Theater:Flucht ins Freie

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Wandern mit Theater und reichlich Abstand: Im Corona-Sommer kommt dieses Konzept in Salzburg und Vorarlberg gut an. Erstaunlich ist, welche Besuchergruppe wenig Angst hat vorm Mitwandern.

Interview von Hans Gasser

Andreas Kosek ist Intendant des Teatro Caprile, das in Österreich in diesem Sommer zwei Theaterwanderungen anbietet. Gespielt wird auf Almen, im Wald oder auch mal in einem Stall. Es geht in beiden Stücken um die Flucht über geschlossene Grenzen - ein aktuelles Thema.

SZ: Theater beim Wandern an der frischen Luft, das hat aktuell einen gewissen Standortvorteil, oder?

Andreas Kosek: Das stimmt. Das Virus kann nicht so leicht übertragen werden, und Abstandsregeln kann man besser einhalten. Zudem haben wir nur maximal 45 Zuschauer pro Vorstellung. In Österreich muss man erst ab 100 Personen ein Corona-Sicherheitskonzept vorlegen. Wir achten natürlich auf den Abstand. Spielt eine Szene in einem Raum, etwa in einem Stall oder im Gasthaus, bitten wir das Publikum, den Mund-Nasen-Schutz aufzusetzen.

Trauen sich die Leute zu Ihren beiden Theaterwanderungen?

Sowohl in Krimml im Pinzgau als auch in Gargellen in Vorarlberg ist das Interesse sehr groß. Ich habe den Eindruck, dass die 50- bis 70-Jährigen weniger Angst haben als die Jüngeren. Die Leute sind froh, dass es wieder ein Kulturangebot gibt.

In beiden Stücken geht es um geschlossene Grenzen in Europa. Auch das hat gerade eine neue Aktualität.

Hier in Krimml, wo wir vergangene Woche gespielt haben, war das im Anschluss an die Vorstellung ein Thema: Dass die Leute trotz Verbots über den Krimmler Tauernpass gewandert sind nach Italien oder dass in Tirol mit Hubschraubern die grüne Grenze kontrolliert wurde. Natürlich tut es weh, wenn man etwa Verwandte hinter der Grenze nicht mehr besuchen darf. Aber es musste wohl sein zur Vireneindämmung.

Es geht in den beiden Stücken um jüdische Flüchtlinge, einmal während und einmal nach dem Zweiten Weltkrieg. Was interessiert Sie an diesem Thema?

Wir haben öfter Tipps von Freunden oder den Nachfahren von Zeitzeugen bekommen, dass an bestimmten Stellen besondere Geschichten passiert sind. Das hat mich interessiert. Die jüdische Geschichte ist interessant, weil sich in ihr die ganze übrige europäische Geschichte spiegelt. Die Aufarbeitung ist nach wie vor notwendig, und man kann das auch sehr gut stellvertretend für andere, aktuelle Flüchtlingsbewegungen und Grenzschließungen heranziehen. In Gargellen, wo es um jüdische Menschen geht, die sich mit einem Grenzübertritt in die Schweiz vor KZ und Tod retten wollten, wurde ohne unser Zutun in den Gesprächen mit dem Publikum immer wieder die Flüchtlingswelle aus Syrien und übers Mittelmeer thematisiert.

Worum geht es im Stück in Krimml?

Das spielt in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. Viele Juden aus der Sowjetunion und aus Polen sind vor dem weiter virulenten Antisemitismus in den Westen geflüchtet, etwa nach Österreich. Befördert von der jüdischen Organisation Bricha sollten diese staatenlosen Menschen weiter ans Mittelmeer und von dort nach Palästina gebracht werden, um ihren eigenen Staat zu gründen. Da aber die Karawanken und der Brenner von britischen und französischen Truppen kontrolliert wurden, die zunächst einen solchen Staat nicht wollten, wurden 1947 insgesamt 5000 Menschen über den 2600 Meter hohen Krimmler Tauern geschleust. Der liegt im Bundesland Salzburg, das die Amerikaner besetzt hielten, die die Auswanderung unterstützten. Ein sehr politisches Stück.

Ihre Bühne ist die Natur.

Wir spielen auf Almen, im Wald, zwischen Steinen, immer an günstigen Plätzen, die akustisch geeignet sein müssen. Vor allem in Krimml rauscht vielerorts ein Bach herunter, da kann man nicht spielen. Die Aufführungen finden bei jedem Wetter statt. Bei Regen gibt es eine kürzere Variante, während der man mehr unter Dächern steht. Bei Regen und Nebel ist es aber oft eindrücklicher.

Schwere, traurige Stoffe in einer touristisch als unbeschwert vermarkteten Landschaft - war es schwierig, die Tourismusleute von der Idee zu überzeugen?

In Vorarlberg hat das Montafonmuseum mit seiner lokalen Geschichtsaufarbeitung schon gute Vorarbeit geleistet. Man hat dort verstanden, dass auch dunkle Geschichte dazugehört und sie auch im touristischen Kontext vermittelt werden kann. Vielleicht gibt es bei dem einen oder andern noch einen unterschwelligen Widerstand. Aber die Tourismusleute haben das Potenzial gesehen, unser Stück "Auf der Flucht" hat sogar den Tourismus-Innovationspreis des Landes gewonnen.

Schauspieler und Regiseur Andreas Kosek. (Foto: Teatro Caprile)

"Auf der Flucht" in Gargellen wird zwischen 17. Juli und 30. August an mehreren Wochenenden gespielt. Buchung: montafon.at. Die Krimmler Theaterwanderung "Flucht über die Berge" wird wieder im kommenden Sommer gespielt: teatro-caprile.at

Dieses Interview ist zuerst am 2. Juli 2020 in der SZ erschienen.

© SZ vom 04.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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