Thüringen: Althaus nach der Wahlpleite:Gefährliches Mitgefühl

Die CDU spendet dem Ministerpräsidenten Trost in schwerer Stunde. Doch hinter den Kulissen brodelt es. Sollte sich Althaus nicht mit der SPD einigen können, sind seine Tage wohl gezählt.

Michael König, Erfurt

Es ist nett gemeint von Bernhard Vogel. Der ehemalige Ministerpräsident lässt sich von Dieter Althaus das Mikrofon geben und hält eine kämpferische Rede. "Mehr Einsatz als Dieter Althaus konnte man nicht zeigen", ruft Vogel und bekommt dafür stehende Ovationen. "So spricht ein wahrer Landesvater", raunt einer im Publikum. Es ist ein Hinweis darauf, woran es gelegen haben mag, dass die CDU bei der Landtagswahl in Thüringen knapp zwölf Prozentpunkte und ihre absolute Mehrheit verlor.

Thüringen: Althaus nach der Wahlpleite: Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit in Thüringen dürfte Dieter Althaus das Bier nicht so gut geschmeckt haben. Noch wollen einige mit ihm anstoßen.

Nach dem Verlust der absoluten Mehrheit in Thüringen dürfte Dieter Althaus das Bier nicht so gut geschmeckt haben. Noch wollen einige mit ihm anstoßen.

(Foto: Foto: dpa)

Althaus, Vogels Nachfolger und Noch-Ministerpräsident, hatte die Gäste der CDU-Wahlparty in der Gaststätte am Hopfenberg lange warten lassen. Weil der TV-Kanal willkürlich und unregelmäßig gewechselt worden war, hatten die Anwesenden bis 21 Uhr kein Statement von Althaus gesehen. Zeit für Diskussionen: "Er muss jetzt reinen Tisch machen und gestehen, dass im Wahlkampf einiges schiefgelaufen ist", fordern die einen. "Er muss uns Mut machen und Kraft geben", sagen die anderen.

Althaus versucht es, doch seine Stimme wird von einem plärrenden Fernseher übertönt. Erst als sich jemand erbarmt, das Gerät auszuschalten, kann der irritierte Ministerpräsident zum Parteivolk sprechen. Das Wahlergebnis sei nicht so, "wie wir das wollten", sagt er. Dennoch habe die CDU einen "ganz klaren Handlungsauftrag, den wir wahrnehmen werden." Er wolle nun "zügige Sondierungsgespräche mit der sozialdemokratischen Partei." Ausführlich dankt er allen Helfern, der Partei und seiner Familie: "Sie haben sehr bei mir und zu mir gestanden."

Dafür erntet er Applaus und mitfühlende Blicke. So war es in den vergangenen Wochen oft, wenn sich der Ministerpräsident bei Wahlkampfauftritten zeigte. Wenn er unterschwellig anklingen ließ, welche Schuld auf seinen Schultern lastet, nach dem Ski-Unfall, bei dem eine vierfache Mutter ums Leben kam.

Wie Applaus auch klingen kann, ist nach Vogels Rede zu hören. Es ist ein kräftiges, lang anhaltendes Klatschen und Stampfen, deutlich lauter als nach Althaus' Rede. "Diese Partei ist eine großartige Partei, weil sie Siege feiern, aber auch Krisen überwinden kann", sagt der 76-Jährige. "Das Ergebnis ist schmerzhaft, aber wir sind in Thüringen die einzige Volkspartei. Auch heute darf man sich freuen und feiern, dass Freunde zusammen sind, die auch in Zukunft zusammenstehen werden."

Das sitzt. Vogel trifft den Nerv. Während die Leute klatschen, übergibt Vogel das Mikrofon an Althaus und stellt sich auf der Bühne hinter ihn. Er steht da wie ein Großvater, der gönnerhaft seinen Enkel ins Scheinwerferlicht rückt. Hier der Landesvater, dort der angeschlagene Ministerpräsident. "Mitleid kann auf Dauer keine Macht ersetzen", sagt ein Anzugträger im Publikum, der dem Treiben auf der Bühne den Rücken zugedreht hat und sich seinem Rotweinglas widmet.

Mitglieder der Parteispitze betonen im Laufe des Abends immer wieder, dass es für Schuldzuweisungen und Analysen viel zu früh sei. "In meinem eigenen Wahlkampf hatte ich nicht den Eindruck, dass wir ein schlechtes Ergebnis einfahren würden", sagt Innenminister Manfred Scherer. "Wenn kleine Parteien dazugewinnen, geht es immer zu Lasten der Großen", weiß Klaus Zeh, Minister in der Staatskanzlei.

Weniger prominente Althaus-Getreue sagen, dass die Wahlschlappe nicht an dem Ministerpräsidenten gelegen habe. Nicht an der Art und Weise, wie er mit seinem Unfall umgegangen ist. Nicht an den Zweifeln, ob er gesundheitlich voll auf der Höhe ist. Es werden viele dieser Nicht-Gründe aufgezählt. Ohne, dass jemand danach gefragt hätte.

Die Althaus-Gegner werden zu fortgeschrittener Stunde immer deutlicher in ihrer Kritik: Dem Wahlkampf habe der "Pep" gefehlt. Althaus habe die Medien zur Instrumentalisierung seines Unfalls benutzt, und dabei nicht gemerkt, "wie sie ihm auf der Nase herumtanzten". Er sei nicht in der Lage gewesen, der "diffusen Unzufriedenheit" der Wähler gegenüber der CDU entgegenzutreten. "Man hätte ihm sagen müssen, dass er nicht fit wirkt. Er sollte jetzt endlich auf seinen Körper hören und abtreten." Es sind anonyme Stimmen, die das sagen. Niemand will wörtlich zitiert werden. Nicht an diesem Abend.

Die mögliche Nachfolgerin

Erst am Montag melden sich in aller Deutlichkeit einige Kritiker zu Wort: "Dieter Althaus muss sehen, dass er in einem Team arbeitet", fordert etwa die amtierende Landtagspräsidentin Dagmar Schipanski im MDR-Radio. Die CDU müsse in Zukunft mehr auf Zusammenarbeit setzen. Das ist auf die Partei gemünzt, doch nach dem Verlust der absoluten Mehrheit braucht die CDU einen Partner, um nicht nach 19 Jahren in die Opposition zu müssen.

Thüringen: Althaus nach der Wahlpleite: Thüringens Sozialministerin Christine Lieberknecht: Sie gilt als mögliche Nachfolgerin von Dieter Althaus.

Thüringens Sozialministerin Christine Lieberknecht: Sie gilt als mögliche Nachfolgerin von Dieter Althaus.

(Foto: Foto: seyboldtpress.de)

Althaus wählt im Restaurant am Hopfenberg die Flucht nach vorne und nennt die großen Koalition eine "denkbare Option". Er verweist darauf, dass Thüringen von 1994 bis 1999 unter einer schwarz-roten Regierung mit Ministerpräsident Vogel "gut vorangekommen" sei.

Im Wahlkampf hatte er den SPD-Spitzenkandidaten Christoph Matschie weitgehend ignoriert und den Linken-Chef Bodo Ramelow zu seinem Gegner auserkoren. Nun ignoriert er weitgehend den Erfolg der Linken und bietet Matschie an, ihm als Juniorpartner zur Seite zu stehen. Für die CDU ist Schwarz-Rot die einzige Machtoption - und für Althaus womöglich die einzige Chance, an der Parteispitze zu bleiben. Wenn die Zahl seiner potentiellen Nachfolger auch begrenzt ist.

Alle Augen auf Lieberknecht

Immer wieder wird die Sozialministerin Christine Lieberknecht von Gästen der Wahlparty als neue Spitzenkraft ins Gespräch gebracht. Die ehemalige Landtagspräsidentin zeigt von Beginn an Präsenz, gibt viele Interviews, betont immer wieder, die CDU müsse für alle Partner offen sein. Ihre Anhänger sagen, sie habe einen guten Draht zur SPD. Lieberknecht selbst sagt, sie könne auch mit den Grünen gut.

Das könnte in Zukunft von Bedeutung sein. Einige Mitglieder der Jungen Union hatten kurz nach der Bekanntgabe der Prognosen auf der Wahlparty eine Umfrage gestartet, ob jemand "Connections" zur Umweltpartei habe.

Für eine knallharte Oppositionspolitikerin scheint Lieberknecht, eine Frau von zierlicher Statur und mit zarter Stimme, nicht in Frage zu kommen. Doch in Krisenzeiten sehnt sich so mancher nach einer soliden Führungsperson. Und wenn Lieberknecht sagt, die CDU müsse nun "auf die Bürger zugehen und neues Vertrauen bilden", dann klingt das schon sehr staatstragend. Oder auch: Landesmütterlich.

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