete zustimmten, sagte Kemmerich: "Dann werde ich die Vertrauensfrage stellen." Ein solches Drehbuch würde bedeuten, dass Kemmerich zunächst auf einen Rücktritt verzichtet. Über einen Antrag auf Selbstauflösung muss der Landtag innerhalb von 30 Tagen abstimmen. Träte er danach noch zurück, bliebe er geschäftsführend über eine Neuwahl hinaus im Amt - da ein aufgelöster Landtag ja keinen Nachfolger mehr wählen kann. Die Neuwahl muss spätestens 70 Tage nach der Selbstauflösung stattfinden. In diesem Szenario würde Kemmerich noch monatelang Ministerpräsident bleiben. SPD, Grüne und Linke forderten eine klare Wortwahl des FDP-Politikers: "Rücktritt - und zwar eine Aussage bis Ende Sonntag", so formulierte SPD-Landeschef Wolfgang Tiefensee die Position der drei Parteien. Allerdings ist ein Ministerpräsident gemäß Verfassung verpflichtet, immer bis zum Antritt eines Nachfolgers die Geschäfte zu führen.

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Sollte es zu keiner Auflösung des Landtags kommen und Kemmerich daraufhin die Vertrauensfrage stellen, würde der Landtag darüber spätestens nach zehn Tagen abstimmen. Falls Kemmerich verliert, muss der Landtag binnen drei Wochen einen Nachfolger wählen - oder die Verfassung schreibt Neuwahlen vor. Auch in dem Fall bliebe er geschäftsführend im Amt. Dass der Landtag sich selbst auflöst, ist alles andere als gewiss. Der AfD-Landesvorsitzende Stefan Möller sagte, eine Zustimmung der AfD-Abgeordneten sei "eher unwahrscheinlich". CDU-Landes- und Fraktionschef Mohring äußerte Sympathie dafür, falls Kemmerich die Vertrauensfrage wähle. Es liege "in der Verantwortung aller Abgeordneten, Neuwahlen zu vermeiden", erklärte Mohring. Sofern CDU und AfD bei dieser Linie bleiben, hieße das: Sie bilden mit ihren insgesamt 43 der 90 Abgeordneten eine Sperrminorität.

SPD-Fraktionschef Matthias Hey sagte, seine Fraktion sei für eine Neuwahl; er brachte aber auch ein konstruktives Misstrauensvotum von SPD, Grünen und Linken ins Spiel. Auch sein grüner Kollege Dirk Adams erklärte, Neuwahlen zwar nicht per se abzulehnen, aber: "Ich möchte gerne noch mal einen Ministerpräsidenten wählen." Dabei stünden die drei Fraktionen indes vor einem ähnlichen Problem wie am Mittwoch: Für ein Misstrauensvotum bräuchten sie 46 der 90 Abgeordneten. Sie verfügen aber nur über 42.

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Die Debatte darüber, dass Kemmerich sich am Mittwoch von FDP, CDU und AfD hatte wählen lassen, ging am Donnerstag weiter. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte in Südafrika, der Vorgang sei "unverzeihlich". Das Ergebnis müsse wieder rückgängig gemacht werden. Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel schrieb daraufhin bei Twitter, Merkel rette Deutschlands Ehre.

Kemmerich und auch der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner wurden am Donnerstag gefragt, warum Kemmerich seine Wahl am Mittwoch überhaupt angenommen habe. Kemmerich antwortete: "Auch für Demokraten ist es eine gute Sache, eine Sache zu betrachten von vielen Seiten." Lindner sagte, Kemmerich habe eine Nacht über die Situation schlafen müssen. Er selbst kündigte an, an diesem Freitag im Parteivorstand die Vertrauensfrage zu stellen; ihm wird in weiten Teilen der Partei katastrophales Management vorgeworfen. SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der Süddeutschen Zeitung, er erwarte von der CDU-Führung, dass sie "den entstandenen Schaden ohne Verzug behebt. Ein Spiel auf Zeit wäre nicht hinnehmbar."

© SZ vom 07.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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