Thomas Jurk, SPD:Unerschrocken im eisigen Gegenwind

Der Spitzenkandidat der SPD in Sachsen, kann schon froh sein, wenn er beim Wahlkampf nur ignoriert wird.

Von Jens Schneider

Wieder ein Auswärtsspiel, diesmal sogar ein besonders schweres. Als Thomas Jurk an diesem Morgen in Wurzen, einer Kleinstadt zwischen Dresden und Leipzig, aus seinem Wagen steigt, kann er schon ahnen, dass dies erneut kein leichter Auftritt werden dürfte für ihn als Sozialdemokraten.

Auf dem Weg in die Stadt hinein, hängen an der Hauptstraße fast ausschließlich die roten Wahlplakate der rechtsextremen NPD. Die meisten zeigen eine geballte Faust, und es steht "Quittung für Hartz IV" darauf. Die putzige Kleinstadt mit dem gemütlichen Marktplatz hat sich Mitte der neunziger Jahre einen düsteren Ruf als Hochburg gewaltbereiter Rechtsextremer erworben. Inzwischen ist Wurzen ein Schwerpunkt der NPD in Sachsen.

Als der Sozialdemokrat Thomas Jurk zusammen mit seinem Parteifreund Wolfgang Tiefensee, dem Leipziger Oberbürgermeister, zum Treffpunkt vor dem Dom kommt, ist der Platz fast leer. Nur wenige Wurzener stehen hier. Dazu fast ein Dutzend junge Dresdner Sozialdemokraten, die extra gekommen sind und sich wie interessierte Bürger geben, damit die beiden überhaupt ein Publikum haben.

Ein wenig abseits beobachten kurzgeschorene Burschen den kleinen Auftrieb. Sie sind wohl der rechten Szene zuzuordnen, bald verziehen sie sich. Vor dem kleinen und zumeist vertrauten Publikum halten Jurk und Tiefensee engagierte Reden gegen rechte Parolen und politische Rattenfänger. Es ist der 1.September, der Anti-Kriegs-Tag in Erinnerung an den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Die beiden sind gekommen, um hier ein Zeichen zu setzen.

Vom Dom geht es hinunter zum Marktplatz, wo zwischen den Ständen viele Menschen einkaufen. Der hochgewachsene Tiefensee, spätestens seit der Olympia-Bewerbung Leipzigs vielen hier aus dem Fernsehen bekannt, fällt auf. Die Leute schütteln gern seine Hand und lassen sich auf kurze Gespräche ein. Manchmal kann er Jurk, den Parteichef und Spitzenkandidaten, ins Gespräch einbeziehen und ihn vorstellen.

Die wenigsten scheinen Jurk zu kennen. Wenn er allein auf Leute zugeht, kommt schwer ein Gespräch zustande. Viele ziehen schnell vorüber, sobald sie die Broschüren der SPD sehen. Gemessen an dem, was er und seine Genossen sonst oft erleben, ist das stumme Abwenden freilich eine ziemlich liebenswürdige Art der Zurückweisung.

Im Schatten der Hartz-IV-Reformen begegnen viele Bürger dem Funkmechaniker aus der Lausitz und seinen Genossen in diesem Landtagswahlkampf mit einer bisher ungekannten Aggressivität.

"So viel Hass habe ich noch nie erlebt", berichtet Martin Dulig, der Juso-Vorsitzende und Zweite auf der Landesliste. "Die Menschen haben das Gefühl, uns beschimpfen zu dürfen." Und er sagt: "Du musst ein bisschen Arbeitsmarktexperte sein." Immer wieder besorgten Bürgern erklären, warum sie keine Angst um ihre Wohnung haben müssen, erst recht nicht um ihre Datsche.

Ein Kleingärtner ließ sich Duligs Telefonnummer geben und drohte: "Wenn das nicht stimmt, melde ich mich." Eine Wurzener Genossin erzählt, wie sie befreundeten Sozialhilfeempfängern mit dem Bleistift ihre künftigen Bezüge vorrechnete. Es kam heraus, dass sie mit Hartz IV sogar mehr bekommen werden.

Erste Bewährungsprobe

Der kräftig gebaute, aber im Grunde schüchterne Jurk stellt sich dem eisigen Gegenwind in der ausdauernden Manier eines Preisboxers, der die deftigen Schläge seines Gegners Runde für Runde einsteckt, obwohl er weiß, dass er am Ende den Kampf nicht gewinnen wird. Beim letzten Mal hatten die Sozialdemokraten 10,7 Prozent; am 19. September wäre es ein Erfolg, wenn sie dieses Ergebnis nicht unterbieten.

Freilich gibt es stimmungsmäßig einen großen Unterschied zu 1999, der grotesk anmutet, weil die Umstände diesmal schlimmer sind. Damals verfiel ihr Spitzenkandidat Karl-Heinz Kunckel früh für alle sichtbar in politische Melancholie. Er haderte mit dem Schicksal, sich nie den Wunsch der Regierungsbeteiligung erfüllen zu können.

Die Partei unterstützte ihn halbherzig, die Kampagne wurde zur Pflichtübung. Sein Wahlkampf las sich wie die Chronik eines angekündigten politischen Todes. Für seinen Nachfolger als Fraktionschef ist dieser Wahlkampf eine erste Bewährungsprobe. Er geht sie unerwartet entschlossen an, seitdem er im Frühsommer den internen Konflikt mit der Parteirechten erfolgreich beendete.

Seit diesem, durch Abstimmungserfolge auf einem Parteitag erzielten Befreiungsschlag wird er von der Basis als ihr Kandidat gestützt. Ungewohnt engagiert zeigt sich das populäre Leipziger Stadtoberhaupt Tiefensee, der im letzten Herbst selbst angesichts der Unstimmigkeiten mit der christdemokratischen Landesregierung auf die Spitzenkandidatur verzichtet hatte, die ihm sicher war.

Offenbar haben die heftigen Angriffe aus Dresden, die Tiefensee im letzten Jahr trafen, den Sozialdemokraten seiner Partei erst richtig näher gebracht. "Den hat", bestätigt ein führender Sozialdemokrat, "erst der Milbradt zu einem richtigen Sozi gemacht." Im Wahlkampf legt Tiefensee Wert darauf, dass Jurk die Nummer eins sei und geht nur voran, um ihn nachzuziehen.

Jurks Ausdauer ringt nun jenen in der Partei Respekt ab, die ihn vorher als Zauderer sahen. Auch bei rüden, unhöflichen Attacken, die für jeden eine Zumutung sein müssen, fragt der Wahlkämpfer mit scheinbarer Gemütsruhe nach: Wo ist ihr Problem? Und begegnet dem mit seinem intensiv angelesenen Wissen über Hartz IV, vom Schonvermögen bis zur Definition von Bedarfsgemeinschaften.

Jurk ist kein Mann der großen intellektuellen Entwürfe. Aber wie der Fragebogen für das Arbeitslosengeld II aussieht, weiß er durch Nachbarn und Verwandte daheim im Raum Weißwasser in der Lausitz, einer wirtschaftlichen Problemregion, aus eigener Anschauung.

Wer ständig gegen ein Trommelfeuer ankämpft, der muss dazwischen auch Zeichen der Hoffnung suchen. Seit zwei Wochen, sagen Jurk und seine Leute, werde die Stimmung besser. Man komme ins Gespräch. Und die Heftigkeit der Attacken mobilisiere auch ihre Anhänger.

Auf der Straße bekennen die Leute sich wieder häufiger zur SPD oder verteidigen gar die Hartz-Reformen, wenn es heiß hergeht, sagt Jurk. Freilich schaut er dabei nicht so drein, als könne dies eine Massenbewegung werden.

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