Thüringen:Ein bisschen Unfrieden

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In Sondierungsgesprächen: Thüringens SPD-Chef Georg Maier, BSW-Fraktionschefin Katja Wolf und CDU-Fraktionschef Mario Voigt vor der Erfurter Innenstadt. (Foto: Martin Schutt/dpa)

Zwei Monate nach der Wahl hat Thüringen noch keine Regierung. Das liegt vor allem am Bündnis Sahra Wagenknecht, das Forderungen stellt, die die CDU nicht mittragen kann. Trotzdem könnte ein Kompromiss gelingen.

Von Iris Mayer, Leipzig

Seit acht Wochen sucht Thüringen nach einer neuen Regierung, bislang hat dieses Bemühen in erster Linie zu neuen Wortschöpfungen geführt. Da wäre zuerst die Brombeerkoalition, die ein Bündnis aus CDU, SPD und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) beschreiben soll. Dann ist von einer Patt-Regierung oder einer De-facto-Mehrheit die Rede. Damit wird ummantelt, dass dieses Bündnis mit 44 von 88 Landtagsmandaten keine Mehrheit besäße. Um dies zu ändern, könnte ein Fairnessabkommen notwendig sein, den Begriff brachte der amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow ins Spiel. Auf die Weise solle eine punktuelle Zusammenarbeit mit seiner Linksfraktion etabliert werden. Doch nichts davon ist bisher in trockenen Tüchern – weder die Brombeerkoalition noch das Fairnessabkommen.

Stattdessen verhandeln die potenziellen Koalitionäre weiter über die Präambel eines Koalitionsvertrages. Mit dem Ziel, ein Bekenntnis zum Frieden, die Forderung nach mehr Diplomatie und eine Ablehnung der Stationierung von US-Raketen in Deutschland so zu formulieren, dass am Ende die Namensgeberin des BSW und CDU-Landeschef Mario Voigt zustimmen können. Auch dafür gibt es – Stand Freitagnachmittag – noch kein Ergebnis, aber eine weitere Wortschöpfung: Präambel- oder Friedensverhandlungen.

Die Verhandlungen sind deshalb so schwierig, weil Wagenknecht im Grunde Bedingungen vorgibt, die die CDU nicht mittragen kann, unter anderem, sich von ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz zu distanzieren. Während die Thüringer BSW-Verhandler, vor allem in Person von Katja Wolf, deutlich gemacht haben, dass sie regieren wollen, bremst Wagenknecht aus dem Hintergrund. Die Frage ist also auch: Setzen sich die Pragmatiker vor Ort durch oder die Dogmatikerin in Berlin? Die erste Runde ging vergangenen Freitag an das Team Dogma. Da kassierte der BSW-Landesvorstand nach Rückkopplung mit der BSW-Spitze das öffentlich vorgestellte Sondierungspapier, weil die Formulierung zum Thema Frieden zu schwammig gewesen sei.

Frei gewählten Abgeordneten kann man nichts vorschreiben

Für den Politikwissenschaftler Benjamin Höhne nährt dies Zweifel, ob es in Thüringen zu einer Koalition mit dem BSW kommt, „und wenn ja, ob sie dann auch über die volle Legislatur hält“. Zunächst dürften die Fliehkräfte innerhalb des BSW wirken, sollten sich Landesverbände mit dem Bundesvorstand überwerfen. Die Bundessatzung ist an dieser Stelle klar formuliert: Paragraf 15 „Ordnungsmaßnahmen gegen Gliederungen“ sieht bei schwerwiegenden Verstößen die Möglichkeit vor, Gliederungen (etwa einen Landesverband) auszuschließen oder aufzulösen. So ein radikaler Schritt beträfe die Partei, aber nicht zwangsläufig die gewählten Landtagsabgeordneten. Höhne sagt: „Wenn das Thüringer BSW eine Koalition gegen den Willen seiner Bundesspitze durchzieht, wäre dies formal möglich. Es sind frei gewählte Abgeordnete, denen man weder aus Saarbrücken noch aus Berlin vorschreiben kann, wie sie sich im Parlament verhalten sollen.“

Auch argumentativ hätte es die Bundesspitze schwer, den Rücktritt vom Mandat zu fordern. Schließlich sitzt das BSW nur deshalb im Bundestag, weil sich seine Mitglieder weigern, die Mandate zurückzugeben, die sie als Angehörige der Linkspartei errungen hatten. Doch so weit muss es nicht kommen. „Ich halte den harten Bruch innerhalb des BSW für unwahrscheinlich. Dafür ist die Partei zu jung und zu stark auf Wagenknecht ausgerichtet. Die Mitglieder sind handverlesen“, sagt Höhne, der als Professor an der TU Chemnitz lehrt. Auch die Spitzenfrauen in Thüringen und Sachsen, Katja Wolf und Sabine Zimmermann, wüssten, „dass sie selbst nicht für die Wahlergebnisse gesorgt hätten. Sahra Wagenknecht ist die populäre Galionsfigur, sie verdanken ihr viel.“

Auch nach einer Einigung werden wohl Unsicherheiten bleiben

Auch für Wagenknecht gibt es Risiken. Löst sie ihr großflächig plakatiertes Wahlversprechen, für Frieden einzutreten, nicht ein, riskiert sie die Glaubwürdigkeit ihrer jungen Partei. „Frau Wagenknecht hat eine gute Ausgangsposition für die Bundestagswahl zu verlieren, Frau Wolf die Aussicht auf ein Ministeramt in einer Brombeerkoalition“, sagt Höhne. Wagenknecht hat immer wieder betont, dass das BSW auch dafür hafte, was auf Landesebene geschehe. Am komfortabelsten wäre für sie die Tolerierung eines Bündnisses aus CDU und SPD in Thüringen.

Dieses Bündnis wäre freilich weiter von einer Mehrheit entfernt als die bisherige rot-rot-grüne Minderheitsregierung und käme zusammen auf weniger Sitze als die AfD, die bei der Landtagswahl am 1. September zum ersten Mal in einem deutschen Parlament stärkste Kraft wurde. Wolf hat ihren Wechsel von der Linkspartei zum BSW auch damit begründet, Thüringens AfD-Chef Björn Höcke auf möglichst großen Abstand zur Macht halten zu wollen. Dies wäre dann gescheitert. Höhne hält es auch deshalb für wahrscheinlich, „dass man doch noch einen Formelkompromiss findet, der in der Präambel steht, die CDU ist da ja sehr pragmatisch“.

Wie tragfähig solch ein Kompromiss sein könnte, müsste sich dann weisen. Denn sollte es nach der Bundestagswahl eine unionsgeführte Bundesregierung geben, „wird sichtbar werden, dass Wagenknecht keinen Einfluss auf die Außenpolitik nehmen kann“. Gut möglich, dass sie dann auf einen Rückzug des BSW aus Landesregierungen drängen werde, sagt Höhne. „Es besteht also erhebliche Unsicherheit für die gesamte Legislaturperiode, selbst wenn in nächster Zeit eine Koalition zustande käme.“ Noch gibt es für dieses Szenario aber keine Wortschöpfung.

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