Süddeutsche Zeitung

Bundesregierung:Wenn Politiker unversöhnlich werden

Vorgänger und Nachfolger sind nicht immer Freunde. Doch selten verachten sie sich so sehr wie Thomas de Maizière und Horst Seehofer. Kein Wunder, dass de Maizières Buch neuen Streit auslöst.

Von Stefan Braun, Berlin

Natürlich wird das kein Streitgespräch; dafür sind die beiden sich einfach zu ähnlich. Thomas de Maizière, Ex-Innenminister, hat ein Buch übers Regieren geschrieben. Und Olaf Scholz, aktueller Finanzminister, kommt in seiner Vorstellungsrede zu einem klaren Ergebnis. "Sehr schön" habe "der Thomas" das Handwerk des Politikers beschrieben; "angenehm unaufgeregt" schildere er auch die Belastungen für die Familie. Überhaupt sei Maizière "ein ganz feiner Kerl", sagt der Bundesfinanzminister. Deshalb sitze er hier und habe sich sofort bereit erklärt, dieses Buch vorzustellen.

Ein aufgeräumter Thomas de Maizière, ein freundlicher Laudator - so soll das nach außen wirken. Dazu erinnert de Maizière daran, wie spröde sie oft wahrgenommen würden. "Ich die Büroklammer, du der Scholzomat" - so laute die vorschnelle öffentliche Einordnung. Tatsächlich aber stünden sie beide für das seriöse Bemühen, dem Land nicht mit Schaumschlägerei, sondern mit gewissenhafter Arbeit zu dienen.

Das also hätte es sein können bei diesem Auftritt. Doch obwohl sich de Maizière alle Mühe gibt, diese Botschaft zu verbreiten - es gibt noch ein anderes Thema, das an diesem Nachmittag mitschwingt. Und das bricht mit allem, was das Buch und seine Präsentatoren verkörpern.

Es gibt einen Vorwurf, der ihn zutiefst verletzt hat

Gemeint ist die Flüchtlingskrise, der Streit darum und damit auch die Kritik, die sich seit den schwierigen Monaten im Sommer 2015 an dem früheren Innenminister festmacht.

De Maizière weiß seit langem, dass manches in dieser Krise nicht gut lief. Er weiß genau, dass ihm kommunikative Fehler das Leben schwermachten - und dass Versäumnisse vor der Krise das Land in der Krise heftig durchschüttelten.

Doch während die Kritik daran ihn zwar belastete, aber nie im Herzen traf, gibt es einen Vorwurf, der ihn seit diesen schweren Monaten zutiefst verletzt hat. Es war das Reden von der "Herrschaft des Unrechts", formuliert und auf die Spitze getrieben vom damaligen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer.

Seehofer hat diesen Vorwurf gleichermaßen gegen Angela Merkel und gegen ihren damaligen Innenminister gewendet. Er hat ihn nie wirklich zurückgenommen. Und de Maizière hat lange auf eine entschiedene Retourkutsche verzichtet. Mit diesem Buch aber konnte und wollte er sich nicht mehr zurückhalten.

Es ist daraus keine Seiten-lange Suada gegen Seehofer geworden. Stattdessen nennt de Maizière die Seehofer'sche Attacke von damals kurz und knapp "ehrabschneidend". Es ist nur ein einziges Wort. Aber das hat es in sich.

Seehofer nennt de Maizières Behauptungen "objektiv falsch"

Wer den preußischen Pflichtmenschen de Maizière mehr als nur oberflächlich erlebt hat, weiß genau, dass es wenig gibt, was einen wie ihn härter treffen würde. Ehrabschneidend - das ist die Botschaft, auf die früher ein Duell im Morgengrauen zu folgen hatte. Mit lebensgefährlichen Konsequenzen.

Während der Buchvorstellung mag er darüber nicht viel sprechen. Ja, ein hartes Wort sei das, so de Maizière. Er habe es bewusst so gewählt. Ansonsten aber wolle er dazu nichts mehr sagen. Das Wort, so die Botschaft, reicht auch so schon.

Wie tief der Graben zwischen den beiden ist, lässt sich auch am Gegner studieren. Statt den aus dem Amt ausgeschiedenen de Maizière stillschweigend zu ignorieren, reagierte Seehofer ungebremst und binnen Minuten. Kaum war de Maizières Buch Anfang der Woche auf dem Markt, erklärte Seehofer, er kenne das Werk zwar nur aus dem, was öffentlich zitiert werde. Gleichwohl sei für ihn klar, dass de Maizières Behauptungen "objektiv falsch" seien.

Nun mag es Autoren und Verleger geben, die einen Streit um Textpassagen für eine besonders geschickte PR-Strategie halten. Bei de Maizière aber dürfte das nicht die stärkste Triebfeder gewesen sein.

Hintergrund des Konflikts sind zwei Entscheidungen aus dem Sommer 2015. Zum einen beschloss das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, als Reaktion auf den riesigen Andrang Hunderttausender Syrer für diese Gruppe die Prüfung, ob sie anderswo in der EU ihr Asylverfahren durchlaufen müssten, für einige Monate auszusetzen. Wo die einen (wie Seehofer) einen Rechtsbruch vermuteten, erklärten die anderen (wie de Maizière), dass das die Dublin-Regeln zur Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in der EU für Ausnahmesituationen explizit zulassen würden.

Zum anderen entschied der damalige Innenminister, an den Grenzen zwar Kontrollen einzuführen, aber Flüchtlinge nicht zurückzuweisen. Hierzu gab es insbesondere im entscheidenden Bundesinnenministerium unterschiedliche Rechtsauffassungen. Deshalb entschied sich de Maizière politisch für einen Verzicht auf Grenzschließungen, weil er meinte, Bilder von harten Polizeieinsätzen gegen Flüchtlinge könne die Politik nicht tage- oder gar wochenlang gegenüber der Öffentlichkeit verantworten.

Und dann gab es noch einen dritten Streitfall, der in den heißen Monaten im Herbst 2015 nicht wirklich öffentlich wurde, aber im Buch und in Seehofers Replik eine Rolle spielt. De Maizière berichtet, dass es in den schwierigsten Wochen auch die Landräte an der deutsch-österreichischen Grenze (viele von der CSU) gewesen seien, die in Berlin darum baten, die Flüchtlinge erst ins Land zu lassen und dann zu registrieren - aus Furcht vor riesigen Flüchtlingslagern in unmittelbarer Nachbarschaft der Grenze.

Der Streit mit Seehofer wird sich wohl nie auflösen lassen

Für de Maizière und sein Haus war das offenkundig eine wichtige Begründung, um die Menschen erst im Land zu registrieren. Seehofer dagegen behauptet, dass das mit den Bitten der Landräte gar nicht stimme. Ein für April geplantes Buch im Cotta-Verlag widerspricht der Seehofer'schen These allerdings - und bezieht sich dabei offenbar auch auf Bitten, die im Herbst 2015 ausgerechnet aus Seehofers Staatskanzlei kamen.

Der Streit zwischen den beiden wird sich wohl nicht mehr auflösen lassen. Es gibt kaum zwei Politiker, deren Grundverständnis von der Rolle eines Politikers derart weit auseinanderklafft. Der 69-jährige Seehofer hat Politik immer als Amt für große Botschaften und Symbole, für Konflikt und Leidenschaft verstanden. Der 65-jährige de Maizière sieht das seit dreißig Jahren anders. Er will organisieren, befrieden, vernünftig regieren - und hält all die große Symbolik, die einen Seehofer immer ausgemacht hat, für fragwürdig und manchmal sogar gefährlich.

Wie sagt er es bei der Buchvorstellung: "Zu glauben, man regiere gut, wenn man eine gute Idee hat oder eine tolle Rede hält, ist falsch." Dafür brauche es mehr als ein paar dicke Schlagzeilen. Seehofer muss das nicht persönlich nehmen. Aber er läge sicher nicht falsch, wenn er es trotzdem täte.

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