Europäische Integration:CDU-Europaparlamentarier wettert gegen EU-Thesen der CSU

Wenn die Unkenntnis nur noch vom Populismus übertroffen wird: Der CDU-Europaabgeordnete Brok liest der CSU die Leviten, die eine Machtverschiebung in Richtung Brüssel verhindern will. Besonders hart in der Kritik: CSU-Generalsekretär Dobrindt.

Thomas Kirchner

Süddeutsche Zeitung: Herr Brok, das Hilfspaket für Griechenland steht immer noch nicht. Was muss jetzt getan werden?

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"Das ist populistischer Unsinn": Der EU-Abgeordnete Elmar Brok kritisiert die Thesen der CSU zur europäischen Integration.

(Foto: dpa)

Elmar Brok: Griechenland muss glaub- und kreditwürdig bleiben, sonst fließt kein Geld. Und wir müssen einen Weg finden, wie sich private Gläubiger an der Rettung beteiligen, ohne Zwang. Wenn nur einer nicht mitmacht, wird die Insolvenz festgestellt. Erst von 2013 an kann man das per Mehrheitsentscheidung lösen.

SZ: In Deutschland will die CSU eine andere EU-Politik. Der "Automatismus der Machtverschiebung in Richtung Brüssel" müsse überprüft werden, hat CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt in einem Memorandum gefordert.

Brok: Herr Dobrindt hat nicht das Mindestmaß an Kenntnis. Seine Unkenntnis wird nur durch seinen Populismus übertroffen. Mehr Macht für die EU: Dazu müssen die Verträge geändert werden, und alle Staaten müssen zustimmen, also auch Bundestag und Bundesrat. Deswegen ist das populistischer Unsinn.

SZ: Vielleicht gefällt Ihnen diese Aussage Dobrindts besser: "Die Macht der EU ist nach jeder Krise größer geworden, die darauf folgende Krise nicht kleiner."

Brok: Die EU wird dort stärker, wo der Nationalstaat keine Antwort mehr hat. Energiepolitik, Umweltschutz, Terrorismusbekämpfung, das können wir nicht mehr alleine machen, und die deutsche Wirtschaft wäre ohne Binnenmarkt nicht das, was sie ist. Alle 27 Staaten wollen das so. Dobrindt leugnet das schlicht.

SZ: Aber vielleicht ist die EU über das Endziel der Integration schon hinausgeschossen, wie Dobrindt andeutet?

Brok: Niemand weiß, was man in zehn Jahren gemeinsam machen muss. Vor zehn Jahren wollte keiner eine europäische Energiepolitik. Heute schimpfen die Deutschen am lautesten, dass es keine gibt. Und wenn es darum geht, Kompetenzen an die Staaten zurückzugeben: Das steht im Vertrag von Lissabon ja drin. Was will Dobrindt also?

SZ: Vielleicht will er nur für jene sprechen, die nicht noch mehr Geld für die Rettung Griechenlands ausgeben wollen.

Brok: Das hat nichts mit Brüsseler Macht zu tun, das ist kein EU-Geld.

SZ: Ist es denn sinnvoll, noch über ein Ziel nachzudenken, auf das sich die EU hinbewegen soll?

Brok: Wir müssen jeweils genau prüfen, wo das gemeinsame Handeln zu besseren Ergebnissen führt. Es gibt kein Ziel, das für alle gilt. Was europäische Kompetenzen betrifft, denken die Briten anders als die Deutschen, kleine Staaten anders als große.

Brüssel hat ein Handlungsproblem

SZ: Und doch fehlt das Zusammengehörigkeitsgefühl, die EU steckt nicht erst seit Griechenland in einer Dauerkrise.

Brok: Wir müssen erklären, wofür wir dieses Europa brauchen. Man müsste endlich eine wirkliche Kosten-Nutzen-Analyse der deutschen EU-Mitgliedschaft erstellen. Ohne die sind die Bürger natürlich skeptisch, wenn es darum geht, auch mal Opfer zu bringen. Wenn man ihnen im Detail erklärt, was ohne die EU zu erwarten wäre, sehen sie den Nutzen, aber die politische Elite führt diesen Diskurs nicht mehr.

SZ: Stattdessen mehren sich die Warnungen vor einem Auseinanderfallen der Union, Beispiel Euro oder Schengen.

Brok: Das Überwölbende gerät aus dem Blick, jeder schaut auf sich. Die anderen 26 meinen derzeit, wir seien die einzigen Nutznießer der EU, während wir denken, wir seien der einzige Finanzier. Das stimmt natürlich nicht, führt aber zu mieser Stimmung. Und die wird von den Dobrindts bedient.

SZ: Wie kommen wir aus der Krise? Mit mehr Europa - oder mit weniger?

Brok: Wir haben 20 Jahre Revolution hinter uns. Euro, Binnenmarkt und Erweiterung haben ungeheuer viele Regulierungen hervorgebracht. Jetzt brauchen wir eine Phase der Konsolidierung: Umsetzung, Kontrolle, weniger Gesetze. Das richtet sich an Parlament wie Kommission. Und wir müssen das Tempo der Erweiterung drosseln, wie bei einem schnell wachsenden Unternehmen, das auch mal Luft holen muss. Die Bürger sind durch die positive, aber sehr rasche Entwicklung überfordert worden, und darauf reagiert Brüssel nicht angemessen. Allerdings: Mit Kompetenzen hat das nichts zu tun. Das ist ein Handlungs-, kein Rechtsproblem.

SZ: Behörden neigen eben dazu, ihre Tätigkeit stetig auszuweiten.

Brok: Deswegen müssen wir genau hinsehen. Ein Beispiel: Es ist Blödsinn, eine zweite Gleichstellungsrichtlinie zu machen, wenn die erste in zehn Ländern noch nicht umgesetzt ist. Wir müssen schauen, dass die Rechtsordnung überall halbwegs angewandt wird. Das ist eine ehrenhafte Aufgabe. Nicht nur im Neuen macht man würdevolle Politik, sondern auch im Durchsetzen des Beschlossenen.

SZ: Angenommen, die EU übersteht ihre Krisen. Wie wird sie dann aussehen?

Brok: Sie wird stärker sein, handlungsfähiger. Oder wir sagen in drei Jahren: Die EU bröselt dahin wie damals das Heilige Römische Reich Deutscher Nation.

SZ: Vielleicht geht es den Europäern zu gut, weshalb sie sich ihre Skepsis glauben leisten zu können?

Brok: Ja. Die Vorteile sind selbstverständlich, sie werden konsumiert. Nehmen Sie das Friedensargument. Der Frieden ist doch da, sagen die Leute, was brauchen wir die EU? Sie sehen nicht, dass das mit Strukturen zu tun hat, dass sich die Menschen nicht verbessert haben, dass das Eis unserer Zivilisation sehr dünn ist.

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