Thilo Sarrazin:Advocatus Diaboli

Hartz-IV-Empfänger geben ihr Geld nur für Flachbildschirme und MP3-Player aus, sagt Berlins Finanzsenator Sarrazin - und macht seinem Ruf wieder alle Ehre. Doch diesmal findet er sogar Unterstützer.

E. Jung

Im Juli noch gab es Hoffnung. Da drangen gar wunderliche Töne aus dem Büro des Thilo Sarrazin an die Öffentlichkeit. Zerknirscht sei der Berliner Finanzsenator, hieß es. Und nachdenklich. Was er denn jetzt schon wieder verbrochen habe. Dürfe er denn gar nichts mehr sagen, zuspitzen, auf den Punkt bringen? Ein kleines Bonmot, und die ganze Welt störe sich daran.

Thilo Sarrazin: Wer eine deftige Aussage braucht, wird bei Thilo Sarrazin meist fündig.

Wer eine deftige Aussage braucht, wird bei Thilo Sarrazin meist fündig.

(Foto: Foto: ddp)

Es klang nach Selbstzweifel, ja sogar nach Umdenken. Sarrazin, Advocatus Diaboli aus Leidenschaft und in den Medien gerne als "Genosse Rambo" (Rheinische Post) oder "Quartalsrambo" (Tagesspiegel) bezeichnet, schien sich künftig mit provokativen Äußerungen zurückhalten zu wollen.

Zuvor war eine Welle der Entrüstung über den SPD-Politiker hereingebrochen. Sarrazin hatte mal wieder Jagd auf seine Lieblingsopfer gemacht: Hartz-IV-Empfänger. Die sollten sich lieber einen zusätzlichen Pullover anziehen, anstatt sich über zu hohe Energiekosten zu beschweren.

Und schon im Februar hatte Sarrazin den Hartz-IV-Satz in Höhe von 4,25 Euro am Tag für Lebensmittel abermals zum Anlass genommen, um den sozial Schwächergestellten eins mitzugeben. "Das kleinste Problem von Hartz-IV-Empfängern", sagte er, "ist das Untergewicht."

Nichts schien den Berufspöbler bei seinem Kreuzzug gegen die Unterschicht aufzuhalten. Und wer dachte, der Hauch von Selbstzweifel und Reflexion, der den Finanzsenator da im Juli umwehte, würde daran etwas ändern, kennt Sarrazin nicht. Denn der Politiker ist davon überzeugt, nur das auszusprechen, was ohnehin alle denken, sich aber sonst keiner zu sagen traut. Es ist die Überzeugung, das Richtige zu machen, wenn es sein muss, gegen alle Widerstände.

Dieses Mal polterte Sarrazin auf dem Nachrichtensender N24. Es ging um die Frage, ob eine Erhöhung des Hartz-IV-Satzes (in der Regel derzeit 351 Euro) die Wirtschaft ankurbeln würde. Die Antwort kam in Form eines Vorschlaghammers: "Das ist kein Konjunkturprogramm. Wofür geben die das Geld aus? Für Flachbildschirme, Videorekorder, MP3-Player. Es geht alles nach Fernost. Und nichts bleibt hier."

Da war er wieder, der alte Sarrazin. Der mit einer Panzerfaust das Türschloss knackt, anstatt den Schlüssel zu verwenden. Doch so sehr man Berlins obersten Buchhalter auch hier wieder Geltungssucht, Unbeherrschtheit und mangelndes Fingerspitzengefühl attestieren möchte. Mit seiner neuen Aussage könnte Sarrazin vor allem eines haben: recht.

Dieser Ansicht ist zumindest Christian Pfeiffer, Kriminologe und ehemaliger Justizminister von Niedersachsen. Pfeiffer hat umfangreiche Studien über den Zusammenhang von Mediennutzung und den gesellschaftlichen Schichten in Deutschland angestellt. Sein Ergebnis: "An Sarrazins Aussage ist leider durchaus etwas dran."

So hätten nur 16 Prozent aller Zehnjährigen in Deutschland, deren Eltern Abitur haben, einen Fernseher im Kinderzimmer. Haben die Eltern lediglich einen Hauptschulabschluss, liegt dieser Wert schon bei 57 Prozent. Generell gelte die Regel: Je (bildungs)ärmer der Haushalt ist, desto mehr elektronische Unterhaltungsgeräte besitzt er. Und desto mehr Zeit verbringen die einzelnen Familienmitglieder vor den Bildschirmen.

Darf sich Sarrazin also die Hände reiben, weil er seiner Meinung nach wieder einmal recht hat? Nach dem Motto: Hartz-IV-Empfängern mehr Geld zu geben, ist Blödsinn, weil die es ohnehin nur in Playstation und Fernseher stecken?

Nicht ganz, sagt Pfeiffer. Menschen, die Arbeitslosengeld erhalten, würden sich damit nicht etwa das teure Luxusmodell kaufen, sondern eher auf Billigangebote im Internet zurückgreifen, gebrauchte Flimmerkisten erwerben oder sich eben die fünf Jahre alte Spielkonsole auf Ebay zulegen. Andere Hobbies wie Skifahren oder die Mitgliedschaft im Fußballverein würden die Familien der Unterschicht viel teurer zu stehen kommen.

Nicht auszudenken, wäre stattdessen unter Hartz-IV-Empfängern das Golf- oder Polospielen en vogue. Sarrazin zumindest hätte daran wohl seine wahre Freude. Es wäre neue Munition für ihn.

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