Think Tanks in Deutschland:Die Gedankenmacht

Andrea Ypsilantis linke Programmwerkstatt Institut Solidarische Moderne bereitet Rot-Rot-Grün vor. Andere Organisationen werben für Nachhaltigkeit oder analysieren die deutsche Wirtschaft. Think Tanks werden in Deutschland immer einflussreicher.

Hannah Beitzer

Schwarz-Grün? Diese Option ist für Sven Giegold spätestens seit dem Atomdeal der Regierung gestorben. Der Grüne Europaabgeordnete will sich allerdings auch nicht auf eine Mehrheit für Rot-Grün verlassen. Bleibt also Rot-Rot-Grün.

SPD-Praesidium

Bringt ihrem Think Tank Institut Solidarische Moderne viel Aufmerksamkeit: Andrea Ypsilanti, Fast-Ministerpräsidentin von Hessen.

(Foto: ddp)

Um diese Dreierkonstellation voran zu treiben, hat Giegold gemeinsam mit Andrea Ypsilanti, der Fast-Ministerpräsidentin von Hessen, und Katja Kipping, Abgeordnete der Linken, die Programmwerkstatt Institut Solidarische Moderne gegründet. Anhänger und Abgeordnete aller drei Parteien diskutieren und bearbeiten hier verschiedene Politikbereiche wie Bildung, Gesundheit, Sozialpolitik und Ökologie, um ihre Vorstellungen von linker Politik zu bündeln.

Ihre erste große Veranstaltung hatten sie gerade in Frankfurt: Bei der Summer Factory zum Thema Bildung diskutierten Hochschulprofessoren, linke Bildungspolitiker, Studenten- und Schülervertreter sowie Wissenschaftler in Workshops darüber, wie linke Bildungspolitik aussehen soll. Bis Januar soll die Arbeit an dem Projekt weitergehen, dann wird das Institut Solidarische Moderne ein Manifest veröffentlichen - und es mit den besten Empfehlungen an die Genossen und Parteifreunde weitergeben.

Think Tanks heißen solche Zusammenschlüsse in der anglo-amerikanischen Welt. Dort haben sie spätestens seit dem Kalten Krieg großen Einfluss auf die Regierung. Sehr oft wechseln Mitglieder von oppositionellen Think Tanks nach einer Wahl in die Politik, etwa als Ministerialbeamte. "In Deutschland gab es das bisher nicht so stark", sagt der Politikwissenschaftler Martin Thunert von der Uni Heidelberg, der die deutsche Think-Tank-Szene schon seit Anfang der 90er Jahre beobachtet. Der Grund: Hier werde nicht - wie in den USA - nach einem Machtwechsel "alles über dem Abteilungsleiter" ausgetauscht.

Einige große Namen gibt es allerdings auch hierzulande: Die Bertelsmann-Stiftung etwa, die sich der Bildungspolitik widmet und das Institut für Wirtschaftsforschung ifo unter der Leitung von Hans-Werner Sinn, das monatlich seinen renommierten Geschäftsklimaindex veröffentlicht.

Die Bertelsmann-Stiftung und das ifo schaffen es neben der Stiftung Wissenschaft und Politik und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik als einzige deutsche Denkfabriken in einem Ranking der Universität Pennsylvania unter die Top 100 der einflussreichsten Think Tanks außerhalb der USA.

Für manche ist der Einfluss dieser Think Tanks sogar zu hoch: Der Journalist Thomas Schuler beklagt in seinem Buch "Bertelsmannrepublik Deutschland", dass die Stiftung vor allem ihre eigenen Interessen höchst erfolgreich durchsetze.

Ypsilanti zieht an

Experte Thunert beobachtet, dass Think Tanks in Deutschland vermehrt eine Rolle spielen - jedenfalls nimmt ihre Zahl zu. Rund 150 listet das Online-Brachenverzeichnis Think-Tank-Directory Deutschland auf. Das Spektrum reicht von der Akademie für Raumforschung und Lebensplanung über das Deutsche Institut für Altersvorsorge bis hin zum Zentrum für Entwicklungsforschung.

Think Tanks in Deutschland: Die Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh ist auch international bekannt.

Die Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh ist auch international bekannt.

(Foto: AP)

"Das hat zum einen damit zu tun, dass sich bis in die 90er Jahre hinein viele Institute und Stiftungen, die Think-Tank-Arbeit leisteten, schlicht nicht als Think Tank bezeichneten." Mit der Zeit habe sich der englische Begriff dann aber auch in Deutschland und Frankreich durchgesetzt.

Außerdem seien viele neue, junge Denkfabriken entstanden. Wie eben das Institut Solidarische Moderne, mit seiner klar linken Ausrichtung. "Dass aktive Parteipolitiker sich in Think Tanks zusammenfinden, war in Deutschland bisher sehr selten", sagt Thunert, "damit zeigen sie, dass es außerhalb der offiziellen Parteilinie noch andere Meinungen gibt."

Zwar hat es schon immer Klubs oder Kreise innerhalb der Parteien gegeben, aber durch die Gründung eines Think Tanks institutionalisieren sie ihre Linie. Dabei ist es für die Politiker natürlich leichter, in Kontakt zu ihren Abgeordneten-Kollegen zu kommen als für Think Tanks, in denen nur junge Forscher sitzen. Anderseits birgt die Beteiligung von aktiven Politikern an Denkfabriken auch immer Risiken. Deren Einstellung und Verhalten wird dann gleich auf die ganze Organisation übertragen und diese vom politischen Gegner besonders kritisch beäugt.

"Natürlich hat die rechts-konservative Politik und Presse sehr negativ auf das Institut Solidarische Moderne reagiert", sagt Sven Giegold, "es gab sogar Häme, vor allem gegenüber Andrea Ypsilanti." Doch dass der politische Gegner nicht begeistert von der rot-rot-grünen Vision ist, sei zu erwarten gewesen.

Doch es gibt auch Vorteile: Durch die bekannte Frontfrau hat das Institut inzwischen rund 1600 Mitglieder. Und auch in der Partei gäbe es keine großen Vorbehalte. "Selbst die, die Rot-Rot-Grün gegenüber skeptisch sind, haben gesagt: Macht mal." Einige Skeptiker hätten nun sogar an der Summer Factory in Frankfurt teilgenommen.

Andere Denkfabriken betonen gerade ihre parteipolitische Unabhängigkeit. Das Global Public Policy Institute (GPPI) in Berlin etwa. Der Think Tank finanziert sich hauptsächlich durch Forschungsaufträge und arbeitet unter anderem mit den Vereinten Nationen zusammen. Gerade bringt das GPPI in einem Projekt acht Chinesen, acht US-Amerikaner und acht Deutsche zusammen, die gemeinsam Zukunftsszenarien für das Jahr 2020 und die entsprechenden Lösungsvorschläge entwerfen.

Wissen für die Macht

´FAZ": Pofalla soll Kanzleramtsminister werden

Kanzleramts-Chef Ronald Pofalla lädt Think-Tank-Mitarbeiter schonmal zum Gespräch ein.

(Foto: dpa)

Außerdem erstellen die Mitarbeiter Publikationen zu globalen Themen wie etwa Entwicklungszusammenarbeit, UN-Friedensmissionen und Energie. "Wir wollen damit keine Politik machen", erklärt der stellvertretende Direktor Thorsten Benner. Lediglich Informationen wolle man bereitstellen und dadurch Denkanstöße geben - die Politik könne dann selbst entscheiden, was sie mit den Informationen anstellen will. "Der Einfluss ist somit - wenn man mal ehrlich ist - eher mittelbar", sagt er. Das Interesse der Politiker an Informationen sei jedoch groß.

Das beobachtet auch Tobias Leipprand von der Stiftung Neue Verantwortung: "Politiker sind mehr und mehr bereit, sich Rat einzuholen. Sie sehen die Politik inzwischen mehr als einen Prozess, an dem viele Akteure teilhaben." Die Welt werde laufend komplexer - "da kann man nicht mehr wie vor 50 Jahren Politik machen". Die Regierungen seien auf das Wissen von Experten angewiesen. Erst im August waren Fellows der Stiftung Neue Verantwortung im Bundeskanzleramt bei Ronald Pofalla zu Gast.

Die Stiftung Neue Verantwortung konzentriert sich auf innerdeutsche Themen wie die Reform der Bundeswehr, Nachhaltigkeit oder den Wandel der Parteienlandschaft. Die Mitarbeiter der Stiftung organisieren Veranstaltungen, veröffentlichen Kommentare in der Presse oder eigene Publikationen.

Auch Leipprand sieht den Einfluss seines Think Tanks realistisch: "In einem Diskurs gibt es immer viele Stimmen. Nur selten bestimmt eine einzige die Politik." Es sei aber dennoch wichtig, dass möglichst viele Meinungen zu einer Lösung beitragen.

Zumindestens für Tobias Leipprand und die Stiftung Neue Verantwortung gibt es auch sehr spürbare Erfolge. Er verweist auf ihren Vorschlag für ein Bildungskonto, das bei der Geburt eines Menschen eingerichtet werden kann. Die FDP hat es nach der letzten Wahl in den Koalitionsvertrag eingebracht. Jetzt muss es die Regierung nur noch umsetzen.

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